Buchtipp des Monats September 2014
Von Peter Koj
Der 25 de Abril – 40 Jahre danach
Am 25. April 1974 erwachte Portugal aus der „langen Nacht der Diktatur“. Die „Nelkenrevolution“ läutete – so schien es – ein neues Zeitalter ein: ein Zeitalter der Freiheit, der Öffnung nach Europa und in erster Linie ein Zeitalter größerer sozialer Gerechtigkeit. Was konnte davon umgesetzt werden und was hat 40 Jahre später unter der Herrschaft der Troika noch Bestand? Zeca Afonsos Grândola, vila morena , das die Ideale der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit propagiert und das zwischenzeitlich eher verschämt intoniert wurde, wird nunmehr wieder lautstark und voller Inbrunst gesungen als Ausdruck des Protestes gegen die augenblickliche Krise (dazu mein Artikel Nun singen sie wieder in der Portugal-Post 53 ) Lange verblichen dagegen sind die politischen Wandmalereien, die Mitte der 70er Jahre allerorts, aber vor allem in Lissabon und Umgebung entstanden.
Karl-Eckhard Carius, emeritierter Professor für ästhetisch-kulturelle Bildung an der Universität Vechta und von 1984 bis 1992 an der Deutschen Schule Lissabon tätig, hat zusammen mit Viriato Soromenho-Marques, Professor für Philosophie und Europäische Studien an der Universidade de Lisboa ein Buch herausgegeben, das der eingangs gestellten Frage nachgeht. Es erschien pünktlich im April dieses Jahres unter dem widersprüchlichen Titel Mauern der Freiheit . Der Widerspruch erklärt sich durch den Untertitel Lissabons vergessene Bilder und der Aufschrei heute. Die beiden Herausgeber haben einer Reihe namhafter deutscher und portugiesischer Intellektueller Gelegenheit gegeben, vor dem Hintergrund der Lissabonner Wandmalereien und der darin sich manifestierenden Ideale ein Fazit zu ziehen, was aus diesen Idealen geworden ist.
Ihr Fazit fällt sehr unterschiedlich aus. Während einige portugiesische Autoren eher dazu tendieren, die Geschehnisse und Folgen des 25 de Abril erlebnishaft aufzuarbeiten (z.B. Lídia Jorge in ihrem Beitrag), finden sich auf deutscher Seite gesellschaftspolitische und ästhetische Analysen vor dem Hintergrund des 25 de Abril , am prägnantesten im Beitrag von Sahra Wagenknecht Die neue Diktatur . Selbst wenn man mit manchen Texten seine Probleme haben kann (mir ging es so besonders bei dem Artikel von Frieder Otto Wolf), darf der Band in der Bibliothek eines Portugalfreundes und –kenners nicht fehlen, finden sich hier doch zum ersten Mal in einer deutschen Publikation Abbildungen von Lissabonner Wandmalereien in größerer Zahl vereint.
Eine Reihe der Aufnahmen stammen von dem Laubbacher Fotografen Ferdinand Joesten, der uns im Sommer 1977 in Portugal besuchte. Bei der Gelegenheit begleiteten wir Volker Schlöndorff, der für Margarethe von Trottas bevorstehenden Dreh von Das zweite Erwachen der Christa Klages die Kooperative Estrela Vermelha besuchte (mehr dazu in der Portugal-Post 20 ). Die auf der Kooperative gemachten Aufnahmen haben ebenfalls Eingang in den Band gefunden. Eine Reihe weiterer Fotos stammen von meinem inzwischen verstorbenen Freund Alfred Kottek, der sie mir vor seiner Auswanderung nach Kanada vermacht hat. Von Alfred Kottek stammt auch ein längerer Wortbeitrag zum Thema der Wandmalerei, den wir in der Portugal-Post 6 anlässlich des 25. Jahrestages der Nelkenrevolution veröffentlicht haben (nachzulesen im Archiv unserer Homepage www.phg-hh.de ). Zum selben Anlass haben wir 1999 die schönsten dieser Bilder auf Poster gezogen und in einer vielbesuchten Ausstellung im Kulturhaus Eppendorf gezeigt.
Dies ist jedoch nicht der einzige Hamburger Beitrag zur deutschen Ausgabe (die portugiesische ist zeitgleich unter dem Titel Muros de liberdade. As imagens esquecidas de Lisboa e o clamor de hoje im Verlag Esfera do Caos erschienen). Maralde Meyer- Minnemann und Karin von Schweder-Schreiner haben die Übersetzung der portugiesischen Beiträge übernommen. So ist es natürlich unumgänglich, dass Karl-Eckhard Carius das Buch in Hamburg vorstellt. Am Vormittag des 30. November hat er dazu vor studentischem Publikum an der Universität Gelegenheit (um 10 Uhr im Centro de Língua Portuguesa des Instituto Camões , Von-Melle-Park 6) und um 19:30 Uhr desselben Tages an dem Ort, wo wir vor 15 Jahren die Ausstellung mit den Lissabonner Wandbildern gezeigt haben, dem Kulturhaus Eppendorf, Julius-Reincke-Stieg 13a.
Karl-Eckhard Carius, Viriato Soromenho-Marques Hrsg., Mauern der Freiheit. Lissabons vergessene Bilder und der Aufschrei heute
Westfälisches Dampfboot, Münster 2014. € 24,90