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Portugal no coração

Eine Glosse von Uly Foerster *

An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Mit einem unbekannten Gefühl der Zerrissenheit würden wir uns durch den Alltag schleppen, prophezeiten die, die schon zerrissen waren. Und statt eine zweite Heimat hinzu zu gewinnen, besäßen wir bald nur noch eine halbe hier und eine halbe dort.

Sie behielten natürlich recht, die Bedenkenträger. Kaum war der zweite Wohnsitz in Portugals Süden gegründet, war es mit unserer Ruhe in Deutschlands Norden vorbei. In schlaflosen Nächten meinten wir, im Januar und Februar die reifen Orangen in unseren südlichen Garten plumpsen zu hören. Keiner würde sie aufheben. Im Mai waren es die Nêsperas (Mispeln), im Juni die Aprikosen, im September die Feigen, und das ganze Jahr die Zitronen. Bei jedem Tief über der iberischen Halbinsel sahen wir es durch das noch nicht reparierte Dach ins Haus regnen. Jedes Hoch erschien uns wie eine tödliche Bedrohung des Gartens. Lissabon wurde renoviert, ohne dass wir noch einmal ein paar Lieblingswinkel sehen konnten. Und wie sollten wir am Abend der Kommunalwahl erfahren, ob es unser Bürgermeister noch einmal geschafft hatte? Portugal no coração.

Und dann. Bei 37 alentejanischen Grad im Schatten wünschten wir uns nördliche Brise und kühlenden Regen. Bei Einkäufen in ländlichen Papiergeschäftchen wuchs die Sehnsucht nach riesigen Buchkaufhäusern mit echter, deutscher Literatur. Der Vorsatz, nur portugiesisches Fernsehen zu schauen, verschwand rasch unter einer riesigen Satellitenschüssel auf dem Dach. Und dank Astra konnten wir plötzlich auch in Europas südwestlichster Ecke den NDR-Verkehrsfunk hören - Stau auf der Kollaustraße, zähfließender Verkehr an der Sechslingspforte, welch ein Spaß, ha, ha. Hamburgo no coração.

Wo immer wir uns aufhalten – es ist der falsche Platz. Das Leben, ein ewiger Fado do retorno. Immerhin, man stumpft ab, und nicht mehr jede Orange, die 3200 Kilometer weiter südlich zur Erde stürzt, löst diese schmerzlich-süße Saudade aus oder zumindest das, was Deutsche darunter missverstehen: Heimweh. Und Hamburg, diese größte portugiesische Gemeinde in Deutschland, versucht schließlich, zu trösten so gut es geht. Nirgendwo in der Bundesrepublik bietet sich uns eine bessere Chance, in der U-Bahn eine portugiesisch geführte Hausfrauendebatte über Bacalhau à Brás zu belauschen. Im Hafenviertel lässt sich ordentlicher Arroz de Tamboril essen, und der Wirt rückt manchmal aus einem Geheimfach unterm Tresen einen alten Roten aus dem Alentejo heraus. Das erstaunliche Mysterium, dass junge Schickis plötzlich literweise Galão trinken und dazu Pastéis de nata in sich hineinstopfen, hat jede Menge neuer Pastelerias wachsen lassen. Noch immer gelingt es dort, mitten zwischen supercoolen hanseatischen Schwarzkitteln, zwei Portugiesen beim ewigen Kampf der Ideologien zu verfolgen: Benfica gegen FC Porto.

Portugal im Herzen Hamburgs. Die jahrhunderte-alte lusitanisch-hanseatische Tradition. Edle Kontore wie in Porto, Harburger Arbeiterviertel jenseits der Elbe wie die Quartiere der einfachen Leute jenseits des Tejo. Im Hafen ein Segelschiff, mal deutsch, mal portugiesisch, dann wieder deutsch, ein Wahrzeichen mit geteilter Heimat. Wo, wenn nicht in Hamburg, könnte ein Deutscher mit Portugal im Herzen leben?

Erst nach einem Jahr haben wir es gemerkt. Bei der Nachbarin im Gärtchen wächst, vor unserem Haus mitten in Eppendorf, ein Nêsperas-Baum. Vor Jahren haben die Kerne der Früchte, aus Portugal mitgebracht, ausgetrieben und sich ins Hamburger Erdreich gekrallt. Portugal no coração de Hamburgo.


* Uly Foerster, 51, von Januar 1997 bis Januar 1998 in Portugal Chefredakteur des Monatsmagazins "Bom Dia, Portugal", arbeitet als Journalist in Hamburg, u.a. als Herausgeber des "Lufthansa Magazins"






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Portugal-Post Nr. 8 / 1999



Auch das Lissabonner Stadtwappen im Innenhof des Hamburger Rathauses zeugt von der Verbundenheit Hamburgs zu Portugal.