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Fritz Teppich - Der rote Pfandfinder

Von Thomas Behrens *

Ericeira, ein kleines Fischerdorf an der portugiesischen Atlantikküste, im Spätsommer 1946. Fritz Teppich, 27 Jahre alt, bekommt von der Jüdischen Gemeinde Lissabon ein Telegramm. Es ist die Genehmigung, auf dem amerikanischen Truppentransporter "Marine Marlin" zurück nach Deutschland reisen zu dürfen. Zurück in das Land, das für den Tod seiner engsten Familienangehörigen verantwortlich ist. Zurück in das Land, das für seine Flucht vor Krieg und Verfolgung durch ganz Westeuropa verantwortlich ist. Zurück in ein zerstörtes Land. Er könnte auch nach Amerika oder Australien gehen. Zusammen mit seiner Geliebten Selma Oppenheimer, die mit ihm in Ericeira im Exil lebt, nach New York. Doch der überzeugte Kommunist Fritz Teppich will zurück, will Deutschland vom Faschismus befreien und für eine bessere Gesellschaft kämpfen, die der Kommunismus verheißt. Kämpfen, so wie er es auch in Spanien in der republikanischen Armee gegen Franco getan hatte. Er trennt sich unter Schmerzen von Selma, seiner ersten großen Liebe, und geht voller Illusionen an Bord des Schiffs - in eine ungewisse Zukunft...

Dort muss er feststellen, dass auch Angehörige des Nazi-Regimes auf dem Schiff sind, die, von Südamerika kommend, nach Deutschland zurück gebracht werden. Als er zusammen mit ihnen in den gleichen Räumlichkeiten untergebracht werden soll, protestiert er - und bekommt Recht.

Das Leben von Fritz Teppich, heute 87 Jahre alt, einem Berliner Juden, Kommunisten und Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg, der auf der Flucht vor den Nazis nach Portugal, genauer gesagt, Lissabon und Ericeira, gelangte, ist geprägt vom Kampf gegen den Faschismus. Seine Autobiografie Der rote Pfadfinder gibt einen Überblick über die Stationen seines Lebens; sie ist ein erschütternder Augenzeugenbericht, der von Krieg, Leid, Flucht, Kampf und Liebe handelt.

Fritz Teppich hat seine Familie durch den Holocaust verloren. Er hat miterlebt, wie sich der lange Schatten der Nazi-Barbarei über Europa gelegt hat, und er hat dagegen gekämpft, mit Worten und Taten. Und er kämpft noch heute dagegen. Helma Sanders-Brahms hat ihn 1994 für ihre sehenswerte TV-Dokumentation "Jetzt leben - Juden in Berlin" bei einer Protest-Aktion vor dem Berliner Kempinski-Hotel gefilmt. Als Angehöriger der Kempinski-Familie, die von den Nazis enteignet und ermordet wurde, protestiert er gegen die Weiterführung der damals "arisierten" und heute weltumspannenden Hotelkette unter diesem jüdischen Familiennamen.

1918 im Berliner Westen geboren, wird dem Kind jüdischer Eltern Fritz Teppich schnell klar, dass es nicht so sein darf wie andere deutsche Kinder. Die politische Radikalisierung in den Weimarer Jahren wirkt bis in alle Altersklassen. Er fühlt sich bei den "Roten Pfadfindern", einer kommunistischen Jugendorganisation, am besten aufgehoben. Seine Mutter, die er als sehr weitsichtig beschreibt, schickt die Kinder dann auch früh ins Ausland, um eine Berufsausbildung zu machen. Fritz lernt Koch in Paris.

Am Abend des 18. Juli 1936 hält die führende kommunistische Politikerin Dolores Ibárruri als Antwort auf den Franco-Putsch eine leidenschaftliche Rundfunkrede: "Es ist besser, auf den Füßen zu sterben, als auf den Knien zu leben. ¡No pasarán!"

Daraufhin beschließt Fritz Teppich, damals 17-jähriger Küchenhelfer in einem Restaurant in den Ardennen, die republikanische Armee freiwillig zu unterstützen. Im Laufe des Krieges, der, wie er meint, zu Unrecht als Bürgerkrieg bezeichnet wird, muss er feststellen, dass die Westmächte der demokratisch gewählten Regierung nicht zu Hilfe kommen, während Franco mit massiver Unterstützung der deutschen und italienischen Luftwaffe rechnen kann. Bürgerkrieg? Eher ein Vorbereitungskrieg der faschistischen "Achsenmächte", um in Westeuropa gleichgesinnte Regime zu etablieren, bevor es gen Osten geht...

Nach dem Spanischen Krieg kehrt er zurück nach Belgien, wo er den deutschen Einmarsch in Brüssel erlebt. Flucht ins noch nicht besetzte Frankreich. Wieder kommen die Deutschen. Immer wieder Internierungen, Arbeitslager. Entweder er ist Deutscher - und somit Feind der Alliierten, oder er ist Jude und Kommunist - und somit Hauptfeind der Faschisten. Er hat längst gelernt, dass er sich nur auf sich selbst verlassen kann und auf seinen Überlebensinstinkt.

1942. Als in einer deutschen Arbeitskompanie im südfranzösischen Lot-et-Garonne alle jüdischen Zwangsarbeiter aufgefordert werden, sich zur Deportation zu melden, ist es wieder dieser Instinkt, der ihm zur Flucht verhilft. Flucht vor dem sicheren Tod, denn, wie er später erfährt, ging diese Reise direkt in die Vernichtungsfabrik Auschwitz. Original-Ton Fritz Teppich: "Die Leute waren sehr naiv damals. Sie ahnten ja nicht, was auf sie zukommen würde. Ich hatte mir damals längst geschworen: Nie wieder lässt du dich einsperren. Ich hatte meine Flucht und die Illegalität schon vorbereitet, und ich hatte mich gut informiert. Die Schweiz kam nicht in Frage, obwohl es von Südfrankreich aus nicht weit gewesen wäre. Man wusste, die Grenzen waren zu gut bewacht, und man würde nach Deutschland ausgeliefert. Also Portugal. Ich sprach fließend Spanisch, ich hatte mir einen guten Anzug und Papiere besorgt, die mich als Spanier auswiesen. Aus Erfahrung wusste ich, dass man nicht als Flüchtling zu erkennen sein durfte. Also musste man ohne Koffer reisen und immer geputzte Schuhe tragen, auch wenn man vorher durch einen Fluss gewatet war. Und dann hatte ich noch immer gute Kontakte zu spanischen Widerstandskämpfern, die weiterhin aktiv waren. Die Grenze zu Portugal, das wusste man, war sehr schlecht bewacht, das waren faschistische Bruderstaaten."

Zunächst gelangt er über Perpignan in die Pyrenäen, wo er zu Fuß die im Hochgebirge verlaufende Grenze zu Spanien überquert. Dann, in Barcelona, versucht er es zunächst beim Britischen und danach beim Amerikanischen Konsulat. Fehlanzeige: Als "Deutscher" und ohne Geld konnte er froh sein, nicht direkt verhaftet zu werden.

Der Verzweiflung nahe, erinnert er sich an einen Kameraden aus dem Republikanischen Armeekorps. Ein bekannter Arzt aus einer noblen spanischen Familie, dessen Rufnummer tatsächlich im Telefonbuch von Barcelona steht! Er geht zu ihm und erklärt, dass er auf der Flucht nach Portugal ist. Sofort zückt der Mediziner seine Brieftasche, gibt ihm 300 Peseten (damals ca. zwei Monatslöhne eines Arbeiters) und verspricht, ihm ein Durchreisevisum zu beschaffen. Damals brauchte man für jede Reise ein Visum, auf Grund der Sicherheitslage im noch jungen Franco-Spanien. Zwei Tage später kommt Fritz wieder zu ihm, um das Visum abzuholen. Der Arzt hält es in seiner Hand und zerreist es vor seinen Augen. Fritz Teppich bekommt Angst, wird misstrauisch. Verrat?

Der Mediziner erklärt, dass er in der Widerstandsbewegung aktiv ist, und dass die Behörden den Namen desjenigen, der das Visum abgeholt hat, notiert haben. Das bedeutet, dass im Fall einer Festnahme Fritz Teppichs die gesamte Widerstandszelle auffliegen würde.

Der Arzt sagt ihm, dass er selbst zu den Behörden gehen und mit seiner "spanischen" Identität das Visum holen muss. Dazu ist es wichtig, einen kompletten spanischen Lebenslauf zu erfinden, und den in Anwesenheit von misstrauischen Polizisten und Beamten glaubhaft vortragen zu können. Möglichst sind jedoch lange Befragungen und Kontrollen generell zu vermeiden. Fritz wählt für den Behördengang die heiße Mittagstunde, und gibt an, aus Galizien zu stammen, aber dann lange im Ausland gelebt zu haben. Jetzt also wolle er in seine Heimat, nach Mérida reisen. Schliesslich bekommt er das Visum, fährt mit dem Zug durch Spanien, überquert zu Fuß und unbemerkt die Grenze zu Portugal und gelangt schließlich nach Lissabon, wo er sich bei der Jüdischen Gemeinde als Flüchtling aus Deutschland zu erkennen gibt.

In Lissabon wird er bei dem Versuch, Kontakt mit der Französischen Résistance aufzunehmen, von der PVDE verhaftet und ins Zuchthaus Aljube gegenüber der Kathedrale gesperrt. Dort lernt er den kommunistischen Führer Pires Jorge kennen und freundet sich sofort mit ihm an. Er erfährt von ihm, dass es auch in Portugal Streikwellen im Industriebezirk Barreiro gibt und dass das faschistische Regime keineswegs großen Rückhalt im Volk besitzt.

Nach ca. vier Monaten wird Fritz Teppich in der Abgeschiedenheit von Ericeira unter Hausarrest gestellt, unter relativ laxer Aufsicht eines PVDE-Beamten. Die letzten, extrem brutalen und mörderischen Kriegsjahre überlebt er dort am Atlantik, in idyllischer Umgebung, verliebt in seine Freundin Selma und in Ungewissheit über das Schicksal seiner Familienangehörigen. Er lernt die portugiesische Sprache und gewinnt einen Einblick in die Seele des portugiesischen Volkes. Ein Volk, zu dem er eine große Nähe verspürt und dem er zutiefst dankbar ist...


* Thomas Behrens lebt in Lissabon und bereitet gerade einen Dokumentarfilm über Fritz Teppich vor. An einer vom TV-Sender RTP-Memória ausgestrahlten Sendung über Fritz Teppichs Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg hat er bereits mitgewirkt. Die Sendung steht als DVD-Kopie allen Interessierten zur Verfügung. Wer mehr Informationen zum Thema Fritz Teppich wünscht, kann den Autor unter folgender e-mail-Adresse erreichen: fufubites@hotmail.com




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Portugal-Post Nr. 35 / 2006


Fritz Teppich 1936 auf dem Weg nach Spanien




Fritz Teppich mit seiner damaligen Freundin Selma Oppenheimer; ca. 1945, Ericeira, im Park




Fritz Teppich 1994 bei einer Aktion des "Jüdischen Runden Tisches" (hier: jüdisches Totengebet) gegen den Missbrauch des Namens Kempinski der Kempinski-Hotelkette, die 1942 von den Nazis "arisiert" wurde. Berlin, Fasanenstraße




Fritz Teppich 1994 bei einer Pressekonferenz zum Fall Kempinski im Literaturhaus Fasanenstraße.
V.r.n.l.: Staffa (ev. Historiker), Fritz Teppich, Moses Krause (Verleger), Mario Offenberg (Sprecher der Orthodox-Jüd. Gemeinde)