Buchtipp des Monats Oktober 2014

Von Peter Koj

Pessoa – Er selbst

Er gilt nicht nur als Portugals Dichterfürst. Viele halten ihn für Europas größten Dichter des 20. Jahrhunderts überhaupt: Fernando Pessoa (1888 – 1935). Das Besondere an seinem Werk ist, dass es nur zum geringsten Teil zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde und zum anderen, dass es –– gemäß Pessoas Motto „Ein Dichter muss mehr als einer sein, um einer sein zu können“ – unter einer Reihe von sich signifikant unterscheidenden Dichterpersönlichkeiten (sog. Heteronymen) entstanden ist, von denen die wichtigsten der heidnische Bukoliker Alberto Caeiro, der Klassizist Ricardo Reis und der Futurist Álvaro de Campos sind.

Nach seinem Tode fanden Pessoas Gedichte Einlass in immer wieder in je nach Heteronym neu zusammengestellten Ausgaben. In deutscher Übersetzung gab es lange Zeit nur die von Georg Rudolf Lind 1965 bei S. Fischer Verlag herausgegebene Anthologie. In den 80er Jahren machte sich der Ammann Verlag daran, die Lindschen Übersetzungen in zweisprachigen Ausgaben unter den verschiedenen Dichterpersönlichkeiten zu veröffentlichen. Nach dem Aus des Schweizer Verlages kehrte Pessoa zum S. Fischer Verlag zurück. Dieser arbeitet nach dem Tod von Georg Rudolf Lind mit der in Berlin lebenden Übersetzerin Inés Koebel zusammen, die bei Ammann bereits 2003 mit ihrer Übersetzung von Pessoas Buch der Unruhe Furore gemacht hatte.

Inzwischen liegen die Gedichte von Alberto Caeiro und Álvaro de Campos, wie auch die von Ricardo Reis (dazu mein Artikel Fernando Pessoa Superstar in der Literaturbeilage der Portugal-Post 48 ), in um die Hälfte erweiterten und neu übersetzten Hardcover- und Taschenbuchausgaben vor. Im Mai dieses Jahres hat S. Fischer in einer zweisprachigen Ausgabe eine Auswahl aus über tausend Gedichten und Gedichtfragmenten herausgebracht, die Pessoa unter seinem Namen verfasst oder veröffentlicht hat (abgesehen von Mensagem , die Ammann bereits 1989 in der Lindschen Übersetzung publiziert hatte).

Inés Koebel hat die Gedichte chronologisch geordnet: Das erste stammt aus dem Jahre 1911, das letzte wurde am 19. 11. 1935, elf Tage vor seinem Tod geschrieben. Die undatierten Gedichte werden nach ihrem inhaltlichen Zusammenhang eingeordnet. Bei der Übersetzung bleibt Inés Koebel ganz eng am Original und trifft den Ton der Vorlage. Es sind zumeist kürzere Gedichte in freier Form, die uns durch ihre persönliche Aussage dem Dichter Pessoa sehr viel näher bringen als seine heteronymen Werke. So rühren uns die letzten Zeilen des im Sterben liegenden Dichters, der ja an Leberzirrhose als Folge seines Alkoholkonsums gestorben ist:

 

Über dem trüben Grün des uferlosen Flusses

Die weißen Zirkumflexe der Möwen …

Über der Seele das unnütze Flattern

Dessen, was nie war noch sein kann, und alles ist.

 

Gib mehr Wein mir, denn das Leben ist nichts.

 

Pessoa. Er selbst, Poesia – Poesie

S. Fischer Frankfurt 2014. € 26,99