Buchtipp des Monats Oktober 2013 (4)

Von Peter Koj

Von den Ursprüngen des Samba

  Rio de Janeiro, Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Brancura, ein baiano , hinter dem sich die historische Figur des Sílvio Fernandes versteckt, der als Gründer des Samba gilt, schlägt sich als Zuhälter in dem Prostituiertenviertel rund um die Rua do Estácio ist durch, in dem sich viele seiner farbigen Landsleute aus Salvador de Bahia niedergelassen haben. Mit Valdirene, seiner jungen Favoritin, verbindet ihn so etwas wie Liebe. Valdirene liebt aber auch noch den jungen Portugiesen Sodré. Was sehr dramatisch und bedrohlich beginnt, endet jedoch mit einer Idylle: Valdirene bringt Zwillinge zur Welt: den hellhäutigen Marcelo, Sohn des Sodré und den farbigen Marquinhos, Sohn des Brancura.

Diese Dreiecksgeschichte ist Träger für das eigentliche Thema des Buches: die Probleme, mit denen die schwarze Bevölkerung zu kämpfen hat, die aus Bahia nach Rio geflüchtet ist, weil sie in ihrer Heimat im Nordosten Brasiliens an der Ausübung ihrer aus Afrika stammenden Riten (Macumba) gehindert wurde. Der Autor Paulo Lins hat sich mit seinem Roman A Cidade de Deus ( Die Stadt Gottes ) bei uns bereits einen Namen gemacht. Die Verfilmung des Romans war vor wenigen Jahren ein Erfolg an den Kinokassen, nicht zuletzt wegen der schockierenden Darstellung der in den Elendsvierteln Rios ( favelas ) herrschenden Gewalt.

In seinem neuen Roman geht es vergleichsweise sanft zu. Die Eingangsszene in der Bar do Apolo lässt zwar Schlimmes befürchten. Es geht dann aber im Verlaufe des Romans doch eher unblutig und gewaltfrei zu. Die friedfertige Form des Zusammenlebens dieser sozialen Randgruppe ist vor allem Werk der Macumba-Riten, wo das Medium seinen Gläubigen nur die besten Ratschläge und Aufträge erteilt. Es ist aber auch die Atmosphäre der Samba-Musik, die eine ähnlich befreiende Funktion für diese „Enkel der Sklaven“ hat wie die Work-Songs oder der Blues für die schwarzen Sklaven Nordamerikas und ihre Nachkommen.

Der Autor hat diesen religiösen und musikethnographischen Hintergrund nicht frei erfunden, sondern stützt sich auf intensive Recherchen. Die ausführliche Bibliographie am Ende des 2012 veröffentlichten Originals Desde que o samba é samba wurde von den Hamburger Übersetzern Barbara Mesquita und Nicolai von Schweder-Schreiner nicht übernommen. Dafür vermitteln sie dem deutschen Leser einen direkten Zugang zu einem Werk, dessen Lektüre trotz der Verarbeitung authentischen historischen und wissenschaftlichen Materials nie langweilig wird, sondern uns einnimmt durch die lockere, wenig akademische Erzählweise, den stimmungsvollen Milieubeschreibungen, einen trockenem Humor und die Darstellung von Sexualität in allen ihren Variationen, die an Offenheit nichts zu wünschen übrig lässt.

Paulo Lins, Seit der Samba Samba ist . Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Barbara Mesquita und Nicolai von Schweder-Schreiner. Droemer Verlag 2013 € 19.99