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Der Portugiesisch-jüdische Friedhof in Altona

Von Michael Studemund-Halévy *

Im Jahre 1611 erwarb die junge portugiesische Gemeinde ein Grundstück an der heutigen Königstraße vom Grafen Ernst III von Schauenburg, um hier ihre Toten zu bestatten. 1616 fand die erste Beerdigung statt. In der Folgezeit entstand eine Friedhofsanlage, die an Umfang (fast 2000 Grabstellen) und künstlerischer Gestaltung nur noch vom Sefardenfriedhof in Ouderkerk (bei Amsterdam) übertroffen wurde. Heute befinden sich hier noch 1652 mehr oder weniger gut erhaltene Grabmonumente: 1535 aus Oberkirchener Sandstein, zweiundfünfzig aus Marmor, zweiundsechzig aus Kalkstein sowie ein Grabstein aus Basalt. Zu den liegenden Grabplatten kommen neunundzwanzig Tumben oder Zeltgräber (hebr. ohalim), zwei Sarkophage aus Cottaer Sandstein sowie einige Stelen. Grabplatten und Zeltgräber existieren sowohl in schwarzem Marmor als auch in weißem Stein, aus dem die frühesten Gräber sind. Wie kostbar ein Stein gewesen sein muß, zeigt zum Beispiel der Grabstein der Debora Chiloa (gest. 1635), der 1990 bei Restaurierungsarbeiten aufgedeckt wurde: Die Rückseite des Steins zeigt eine Inschrift in deutscher Sprache, muß also früher ein christliches Grab bedeckt haben.

Zelt- oder Pyramidalgrab

Zeltgräber stehen bevorzugt nebeneinander, seltener findet man sie isoliert. Das an ein Zelt oder einer Pyramide erinnernde Grabmonument läuft nach oben spitz zu und besitzt zwei Langseiten und zwei dreieckige Schmalseiten. Die gesamte Fläche der Langseiten werden von je einem hebräischen bzw. einem hebräischen und/oder einem portugiesischen Text bedeckt, gelegentlich in der Mitte des Textfeldes von einem Familienwappen unterbrochen. Ein reiches Schmuckband aus floralen Elementen rahmt die vier- bis fünfzeiligen langgezogenen Schriftfelder ein. Die Oberkante ist oft zu einem schmalen Band mit Textzeile und/oder floralen Elementen ausgebildet, die Schmalseiten schmücken Baum, Sonne, allgemeine Todessymbole wie Totenschädel (mit oder ohne Gebeine), Lebensbäume eine biblische Szene oder ein aufgeschlagenes Buch, Sprüche und Embleme, seltener florale Elemente. In einem Fall wurde das Zeltdach von vier an den Ecken postierten Engeln getragen.

Grabplatten

Die die ganze Grabstelle bedeckenden, manchmal aufgemauerten Grabplatten sind ausgezeichnet gearbeitete Kunstwerke, fast immer mit dekorativen und allegorischen Abbildungen geschmückt: Erhöhte Rosetten, häufig in der geometrischen Zierfigur des ‹ewigen Rades›, runde, rosettenähnliche Verzierungen oder Engelsköpfe an den vier Ecken des Steins außerhalb der Einrahmung, wie man sie von den jüdischen Sarkophagen der Antike kennt. Dazu fein ziselierte Buchstaben und gemeißelte florale und geometrische Ornamente. Plastische und realistische Reliefs befinden sich meist in den Feldern am Kopf oder am Fuß, die Wappen mit wenigen Ausnahmen aber immer in der Mitte.

Die meist zweisprachigen Grabtexte sind gewöhn-lich ornamental oder architektonisch gerahmt: portugie-sische Texte umlaufen der Grabplatte, hebräische und portugiesisch-spanische Texte sind in Zeilen mehr oder weniger kunstvoll untereinander angeordnet. Die eingegrabene Schrift ist in der Regel am Kopf in hebräischer, am Fuß in portugiesischer Sprache. Die portugiesischen Texte sind fast immer in lateinischen Majuskeln, seltener in Schreibschrift. Die meisten Grabplatten schließen oben horizontal ab, andere mit einem Rundbogen. Einige laufen in einer geschwungenen barocken Linie aus. Bearbeitete Teile der Oberfläche, die die Inschriften, symbolische Motive oder Bildszenen enthalten, sind entweder in den Stein vertieft oder erhaben gearbeitet und durch feine Profile von der übrigen Steinplatte abgesetzt. Neben Rosetten und Engelsköpfen rahmen breite Traubenranken, Perlstäbe, Palmenzweige, Draperien die Grabplatte ein.

Grabschmuck

Die Einzigartigkeit der jüdisch-portugiesischen Grabkunst zeigt sich vor allem in der Darstellung von Menschen- und Tiergestalten unter Verletzung des zweiten Gebots: ‹Du sollst Dir kein Bild machen, kein Abbild dessen, was im Himmel droben und was auf Erden hier unten und was im Wasser und unter der Erde› (Exodus 20, 4), das später mit dem Verbot der Bilderverehrung (Exodus, 20,5) verknüpft wurde. Das Bilderverbot hat für die Portugiesen weder auf den Friedhöfen noch in den Synagogen bestanden. Häufig zitiert die Grabkunst die jüdisch-islamische Buchmalerei. Auf der Iberischen Halbinsel nahm im 14. und 15. Jahrhundert die Illustration biblischer Szenen in dem Maße zu, in dem die Kenntnisse des Hebräischen und damit das Verständnis jüdischer Texte abnahm. Überdies unterlagen die illuminierten Texte weniger Einschränkungen von christlicher Seite.

Fast alle Motive, die wir auf den Portugiesen-friedhöfen finden, kommen als Schmuck auch auf jüdischen Ritualobjekten wie tas (Toraschild), parokhet (Toravorhang), rimonim (Torakronen), Hanukkaleuchter, Amulettbehälter, aber auch auf Medaillen oder Gürtel-schnallen vor. Sie schmücken mittelalterliche Hand-schriften (z. B. Haggadot) und Gebetbücher, vor allem aber die verschwenderisch illustrierten italienischen ketubbot (Heiratsverträge). Später führte die Anpassung an den Geschmack und die Moden der christlich-bürgerlichen Welt, das heißt an die kulturell attraktive, spät zugängliche und um so stärker bestimmende Mehrheit, zu Veränderungen auch der Formen und der Gestaltung.

Die Symbolik sefardischer Grabsteine läßt sich inhaltlich in traditionell religiöse und ursprünglich nichtreligiöse einteilen, sowie in solche, die sich auf Personen beziehen, und in solche allgemeinen Charakters. Symbole und Motive entstammen neben der jüdischen Überlieferung vor allem der griechisch-römischen Antike und dem Christentum. Architektonische Elemente in den kunstvoll dekorierten hebräischen Inkunabeln und in der Buchmalerei wie Säulentor und gedrehte Säulen, szenische Illustrationen in den Druckwerken des 17. Jahrhunderts und in den Haggadot und Megillot sowie in den reichverzierten Ketubbot dienten den jüdischen Auftraggebern und ihren christlichen oder jüdischen Steinmetzen häufig als Vorlage für die künstlerische Gestaltung des Grabes. Das Motiv der zwei seitlich aufgesockelten Säulen mit Giebelabschluß, deren gedrehter Schaft mit Weinlaub und Weintrauben umrankt ist, entwickelt sich im 16. Jahrhundert als Tormotiv mit Säulen und Verbindungsbögen auf den Titelblättern hebräischer Drucke und bestimmt später auch den barocken Toraschmuck. Auch hier ist eine Beeinflussung durch den zeitgenössischen Buchdruck nicht auszuschließen. Weiter zeigen Abbildungen von Braut und Bräutigam, von halbnackten Frauenportraits und Herzen und Pfeilen sowie von Sonne und Mond auf den italienischen Ketubbot (Heiratskontrakten) des 17. und 18. Jahrhunderts, aber auch im Pentateuch (Prag 1530) und in Miszellenhandschriften, wie sehr das jüdische Bilderverbot besonders in Italien mißachtet wurde. Von Italien ausgehend und unterstützt durch den christlichen (und jüdischen) barocken Buchdruck schmücken sich im 17. Jahrhundert sefardische Grabplatten mit geflügelten und halbnackten Putti oder Kinderengeln. Stellen die Putti in den ketubbot nichts anderes als Allegorien der Liebe dar, so symbolisieren sie auf den Gräbern Mildtätigkeit und Mutterliebe.

Biblische Szenen

Zusammen oder mit den dazugehörenden Bibel-Zitaten werden immer wieder biblische Szenen dargestellt, vor allem die Geschehnisse um Abraham und Isaac, Jakob, Mose und David. Es handelt sich um künstlerisch packend ausgearbeitete Bildszenen, die sich auf den biblischen Text stützen und immer auf den Vornamen des/der Verstorbenen anspielen. Bilder und Bildgeschichten aus dem Leben Miriams, Ruths, Esthers und Judiths sind ein fester Bestandteil der mittelalterlichen jüdischen und christlichen Kunst. Darstellungen dieser ‹starken› Frauen sind auf den sefardischen Grabsteinen jedoch sehr selten. Die biblische Szene ‹Rahel mit den Schafen› hingegen ist sowohl in Hamburg als auch in Ouderkerk und auf Curaçau häufig.

Familienwappenatz

Familienwappen, die stolz von der (realen oder fiktiven) aristokratischen iberischen Vergangenheit ihrer Träger künden, sind auf den Portugiesenfriedhöfen Curaçau, Amsterdam und Hamburg zahlreich vertreten. Wappen kommen vor allem auf den besonders reich ge-stalteten Gräbern aus Marmor vor. Einige Motive, die innerhalb der Familienwappen auftreten, werden auch als Einzelmotive verwendet, so beispielsweise Palme und Anker. Die sefardischen Juden brachten ihre Familien-wappen bereist aus Spanien und Portugal mit, auch wenn in einigen Fällen eine spätere Tradition anzunehmen ist.


* Michael Studemund-Halévy, Hamburger Dozent und Sachbuchautor (Spezialgebiet: Portugal), ist Herausgeber der Reihe „Die Sefarden in Hamburg“. Sein Band über den Friedhof Königstraße erscheint demnächst. Die Sefardenausstellung im Rathaus ist von ihm organisiert.






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Portugal-Post Nr. 8 / 1999


Grabstellen auf dem Friedhof in Altona




Grabstelle in Ohel_Form des Isaac Cohen Pimentel