Buchtipp des Monats Oktober 2013 (3)

Von Peter Koj

Popcorn unterm Zuckerhut

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wenn man nach dem Titel der soeben bei Wagenbach erschienenen Anthologie geht, bin ich wenig qualifiziert, diese zu rezensieren. Ich mag weder Popcorn, noch war ich bisher in meinem Leben unterm Zuckerhut. Nun, wir sind im Monat der ganz im Zeichen Brasiliens stehenden Frankfurter Buchmesse und da macht zumindest der Untertitel ( Junge brasilianische Literatur ) jemanden wie mich neugierig, der sich intensiv mit der portugiesischen Sprache, der portugiesischsprachigen Literatur und den Übertragungskünsten ihrer deutschen Übersetzer/innen beschäftigt.

Und während der Lektüre des schmalen Bändchens (140 Seiten im Taschenbuchformat) kam ein weiteres Kriterium hinzu, das mich nicht hat bedauern lassen, die Rezension zu übernehmen, nämlich das Vergnügen, das sich bei seiner Lektüre einstellte. Dieses rührt zum einen von der Gattung her: kein ermüdend langer Roman, der nur im tage- oder gar wochenlangen Einsatz zu bewältigen ist, sondern 20 Kurzgeschichten, die es einem gestatten, ein Zwischenpäuschen einzulegen, um über die gerade gelesen Geschichte zu reflektieren. Und dann – schließlich handelt es sich um eine Anthologie – völliger Szenen-, Themen- und Tonwechsel durch die sehr unterschiedlichen Autoren.

Eins haben sie allerdings gemein: ihr jugendliches Alter (sie sind zwischen 1968 und 1981 geboren). Einige von ihnen haben aber bereits auf sich aufmerksam gemacht, haben Romane veröffentlicht, sind mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden. Von drei Autoren sind Romanübersetzungen ins Deutsche für diesen Herbst angekündigt (Michel Laub, Andréa de Fuego, Daniel Galera). Man darf gespannt sein, denn die vorliegenden Kurzgeschichten sind von einer erfrischenden Erzählfreude. Sie spiegeln zudem das Lebensgefühl der jüngeren brasilianischen Generation wider, ihre durch die modernen Medien gegebene Oberflächlichkeit und Schnelllebigkeit.

Doch daneben gibt es auch Rückgriffe auf die 60er und 70er Jahre, es gibt Fabulierfreude, schwarzen Humor, Spiel mit der Sprache, mit der Erzähl- und sogar Übersetzungstechnik. Insgesamt ein großer Spaß, der es einem schwer macht, sich für eine Lieblingserzählung zu entscheiden. Wie wäre es mit Adriana Lisboas Das Jahr in Rishikesh (Thema: Demenz, die Krishnaphase der Beatles)? Oder die tragikomische Geschichte Nachbarn , in der der aus São Paulo stammende Musiker und Autor Ferréz uns in das Mietshausmilieu seiner Heimatstadt einführt? Anrührend auch der Beitrag von Katherine Funke ( Hühnerherz ). Sie stammt aus der Stadt Joinville, die einst von Hamburger Kaufleuten gegründet wurde (dies wird Thema des Theaterstücks Pfeffersäcke im Zuckerland sein, das ab 11. Januar im Deutschen Schauspielhaus aufgeführt wird). Die jetzt in Salvador da Bahia lebende Autorin wurde von der Journalistin Michaela Metz besucht, deren Interview sich in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juli findet.

Die Kurzgeschichten wurden von einem ganzen Team von Übersetzer/innen ins Deutsche übertragen, allen voran vom Herausgeber Timo Berger, von dem auch das launige Vorwort stammt. Zwei von ihnen haben sich schon bei früheren Übersetzungen ausgezeichnet, so Marianne Gareis (José Saramago) und Michael Kegler (José Eduardo Agualusa).

 

Popcorn unterm Zuckerhut. Junge brasilianische Literatur Herausgegeben von Timo Berger. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2013 € 9,90