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Das Gepäck der ersten Hamburger Portugiesen1

Von Peter Koj

Unsere heutige Gesellschaft durchläuft eine Phase tiefgreifender Umbrüche, wobei die Migrationen eines der größten Probleme sind, mit dem wir uns auseinander zu setzen haben. In einer Zeit, in der die Länder der europäischen Gemeinschaft versuchen, sich durch eine immer restriktivere Gesetzgebung den wachsenden Wanderungsströmen entgegen zu stellen, ist es wichtig, eine historische Sicht dieses Problems nicht aus den Augen zu verlieren.

Hamburg, wo die größte portugiesische Gemeinde Deutschlands mit augenblicklich mehr als 10.000 Mitgliedern lebt, war schon in früheren Zeiten Ziel massiver Zuwanderung von der iberischen Halbinsel. Ende des 16. Jahrhunderts mussten aus ganz anderen Motiven als die der heutigen Portugiesen ihre damaligen Landsleute hierher flüchten. Hamburg wurde somit zur ersten Kolonie der Portugiesen in Deutschland und wuchs in der Mitte des 17. Jahrhunderts bis auf ca. 600 Seelen, eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass Hamburg damals nur 30.000 Einwohner hatte.

Diese ersten Portugiesen flohen vor der Inquisition, vor der sie seit ihrer Einführung in Portugal im Jahre 1536 keine Ruhe fanden. Aber die Annektion Portugals durch die Spanier (1580), die Erfinder und verbissensten Verfechter dieser grausamen Praxis, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Portugiesen, die sich ab Ende des 16. Jhs. in Hamburg niederließen, kamen im Gegensatz zu ihren Landsleuten des 20. Jhs. nicht mit dem berühmten Pappkoffer an, sondern mit einem in jeder Beziehung reichen Gepäck. Mein Vortrag soll zeigen, dass Hamburg von diesen ersten Portugiesen und dem Gepäck, das sie mitbrachten, nur profitieren konnte.

Doch sehen wir zuerst einmal, wer diese Portugiesen waren und was ihre ethnische und soziale Herkunft war. Es handelte sich in der Mehrheit der Fälle um Nachkommen der Juden, die seit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem (70 n. Chr.) auf die iberische Halbinsel geflüchtet waren. Dort lebten sie Seite an Seite mit der lokalen Bevölkerung, den Keltiberern, oder mit denen, die später dazu kamen, wie die verschiedenen germanischen Stämme und die Araber. Ab 1497, das Jahr, in dem Manuel I. "meine Juden" zwangstaufen ließ, um sie nicht wie im benachbarten Spanien ausweisen zu müssen, integrierten sich die portugiesischen Juden oder, besser gesagt, "Neuchristen", nachhaltig in die übrige Bevölkerung. Sie übten jede Art von Beruf aus, vom einfachen Bauern bis zum Arzt oder Universitätsprofessor. Einige von ihnen heirateten in den altchristlichen Adel ein oder erklommen sogar die höchsten Stufen der kirchlichen Hierarchie.

Unter ihnen gab es viele Geschäftsleute, die gleichzeitig Gelehrte und Intellektuelle waren, Erben und Vermittler des großen jüdisch-arabischen Wissens in den Bereichen Mathematik, Astrologie, Nautik, Geographie, Kartographie, Biologie und Medizin, und damit eine sehr wichtige Rolle bei der Öffnung der Welt spielten. Die großen neuchristlichen Handelsleute aus Portugal waren daran interessiert, ihren sozialen Status durch die Fortführung ihrer Geschäfte zu wahren, und steuerten deswegen Häfen an, zu denen sie bereits Handelbeziehungen unterhielten. Das beste Beispiel ist Antwerpen, wo es eine natio lusitana seit dem 15. Jh. gab mit einer florierenden Faktorei von fast 100 portugiesischen Firmen, die von Neu- und Altchristen geführt wurden. Aber auch Amsterdam und Hamburg, die während des spanisch-flämischen Krieges als Hauptzufluchtsort der Portugiesen an die Stelle von Antwerpen traten, verfügten über Handelsbeziehungen zu Portugal. Zu Beginn des 16. Jhs. hatte Manuel I. Hamburg Privilegien verliehen, und Hamburg wiederum schickte 1566 seinen ersten Konsul nach Lissabon.

Als einige Jahre später Eigner und Besatzung der portugiesischen Schiffe, die im Hamburger Hafen festmachten, um Aufenthaltsrecht nachsuchten, wurde ihnen dieses huldvoll gewährt. Die Tatsache, dass es sich offensichtlich um katholische Christen handelte, rührte die guten Lutheraner nicht weiter. Geschäft ist Geschäft! Und als man gut zwanzig Jahre später die jüdische Herkunft der Portugiesen entdeckte, gab es Protest nur vonseiten des Klerus und einiger Volksführer. Der Senat selbst hielt es für angebracht, einen Vertrag mit der natio lusitana zu schließen (1612). Dieser Vertrag musste alle fünf Jahre erneuert werden und garantierte den Portugiesen Wohnrecht und volle Freiheit der Berufsausübung, legte ihnen jedoch große Beschränkungen im religiösen Bereich auf.

Wie man sieht, wurde dieser Vertrag nicht von irgendeinem Philosemitismus diktiert, sondern von rein wirtschaftlichen Interessen. Der Hamburger Hafen machte damals eine schwere Zeit durch, da die Hanse an Einfluss verlor und Hamburg neue Märkte suchte. Da kamen die portugiesischen Kaufleute gerade recht, denn sie brachten in ihrem Gepäck Handelsbeziehungen zu Verwandten und Partnern mit, nicht nur in Portugal, sondern auch in den neuen Kolonien. Mit ihren Aktivitäten gaben die portugiesischen Kaufleute, übrigens im Verein mit anderen Ausländergruppen, vor allem Holländern und Engländern, Hamburg neuen Aufschwung, indem sie es mit dem neuen Handelszentrum verbanden, das nicht mehr das Mittelmeer und auch nicht die Ostsee war, sondern die Tejomündung.

Die Zahlen sprechen für sich. 1621 segelten 85 aus Hamburg kommende Schiffe Lissabon an, mehr als alle anderen iberischen Häfen zusammen. Und zwei Jahre später legten in Hamburg 101 portugiesische Schiffe an, d.h. doppelt so viele wie spanische. Dank der Portugiesen und ihrer Handelsaktivitäten, sahen die Hamburger zum ersten Mal Waren, die aus den Kolonien kamen (weswegen sie noch heute "Kolonialwaren" heißen), wie verschiedene Gewürze, Rohrzucker, Kaffee, Tabak, verschiedene Stoffe wie Kattun, Edelsteine und Korallen. Der Import dieser Luxusartikel trug dazu bei, einen feineren Lebensstil unter den Bürgern der Elbmetropole herauszubilden.

Eine andere von den Portugiesen nach Hamburg mitgebrachte "Ware" stach den reichen deutschen Bürgern sehr ins Auge: Es handelte sich um die farbigen Diener, welche eine portugiesische Familie, die auf sich hielt, damals hatte. Es stimmt zwar, dass die portugiesischen Juden die großen Betreiber des Sklavenhandels waren, aber im Schoß der jüdischen oder neuchristlichen Familie wurden die Schwarzen fast wie Familienmitglieder behandelt: Sie aßen mit ihnen an einem Tisch, kehrten mit ihnen zum jüdischen Glauben zurück und heirateten sogar in die Familien ein. Und natürlich konnte man solch ein Familienmitglied nicht zurücklassen. In Hamburg erregten die farbigen Diener der Portugiesen großes Aufsehen und wurden - wie literarische Zeugen und Abbildungen der Zeit zeigen - Mode unter den deutschen Bürgern.

Ein weiterer von den Sefarden eingeführter Luxusartikel, dessen portugiesische Herkunft lange Zeit umstritten war, sind die schönen Teller, Becher, Schalen, Terrinen etc., die heute noch als "Hamburger Fayencen" bezeichnet werden. Diese irrtümliche Bezeichnung rührt von den Hamburger Namen und Wappen her, die einige Fayencen zeigen. Meiner Meinung lassen sich diese dadurch leicht erklären, dass sie in Portugal auf Bestellung hergestellt und dann nach Hamburg exportiert wurden2. Aber es gab auch weniger luxuriöse Handelswaren aus Portugal, wie zum Beispiel das Meersalz, das die Hamburger dann dem eigenen Salinensalz vorzogen und die marmelada (Quittenmarmelade). Im letzteren Fall verdanken wir den Sefarden das Wort selbst. "Marmelade" ist - soweit ich weiß - das einzige portugiesische Wort, das ins Deutsche eingegangen ist.3

Als Geschäftsleute kannten sich die Portugiesen auch gut in Gelddingen aus. So ist es nicht verwunderlich, dass sich unter den Gründern der ersten Hamburger Bank (1619) vier Portugiesen befanden, zum Beispiel der wohlhabende António Faleiro. Das Finanzgenie der Portugiesen offenbarte sich auch in ihren Aktivitäten als Makler und Versicherer, ein unsicheres Geschäft zu Zeiten der Seeräuber, aber höchst rentabel - wenn alles gut ging. Der Reichtum der Portugiesen in Verbindung mit ihren internationalen Beziehungen und ihrer Mehrsprachigkeit hatte zur Folge, dass die gekrönten Häupter rund um Hamburg ihre finanzielle und diplomatische Hilfe in Anspruch nahmen. Der bekannteste Fall ist der des reichen und mächtigen Manuel Teixeira, Resident und Finanzberater der Königin Christina von Schweden. Es kann mit Fug und Recht gesagt werden, dass Hamburg dank seiner portugiesischen Bewohner im 17. Jh. einen hervorragenden Platz auf der diplomatischen und gesellschaftlichen Bühne einnahm.

Aber nicht alle Portugiesen hatten ein reiches Gepäck im rein finanziellen oder kommerziellen Sinne. Es gab andere, wie Dr. Rodrigo de Castro, die ihr Arztköfferchen mitbrachten. Es handelte sich aber nicht um irgendwelche Kurpfuscher, sondern um die Creme der iberischen Ärzteschaft. Dank des von ihren jüdisch-arabischen Vorfahren angesammelten Wissens waren sie sehr viel aufgeklärter und fortgeschrittener als ihre christlichen Kollegen. Rodrigo de Castro, in Lissabon als Spross einer berühmten Arztfamilie geboren, floh über Antwerpen nach Hamburg. Hier ließ er sich nicht lange bitten, als 1596 die große Pest ausbrach. Er wird als der größte Arzt seiner Zeit betrachtet, und seine Klientel war über ganz Europa verbreitet, darunter verschiedene Könige und Vertreter des Hochadels. Er ist Verfasser verschiedener Bücher, die sich durch progressive Theorien auszeichnen.

Das andere Kulturgut, das die Sefarden im Gepäck hatten, war das bereits erwähnte Sprachtalent. Manuel Teixeira z.B. beherrschte fünf Sprachen: Außer Portugiesisch und Deutsch sprach er Spanisch, Französisch und Italienisch. Und noch im 19. Jh. sprach Henriette Herz, die große Figur der Berliner Literaturzirkel und Tochter des portugiesisch-hamburgischen Arztes Benjamin de Lemos, nicht weniger als 10 (!) Sprachen. Es gab in Hamburg literarische Produktion auf Portugiesisch wie die Gramática hebraica von Moses Abudiente (1633), die Propostas contra a tradição des unglückseligen Uriel da Costa, Vorläufer von Bento Spinoza und der Aufklärung, und sogar Lyrik wie die aus der Feder von João Francês, genannt der "Hamburger Camões".

Zweifellos war das portugiesische Erbteil das markanteste Element im Kulturgepäck der natio lusitana. "Die Portugiesen" war die gängige Bezeichnung für diese unter der Hamburger Bevölkerung. Sie waren Träger solch portugiesischer Namen wie Andrade, Teixeira, Rodrigues, Matos, Faleiro, Dinis, Mendes, da Costa, Cardoso, de Castro, Brandão, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Nur für den Gebrauch innerhalb der jüdischen Gemeinde nahmen sie hebräische Namen an, und für den Seehandel germanisierten sie ihren Namen (so wurde z.B. aus João Francês Hans Franzen, und aus Paulo de Milão Paul Dirichsen). Es war ein Manöver, um die Inquisition zu täuschen, was übrigens von Verrätern hintertrieben wurde, und deshalb sind die Dokumente der Inquisition im Lissabonner Staatsarchiv Torre do Tombo die erschöpfendste Quelle über die Portugiesen in Hamburg.

Natürlich sprachen sie Portugiesisch untereinander, und Portugiesisch war Kommunikationsmittel bis ins 18. Jh. Noch 1785 veröffentlichte Abraão Meldola seine Nova Grammatica Portuguesa, während die Inschriften auf den Grabplatten des Friedhofs in der Königstraße4 ebenso wie die standesamtlichen Eintragungen und die Korrespondenz der Gemeinde noch weit bis ins 19. Jh. auf Portugiesisch verfasst sind.

Ganz wie jeder ordentliche Portugiese, der fern seines Landes lebt, war auch die Hamburger Kolonie von saudades, Sehnsüchten und Heimweh, geplagt. Einige hielten es nicht aus und kehrten, trotz der damit verbundenen Gefahr für Leib und Leben, in das "Land des Götzendienstes" zurück, wie Portugal aus jüdischer Sicht hieß. Verstärkt wurde diese Sehnsucht noch - ganz abgesehen von dem saudosismo in seiner höchsten Ausprägung, dem Sebastianismus - durch den jüdischen Messianismus, der mit dem Auftreten des falschen Messias, Shabtai Zwi (1665) seinen Höhepunkt erreichte, wobei Hamburg eine Hochburg dieser Bewegung darstellte.

Aus Portugal wurde nach Hamburg auch die Freude an den schönen Dingen des Lebens importiert, eine Haltung, die den steifen und reservierten Hamburgern nicht besonders gefiel. Es gab Beschwerden über die Portugiesen und die Zurschaustellung ihres Reichtums, wie prachtvolle Kleidung, luxuriöse Wappen und Kutschen, die von livrierten Dienern eskortiert wurden. Es braucht nicht gesagt zu werden, dass viele dieser Klagen auf reinem Neid beruhten. Andererseits unternahmen die reichen Portugiesen alles, um Anerkennung zu erlangen und einmal erlangte Freundschaften zu festigen, indem sie süße Geschenke verteilten (Zucker, Konfiserien). Das größte "Geschenk", das jemals gemacht wurde, waren die Kupferplatten, die Manuel Teixeira zum Decken des Turms von St. Michaelis, Hamburgs Wahrzeichen, stiftete.

Aber alle diese Gunstbezeigungen, all der Reichtum des Wirtschafts- und Kulturgepäcks nützten nichts. Die Nachkommen der portugiesischen Sefarden - ca. 200 Personen zu Beginn der Nazi-Ära - erfuhren dasselbe Schicksal wie die Nachkommen der Aschkenasen, die aus sehr viel bescheideneren Verhältnissen stammten. Wem es nicht gelang zu flüchten, wurde in Konzentrationslagern umgebracht. Ein noch schlimmeres Schicksal erfuhren sie nach dem Krieg: Sie wurden vollständig vergessen. Als 1989 der 800. Hamburger Hafengeburtstag gefeiert wurde, erinnerte sich keiner an sie und an den wertvollen Beitrag, den sie zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung unserer Stadt geleistet haben.


1 Veränderte und (dank der Hilfe von Regina Correia) verbesserte Fassung des Vortrags, der auf dem 4. Kongress des Internationalen Lusitanistenverbandes gehalten wurde, der vom 6. bis 11.September 1993 in Hamburg stattfand
2 Diese meine Auffassung wurde 3 Jahre später durch die Ausstellung "Lissabon - Hamburg. Fayencenimport für den Norden" im Museum für Kunst und Gewerbe eindrucksvoll bestätigt
3 Zu diesem Thema mein Artikel Portugiesisch im deutschen Wortschatz (Portugal-Post 8, S. 32-33)
4 Diese Inschriften sind zusammengestellt in Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden von Michael Studemund-Halévy (Hamburg 2000). Zum selben Thema empfehlen wir die Lektüre der neusten Publikation des Autors in Zusammenarbeit mit Gaby Zürn: Zerstört die Erinnerung nicht. Der Jüdische Friedhof Königstraße (Hamburg 2000)




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Portugal-Post Nr. 34 / 2006





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400 Jahre Juden in Deutschland
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Niederlassungen der Sefarden in Europa un im Mittelmeerraum vor dem 30jährigen Krieg




Pessach-Mahl der portugiesischen Juden (Picard, 1725)




Fayencekrug mit Doppeladler, hergestellt in Lissabon um 1635




Titelseite der medizinischen Schrift "De universa muliebrium morborum Medicina" (1462) des damals in Hamburg ansässigen Arztes Dr. Rodrigo de Castro




Lebensart der Sefarden zeigt auch diese Abbildung mit dem itel "De gewesene kerk de joden", Amsterdam, 1675