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"Wenn Odete ihr Abitur macht"
oder Portugal in Altona

Von Ulrich Mumm *

Das wusste Odete schon sehr früh. In der 7. Klasse, als die Entscheidung über die zweite Fremdsprache anstand, antwortete sie glasklar auf die Frage, warum sie sich für Latein entschieden hatte: „Ich brauche das, ich möchte Ärztin in Portugal werden.“

Sicher war es keine Rückbesinnung einer jungen Portugiesin auf die Lingua Romana Rustica, aber doch eine klare pragmatische Entscheidung. Sind alle portugiesischen Schüler so? Sicher nicht – aber einen Hang zur Klarheit und eine Prise Temperament kann ich den portugiesischen Schülern meiner Schule attestieren.

Portugal in Altona – was für eine historische, was für eine aktuelle Beziehung! Als das (dänische) Altona vor Zeiten nicht nur symbolisch im Stadtwappen seine Tore aufhielt, kamen auch portugiesische Juden nach Altona, um aus einem Land zu fliehen, in dem ihr Glaube gnadenlos verfolgt wurde. Sie kamen nach Altona, weil sie von der dortigen Gewerbefreiheit in Konkurrenz zu Hamburg angetan waren. Dass die Stadt Altona auch Flüchtlinge aus anderen Ländern aufnahm – von den Spaniern verfolgte holländische Protestanten oder französische Réfugiés – sei nur nebenbei erwähnt.
Schulen spiegeln ihren Stadtteil wider. Eine Schule mitten in Altona weist daher eine ähnliche Menge an Nationalitäten auf, wie sie sich in der Struktur der Einwohner zeigt. Interessant ist, dass sich diese Tendenz auch in einer weiterführenden Schule, einem Gymnasium, fortsetzt. Am Gymnasium Allee werden in diesem Schuljahr Schüler aus 16 Nationen unterrichtet. Ihre Eltern oder Großeltern stammen aus Polen und Portugal, aus Italien und Istanbul; aber die Kinder sind fast alle hier geboren, sie sind Altonaer mit ausländischem Pass. Ihre Kommunikation findet im Unterricht und untereinander in deutscher Sprache statt. Aber wenn sie mittags in ihre Familien zurückkehren, tauchen die meisten von ihnen wieder in die Kultur und Sprache ihrer Heimatländer ein. Im muttersprachlichen Unterricht der Konsulate wird ihre Heimatsprache weiter geübt.

Diese Spannung zwischen dem kulturellen Hintergrund der Elternhäuser und einem Hamburger Gymnasium ist nicht nur auszuhalten, sondern produktiv zu nutzen. Im Geographie-Unterricht werden die Heimatländer der dritten Einwanderergeneration berücksichtigt; auf Schulfesten präsentieren die Eltern kulinarische Spezialitäten; in der jährlichen Aktionswoche „Freundschaft macht Schule“ verbinden sich Tänze und Lieder der verschiedenen europäischen Regionen zu der gemeinsamen Aussage: Wir gehören zusammen! Unsere Herkunft mag verschieden sein; wir sind nicht gleich – das wäre ja furchtbar – aber wir sind gleichwertig; wir haben uns gegenseitig etwas zu sagen.

Odete ist zum Studium nach Portugal zurückgekehrt. In ihrem ersten Brief an ihre Schule schrieb sie: „Ich fühle mich in Portugal so wohl, aber ich habe Sehnsucht nach Hamburg“.


* Ulrich Mumm ist Schulleiter des Gymnasiums Allee in Altona, Max-Brauer-Allee 82






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Portugal-Post Nr. 8 / 1999