Buch des Monats - Dezember 2012

Hinter der Nebelwand

Jörgen Bracker

Von Peter Koj

Portugals Atlantikküste ist gefährlich. Wen und was nicht alles hat sie schon angeschwemmt! Angefangen von Kolumbus (Cristóvão Colón), an dessen Genueser Herkunft die Italiener noch immer fest glauben, für dessen portugiesisch-sefardische Herkunft sich jedoch die Hinweise mehr und mehr verdichten (siehe Portugal-Post 34 . S. 9-14: War Kolumbus Portugiese? ), über den portugiesischen Nationaldichter Luís Camões, dem es bei seinem Schiffbruch der Sage nach gelang, das Manuskript der Lusiaden ( Os Lusíadas ) über den Kopf haltend das rettende Ufer zu erreichen (siehe Portugal-Post 52 , S. 45), bis hin zum Heiligen Vincentius (São Vicente), der offensichtlich nicht so ein guter Schwimmer war und ertrank. Der Legende nach zogen Raben seinen Leichnam an das Ufer. Dafür haben sie jetzt einen Ehrenplatz auf dem Lissabonner Stadtwappen und auf dem São Vicente-Denkmal an der Porta do Sol (Alfama), von wo aus sie einen schönen Blick auf die erste außerhalb (port. fora ) der Maurenfestung gebaute Kirche São Vicente de Fora haben.

Seine Fingerknochen sollen Störtebekers Genossen die Vitalienbrüder als Amulette getragen haben, die der Hamburger Senat nach Hinrichtung der Seeräuber durch den Ratsherrn Nikolaus Schoke nach Lissabon zurückbringen ließ. Darüber berichtet unser Mitglied Jörgen Bracker in seinem historischen Roman Die Reliquien von Lissabon , der 2008 im Murmann Verlag erschienen ist (Rezension vom Kommodore Jürgen Schaper in der Portugal-Post 45 auf Seite 20). Aus der Portugal-Post 50 auf Seite 21 erfahren wir, dass Jörgen Bracker sich inzwischen auf die Suche von Henrique Alemão gemacht hat (nicht zu verwechseln mit Henrique de Bona, dem Kreuzritter aus Bonn, der in der Kirche São Vicente de Fora begraben liegt). Es handelt sich vielmehr um einen polnischen Adligen, der nach der verlorenen Schlacht bei Varna (1444) in Madeira untertaucht und dort unter mysteriösen Umständen zu Tode kommt.

Da es zur Niederschrift und Veröffentlichung dieses Madeira-Romans noch einiger Recherchen bedarf, hat sich Jörgen Bracker erst einmal einer Geschichte zugewandt, die in unseren Breitengraden spielt und zu der er bereits in den 80er Jahren in seiner Amtszeit als Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte das Quellenmaterial zusammentragen konnte. Außerdem gibt es einen engen biographischen Bezug zu dem Thema. Es geht nämlich um den Diebstahl eines Dithmarscher Krabbenkutters, die Fahrewohl von Büsum und die Ermordung seines jungen Eigners Friedrich Schlömer am Pfingstmontag des Jahres 19011. Jörgen Bracker stieß auf die Geschichte, als er 1980 die Seeschwalbe erwarb, einen baugleichen Kutter aus demselben Jahr, den er in seinen historischen Zustand zurückversetzte und der heute im Museumshafen von Büsum liegt.

Da die Gerichtsprotokolle wegen der Jugend der beiden Täter nicht archiviert wurden, basieren die Quellen des Autors auf Zeitungsartikeln und vor allem auf Befragungen von Zeitzeugen. So konnten Nelus Hajungs und seine Schwester Anna trotz ihrer fast hundert Lebensjahre detailliert Auskunft geben über die verbrecherische Tat. Herausgekommen ist ein spannend geschriebener „historischer Kriminalroman“ (so der Untertitel), der zudem ein unverfälschtes Bild des Lebens an der Dithmarscher Küste vor Hundert Jahren liefert. Diese mag zwar nicht so gefährlich wie die portugiesische Atlantikküste mit ihrer starken Brandung sein, doch wie der Titel schon andeutet, lauern die Gefahren hier andernorts. Was sich so alles „hinter der Nebelwand“ tut, der Konkurrenzkampf der Fischer, die Fremdenfeindlichkeit – alles Themen, die nichts an Aktualität eingebüßt haben, bilden den düsteren Hintergrund zu dem mörderischen Geschehen.

Jörgen Brackers großartige Prosa, die wir schon aus den Reliquien von Lissabon und seinem Störtebeker-Roman Zeelander kennen, tun ein Übriges, die Lektüre dieses Romans zu einem packenden Erlebnis zu machen, besonders zur trüben Winterszeit, wenn der Nebel den Elbhang hinauf kriecht… und uns schon auf Henrique Alemão und das sonnige Madeira zu freuen.

Jörgen Bracker, Hinter der Nebelwand. Historischer Kriminalroman. Wachholtz Verlag Neumünster 2011. € 19,90

 

Peter Koj