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Sonne – schlimm, schlimm
Eine persönliche Polemik gegen Sonnenromantiker

Von Uly Foerster

Senhora Noémia Coelho sorgt nicht nur für unser Haus, das auf den Koordinaten 37°, 11’, 13 nördlicher Breite und 8°, 26’, 20 westlicher Länge steht. Das ist ziemlich weit südlich in Europa, und ich bin dorthin gezogen, um nach nördlich-grauen Jahren ein wenig sanften Journalismus über sanften Tourismus zu treiben. Traumjob! Traumjob!, riefen die Freunde, allesamt Hamburger, die ihre Stadt nur bei Sonnenschein bewohnbar glauben und neidisch nach München stieren, wo bekanntlich immer schönes Wetter ist. Sie wußten nicht, wie wenig Geld man dort, im Süden, für viel Arbeit verdient. Und wie das wirklich ist mit dem Leben unter südlicher Sonne.

Senhora Noémia also kümmert sich nicht nur um unser Haus mitsamt dem einst englisch angelegten Rasen, der schon nach wenigen Wochen zur buckligen Brache verdorrt war, sondern auch um ihr eigenes, zu dem Weinreben, Orangen-, Zitronen-, Aprikosen- und Pflaumenbäume gehören. Von ihr weiß ich, daß selbst die Sonne, "Schöpferin herrlicher Tage" und "Leben und Ewigkeit" (Goethe), eine relative Sache ist.

Als eines Morgens die Schöpfung wieder einen dieser herrlichen Tage hervorgebracht hatte und ich das am ewig kalifornienblauen Himmel schon hoch stehende Gestirn erwähnte, da stimmte Senhora Coelho – verständnisinnig, wie sie wohl meinte – aus vollem Herzen ein: "Schlimm, schlimm", bestätigte sie in Sorge um Feld und Frucht, "schlimm, schlimm."

In dieser Sekunde zerstob die nordeuropäische Sonnenromantik, ein Häuflein funkelnder Staub, weggepustet von der Naturphilosophin Coelho, die sich um unser und ihr eigenes Haus kümmert. Ich beschloß, fortan Schattenmann zu werden, ein Leben zu führen, das sich kühl und köstlich und prickelnd anfühlen würde wie Champagner. Sonne ist uncool, der Schatten nicht.

Die Erkenntnis, daß Sonne schlimm ist, sogar schlimmschlimm, ist so neu zwar nicht. Fragen Sie Ihren Hautarzt. Oder einen Wasserbauingenieur in Tansania. Doch glauben will es halt keiner so recht. Das abgeschmackte Dreigestirn Sonne, Strand, Meer bewegt jedes Jahr Milliardensummen und Millionen Menschen.

Womöglich immer in die falsche Richtung. Sonne verdirbt den Charakter, Sonne weckt Ansprüche, Sonne macht intolerant und maßlos. Der Kurzbesucher, der zum Time- und Sunsharing in den Süden reist, erwartet von ihr schließlich nicht nur, daß sie dauerhaft scheint. Er verlangt auch, daß alles, was darunter liegt, im Süden naturbelassen zu sein hat.

Das idyllische Fischerdorf beispielsweise, in Europa längst knapp geworden, aber Urkeim allen touristischen Sehnens. Jedes Hochhaus wird zum Frevel wider die menschliche Natur, oder überhaupt die Natur, sofern es unter südlicher Sonne steht. Und dabei ist es unerheblich, ob es gerade seinen Kritikern für 300 Mark die Woche Halbpension bietet oder einstigen Häuslern für 300 Mark den Monat sozialen Wohnungsbau. Hochhäuser im nördlichen Regen? Eh egal. Hochhäuser im Sonnenschein des Südens? Pfui Spinne.

Einheimische, die Glücklichen, die von der Sonne verwöhnt werden, haben grundsätzlich gastfreundlich zu sein. Und wo der Fremde nicht mindestens einmal spontan zu einer Bauernhochzeit, einem Schlachtfest, einer Orangenernte eingeladen wird, da ist alles schon versaut, da nützt die schönste Sonne nichts mehr.

Fischer hat sie zu bescheinen, die ihre Netze flicken, das ist wohl das mindeste, das jeder, der eine Forelle nicht von einem Seehecht zu unterscheiden vermag, erwarten kann. Und Marktfrauen, die ihre Tomaten für, umgerechnet!, 20 Pfennig das Kilo verschenken. Vor 20 Jahren, als hier kaum Touristen hierherkamen, da war alles noch billiger, das waren noch Zeiten...

Wie einen Bacalhau, einen Dörrfisch, soll die Sonne alles konservieren. Die Sonnenromantik der Nordler will aus den Sonne-Strand-Meer-Regionen des Kontinents touristische Mumien machen mit einem auf Jahrzehnte konservierten Service-Grinsen im Gesicht. Der ganze Süden ein billiges Museum, interaktiv natürlich, denn angefaßt werden darf alles.

So hat jeder Nordler seine eigene Sonne im Herzen. Er schleppt sie in den Süden mit, wo sie sich vor die real scheinende Sonne schiebt - eine touristische Finsternis.

In ihr gedeihen die lila verfärbten Beine der Engländerinnen , die noch nicht wissen, daß ihr Urlaub noch heute sonnenbrandhalber jäh zu Ende ist. Oder die Fleischberge, die sich sonnenhungrig, jawohl: hungrig!, aus Shorts und T-Shirts drängen und so auch in die frische Kühle von Kirchlein und Kathedralen geschleppt werden. Oder die schwitzenden Ballermänner, die sich zum Sangria-Rausch, der am Strand ausgeschlafen wird, auch noch den Sonnenstich holen.

Sonne zum Fürchten. Sonne zum Ekeln. Sonne für Doofe. Während Nordländer in Südeuropa ihre Energie darauf verschwenden, noch in praller Mittagshitze Fritten und Cola zu verzehren, spart sich der Südländer klug seine Kräfte auf: Wenn es heiß ist, entspannt er im Schatten bei leichter Kost, damit er frühmorgens und spätnachmittags umso besser arbeiten kann. Aha, die Siesta, zwinkert der Nordler kennerisch mit den Augen und will sagen: Die sind hier unten ein bißchen fauler als wir da oben. So gründlich ist das Mißverständnis zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre.

"Nur Esel und Engländer gehen in die Sonne", sagten die kolonialisierten Inder spöttisch über ihre neuen weißen Herren in den kurzen Khaki-Hosen. Nicht viel anderes meinte der Aphoristiker und Physiker Georg Christoph Lichtenberg, der in seinen Sudelbüchern vor 200 Jahren die Beobachtung mitteilte: "Es gibt wenig Menschen, die ein gescheutes Gesicht machen können, wenn sie nach der Sonne sehen."

Allein schon, um klüger auszusehen, bleibe ich im Schatten. Davon weiß Senhora Noémia Coelho wahrscheinlich nichts. Sie sorgt sich nur um ihre Reben, Aprikosen und Pflaumen.





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Portugal-Post Nr. 7 / 1999