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Ein Foto sollte es sein

Von Helge Dankwarth

Ein Foto sollte es sein, von Amálias Sommerhaus in der Nähe von Vila Nova de Milfontes. Das war unser kleiner Plan, wo wir doch ohnehin mit dem Leihwagen ein wenig die Westküste neu erkunden wollten. Hoch über der Mündung des Rio Mira fanden wir einen schönen Aussichtsplatz. Dort hinten, dieses schöne weiße Haus auf der Fortaleza, das könnte es sein. Die jungen Leute, die wir fragten, wussten nicht wem das auserkorene Haus gehört und Amália kannten sie auch nicht. Aber klar, das war ja auch unüberlegt. Wenn man was über Fado oder seine Interpreten erfahren will, muss man die reiferen Jahrgänge fragen. Da wurden wir bei zwei Damen im besten Alter auch sofort fündig. „Nein, Senhor, das Haus von Amália ist auf der anderen Seite des Flusses, in der Nähe von Zambujeira do Mar!“

In diesem zauberhaften Zambujeira, einem weißen Örtchen über dem Meer, gibt es einen Turismo. Der Andrang hielt sich hier am 1. Oktober natürlich in engen Grenzen und bestand nur aus einer Nachbarin, welche hier wohl zum Klönschnack weilte und mir. Zwei sehr nette Damen sind das Turismo-Team. Aber alle drei sind Amália-Experten und zeichnen mir auf, wo das Haus von Amália ist, nämlich in Brejão, und merken auch ein klein wenig stolz an, dass der etwas weiter südlich gelegene Strand «Praia da Amália» im Volksmund heißt. In der Mercearia von Brejão fand man das überhaupt nicht merkwürdig, dass da einer mit einer Carequinha, Shorts und weißen Söckchen nach dem Haus von Amália fragte, und so war die Antwort kurz und bündig: erste links, dann erste rechts! Die erste links war leicht zu finden, aber die erste rechts leider nicht! Plötzlich waren wir in Azenha do Mar und das war schon viel zu weit. Also zurück nach Brejão und lieber nochmal fragen.

Es war jetzt etwa schon 17 Uhr und der Tag begann bei uns seine Spuren zu zeigen. Die Frische ließ durch die hohe Temperatur in unserem kleinen Auto langsam nach. Aber meine Frau baute mich wieder auf: „Du warst noch nie so dicht dran! Gib jetzt nicht auf!“ Linker Hand kamen gerade viele Landarbeiterinnen vom Feld und sie sagten, dass wir nur 200 m zurück müssten und dort sei dann die Einfahrt. Wir kamen nach ca. 600 m Feldweg an eine halbhohe weiße Mauer, in der sich ein offenes Tor befand. An die Mauer malte eine sympathisch aussehende Frau, welche keine Profimalerin zu sein schien, wunderschöne bunte Blumen. „Ist dieses die Quinta von Amália Rodrigues?“ fragte ich. „Ja, aber Amália ist im Moment nicht da.“ „Das macht nichts. Ich wollte fragen, ob ich vielleicht ein paar Fotos von ihrem Haus machen darf .“ „Amália wird in einer halben Stunde zurück sein. Sie ist nur in São Teotónio.“ „Senhora, ich bitte Sie, meine Frau und ich, wir wollen doch nicht stören. Wir dachten, dass wir vielleicht zur Erinnerung einige Fotos des Hauses machen dürfen.“ „Ach, der Senhor und seine Frau haben keine Zeit?“

Diese Frage war eigentlich das allergrößte, was ich Amália keine Zeit hätte? Meine Frau und ich versuchten jetzt keine weitere Gegenwehr mehr. Ich ging der Pintora etwas zur Hand und gelobt sei a pontualidade portuguesa: nach wenig mehr als 20 Minuten kam ein schöner großer Volvo und auf dem Beifahrersitz saß – Sie werden es nicht erraten – Amália! Das Fahrzeug stoppte, die Pintora öffnete die Tür auf Amálias Seite einen Spalt und erzählte ihr vermutlich ganz kurz, was es mit den beiden germanischen Figuren da auf sich habe. Dann ließ Amália die Scheibe runtergleiten, lächelte mich an und hielt mir durch das jetzt geöffnete Seitenfenster die Hand hin. Ein Handkuss wäre jetzt sicher das passende gewesen, aber auf diese Idee kam ich leider nicht. Stattdessen nahm ich ihre Hand ganz vorsichtig zwischen meine beiden Hände und streichelte sie ein wenig. Es schien sie nicht zu überraschen und sie fragte, ob wir nicht in das Haus gehen wollten. Nun rollte also unser kleiner Leihwagen hinter dem großen Volvo her durch den Park, der vor Amálias Haus liegt.

Freundlich begrüßt wurden wir von zwei schäfer-hundgroßen Vierbeinern vor dem Haus. Der eine wollte sogleich erstmal gestreichelt werden und der andere, welcher an einer langen Kette lag und vor dem Amália warnte, benahm sich zwar etwas wachhundartig, wollte aber wohl auch nur gekrault werden. Erst jetzt, nachdem sie ausgestiegen war, konnten wir sehen, wie phantastisch Amália aussah. Ihre wunderbare Frisur, das unauffällig geschminkte und strahlende Gesicht, ein Traumkleid in rot und blau, welches die schöne Figur dezent betonte, dieses alles war das Bild einer Mitt- oder Endfünfzigerin. Ja, wenn da nicht die zwei verschiedenen Schuhe gewesen wären! Während der Autofahrt hatte Amália sich nämlich goldene Sandalen angezogen. Durch den von uns an der Einfahrt verursachten Aufenthalt war sie nun aber nicht mehr dazugekommen, diese wieder zu tauschen, und so hatte sie jetzt eine goldene Sandalette und einen mitternachtsblauen Pumps an.

Unter fröhlichem Gelächter betraten wir das Haus. Das Haus einer Portugiesin. Tapeten und Polstermöbel in gedämpften Landesfarben, sparsam und edel möbliert und das alles auf dem schönsten Teppich aus Arraiolos, den ich je gesehen habe. Und wahnsinnig gemütlich. Wirklich schade, dass es dieses Wort im portugiesischen nicht gibt. Gebaut hoch über der Steilküste mit Blick nach Westen ist es wahrscheinlich das Haus der schönsten Sonnenuntergänge. Auch jetzt am späten Nachmittag bot sich uns schon ein beeindruckendes Bild. Die Pintora, deren Namen ich mir leider nicht gemerkt habe, war mit in das Haus gekommen, und ziemlich zeitgleich mit uns war auch noch Amálias Freundin Giselle aus Porto eingetroffen. Wir saßen um den Couchtisch, nur die Pintora hatte sich wegen des Malerzeugs zu Füßen von Amália auf den Boden gesetzt.

Zunächst waren die drei Damen, als wenn es abgesprochen wäre, jetzt bemüht, meiner Frau und mir die Hemmungen zu nehmen. Ihnen war sicher klar, dass wir ziemlich unerwartet auf dem Sofa von Amália gelandet waren und entsprechend aufgeregt. Amália meinte, dass sie sich ohnehin nur noch mit Menschen umgäbe, die sie mag und bei uns beiden hätte sie sofort gesehen, dass wir „natürlich“ seien. Amália sagte: „Ich kann auch einen Satz auf deutsch: Möchten Sie mit mir spazieren gehen?“ Die Bedeutung kannte sie aber nicht. Nachdem ich übersetzte, meinte sie dann: „Egal, ich war ohnehin noch viel zu jung!“ Wir mussten erzählen, wann wir das erste Mal nach Portugal kamen, was uns hier so gut gefällt und natürlich auch, wie wir zu Fado fanden. Als wir erzählten, dass wir unseren ersten Fado live vor 15 Jahren in einem Restaurant nahe dem Largo Chafariz de Dentro gehört hatten, wusste Amália sofort, dass die «Parreirinha de Alfama» gemeint war, welche im Volksmund auch «Cantinho da Amália» heißt.

Es ging um ihre Reisen – sie war Mitte der 60er Jahre auch in Hamburg aufgetreten – und in wievielen Sprachen sie singt. Mit voller Stimme und wie in besten Zeiten stimmte sie einen amerikanischen Schlager an und sang die ersten beiden Zeilen. Neben englisch schreibt, spricht und singt sie auch noch in französisch und spanisch. Wohl wissend um die hinreißenden Interpretationen von Belle de jour und die Legende von Aranjuez konnten wir Fan-Punkte auf unser Konto buchen. Zwischendurch gab es dann Tee und Käsehäppchen, hergerichtet und serviert von Ilda Aleixo, einer Frau mit einem so lieben Gesicht und seit 32 Jahren die treue Begleiterin von Amália. Umgeben mit Menschen, die man mag, das war Amália gelungen! So richtig zum Fado gelangte die Unterhaltung dann auf einem Umweg. Da wir uns bei ihr so sehr wohlgefühlt hatten und sie das wohl auch mit Freude bemerkte, lud sie uns in ihre Lissabonner Wohnung, in die Rua São Bento ein. D. Giselle schrieb uns die Adresse auf. Da unser Portugalurlaub in 1999 schon fast vorüber war, ging es im selben Jahr ja nun leider nicht mehr. In Anlehnung an ihren berühmten Fado «Havemos de ir a Viana» sagte ich «Havemos de ir a Lisboa no próximo ano», und an dieser Stelle sagte sie, dass ihr Leben mit dem Fado nicht ihr Verdienst sei, es käme alles von Gott!

Bevor wir gingen, erbaten wir ein Autogramm. Auf der ersten Bildpostkarte war Amália mit ihrer Schrift unzufrieden. D. Giselle holte eine andere und Amália sagte: „Die gefällt mir sowieso besser, weil ich da ja noch viel jünger bin.“ Sie schrieb: Para a Edelrot e o Helge um beijinho da Amália. Wir verabschiedeten uns, den Handkuss hatte ich jetzt voll drauf, aber als Edelrot dann Amália die Hand geben wollte, machte sie zwei Schritte auf Edelrot zu und küsste sie auf beide Wangen. Es ist abgemacht, nächstes Jahr in Lisboa? – Sim, está combinado! Die Damen winkten uns nach, bis der Weg im Park eine Biegung machte. Edelrot sagte: „Hoffentlich wachen wir nicht gleich auf und haben nur alles geträumt!“

Nur 5 Tage nach diesem für uns unvergesslichen Nachmittag und Abend ist Amália vorausgegangen. Obgleich das so nicht ganz richtig ist, denn aus der Sicht ihrer großen Gitarristen ist sie ziemlich spät erst gekommen. Sie ist 79 Jahre alt geworden. Ich wage mir nicht vorzustellen, was die dort oben jetzt wohl für Musik machen. Wer so lange und so treu seinem Herrn gedient hat, bekommt im Himmel sicherlich einen ganz besonderen Platz; in unseren Herzen hat sie ihn sowieso!





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Portugal-Post Nr. 9 / 2000


Plakat zu dem Amália-Konzert im Pariser Olympia, 1985




Amália Rodrigues, Foto aus den 50er Jahren




Amália in einem typischen Lissabonner Fadolokal. Szene aus dem Film «Fado Corrido» von 1964, Foto: João Martins, ANF