.
   


Vom Ursprung des Fado

Von Peter Koj

Ähnlich umstritten wie die Frage nach dem Wesen des Fado ist die nach seinem Ursprung. Ziemlich einfach ist die Sachlage beim Coimbra-Fado, der sich als reine Domäne der Männer und durch seine enge Bindung an die akademische Welt schon soziokulturell deutlich vom Lissabonner Fado absetzt. Er steht inhaltlich wie von der Darbietung her ganz in der Tradition der mittelalterlichen Troubadoure und hat vor allem durch die italienische Opernkultur des 19. Jahrhunderts seine endgültige Ausformung als die portugiesische Form der Serenade erfahren, d.h. als Ständchen, das der verliebte Sänger unter dem Balkon der Angebeteten mit viel Schmelz (manche sagen auch: Schmalz) und geschulter Stimme (bel canto) vorträgt.

Und wie sieht dies beim Lissabonner Fado aus? Hier wird immer wieder auf afro-brasilianische Wurzeln verwiesen, natürlich besonders nachdrücklich von brasilianischer Seite, so zuletzt vom brasilianischen Musikforscher José Ramos Tinhorão in seinem Buch «Fado: Dança do Brasil, Cantar de Lisboa – O Fim de um Mito» (1994). In Brasilien gab es Ende des 18. Jahrhunderts verschiedene Musik- und Liedformen, die in den Fado eingegangen sein sollen: die «modinha», die «fofa» und der «lundum». Es gab sogar einen Tanz, der dem Fado den Namen gegeben haben könnte, der «faddo», bei dem die Tanzpartner sich mit bestimmten Körperteilen, vor allem Bauch und Hinterteil, anstießen, also ein früher Vorläufer der «lambada».

Dieser «fado dançado» wurde dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der weißen Bevölkerung Brasiliens übernommen und wanderte in den 30er Jahren nach Portugal, wo er in den Arbeiterkneipen und Bordellen in der Nähe des Hafens (Alfama, Bairro Alto) eine neue Heimat fand. Dargeboten wurde er vor allem von Prostituierten und ihren Zuhältern und erst ab der Mitte des Jahrhunderts mischten sich Vertreter höherer sozialer Schichten darunter, vor allem liberale Adlige, die sich von der Bohème-Atmosphäre des Fado angezogen fühlten. Wir wissen von zeitgenössischen Berichten, dass es bei der Darbietung des Fado sehr gemischt zuging und es häufig nicht nur bei Anzüglichkeiten verbaler Art blieb.

Eine größere Ernsthaftigkeit kam in den Fado durch eine andere Strömung, die im allgemeinen weniger Beachtung findet, wenn es um die Erklärung der Ursprünge des Fados geht: die Bänkelsängertradition. Ähnlich wie in Deutschland die Moritatensänger gab es in Portugal bis in das 20. Jahrhundert hinein ziehende Sänger und Sängerinnen, die sentimentale und erschütternde Ereignisse, wir würden sagen Schund- oder Trivialliteratur (literatura de cordel), vortrugen, begleitet allerdings nicht von der Drehorgel, sondern von der guitarra portuguesa. Dieses Instrument wird inzwischen als für den Fado charakteristisch und unverzichtbar angesehen. Aber es gibt noch einen weiteren Bezug, der die enge Verwandtschaft von Fado und Bänkelgesang zeigt: die quadra und die décima, die sowohl für den Bänkelgesang und die Volkslyrik (bekanntester Vertreter: António Aleixo) als auch für den Fado typische vier- bzw zehnzeilige Strophe.

Bis zum heutigen Lissabonner Fado, so wie ihn Amália verewigt hat, waren dann allerdings noch ein paar entscheidende Sprünge vonnöten: so vom Land zur Stadt und vom Tag zur Nacht. Und was die Obszönität des Inhalts einerseits und seine Trivialität andererseits angeht, so gibt es diese zwar nach wie vor, vor allem beim fado vadio vor heimischem Publikum. Aber wer als professioneller fadista auf sich hält, singt inzwischen literarisch anspruchsvolle Texte, die er/sie häufig bei einem oder einer von Portugals Spitzendichtern oder -dichterinnen in Auftrag gegeben hat. Auch an dieser Entwicklung des Fado zur Kunstform ist Amália maßgeblich beteiligt. Dem Einfluss ihres Komponisten und musikalischen Beraters Alain Oulman ist es zu verdanken , dass sie nicht nur „Klassiker“ wie Camões und Pessoa gesungen hat, sondern auch dem Salazar-Regime so unbequeme Dichter wie Alexandre O’Neill und Manuel Alegre.





| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 9 / 2000


Der Fadista, Zeichnung von Rafael Bordalo Pinheiro aus dem Jahr 1872