.
   


BEI ANTÓNIO

Von Gunter Miedeck

Senhor António führt eine Kneipe in Cercal, einem Marktflecken im portugiesischen Alentejo. Wenn man den winzigen, niedrigen Raum betritt, erwartet einen schattiges Halbdunkel. Gewöhnlich sind einige Gäste da, meistens in jenem zeitlosen zerfurchtem Altersgrau, welches Männer in südlichen Dörfern auszeichnet. Beim Eintritt verebbt das Gespräch ein wenig - ohne ganz zu verstummen - und mehr oder weniger deutlich wenden sich die Köpfe dem Eintretenden entgegen. Prüfende Blicke aus Augenwinkeln taxieren den Neuankömmling.

Nachdem sich die Augen auf das Halbdunkel eingestellt haben, schälen sich die Konturen des Raumes immer deutlicher heraus. Im Hintergrund teilt ein Tresen, dunkelbraunes Holz mit einer Platte aus kleingemustertem Resopal, ein schmales Refugium vom übrigen Raum ab. Da steht António, erwartet aufmerksam, mit wachen Augen den Durstigen. Klein, von unbestimmbarem Alter zwischen 60 und 70 und für einen Gastwirt erstaunlich schlank.

Mit einem angedeuteten Kopfnicken erwartet er aufmerksam die Order: Rotwein! Geschäftige Routine beginnt. Aus der Tiefe des Tresens erscheint wie aus dem Nichts ein Glas. Man vermutet Flecken und ist froh, daß das gnädige Halbdunkel keinen kritischen Blick zuläßt. Der auf dem Tresen stehende Demijohn (garafão) wird entkorkt, knapp gekippt und der rote Inhalt rinnt gluckernd über den Rand des Halses in das darunterschwebende Glas. Zurückgekippt, verkorkt, der Demijohn versinkt wieder in lauernde Ruhe. Die Bedienung des Gastes ist mit dem knappen Vorschieben des Glases abgeschlossen. Seine Lippen offenbaren knarrend einen Preis: 50 Escudos! Das Geldstück wird wortlos entgegengenommen und verschwindet irgendwo hinter dem Tresen.

Ein graubraunes Wesen erscheint aus den hinteren Räumen, offenbar seine Frau. Drei Silben werden gewechselt. Worum es geht? Keine Ahnung! Aber beide haben sich verstanden, ein eingespieltes Team, keine Schwätzer. Und sie entschwindet wieder. Noch ein letzter prüfender Blick der anderen Gäste, dann ist der Neuankömmling in die Gemeinschaft als stiller Teilnehmer aufgenommen.

Während die Lautstärke der Gespräche wieder anschwillt, hat der neue Gast Zeit, sich umzusehen: Der vorherrschende Farbton ist braungrau. Wieviele Schattierungen kann Braungrau haben? Ein Unmenge, stellt der Gast verblüfft fest und empfindet ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme. Zwei Eingänge hat der Raum, aufgrund der Eckhauslage diagonal zueinander angeordnet. Schmale Durchgänge, durch die das gleißende Licht der Straße fällt und daran erinnert, daß draußen heller Tag ist. Etwa einen halben Meter gönnt die Dämmerung der Helligkeit, dann hat diese ihre Macht verloren und muß dem Halbdunkel weichen.

Plötzlich erscheint ein Schatten im hellen Viereck der Hauptstraßentür, eine Frau betritt den Raum. Für einen Moment gehört ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit der Versammlung. Sie bleibt an der Tür stehen und mustert die Anwesenden, die sich wie eine ertappte Lausbubenschar hinter imaginären Bänken zu ducken scheint. Sie sagt etwas und deutet auf einige in der Ecke stehende Fäßchen und Säcke mit nicht erkennbarem Inhalt. António verläßt sein Allerheiligstes, öffnet einen der Säcke und füllt die auffordernd hingestreckte Plastiktüte mit rieselnden Körnern. Hühnerfutter! So profan ist der Inhalt mancher geheimnisvoller Behältnisse!

Wie praktisch! Wenn Carlos diesen speziellen Männerdurst verspürt, dann kann er mit ruhigem Gewissen Antónios Kneipe aufsuchen. Sollte seine Rosa ihm dorthin ahnungsvoll folgen, hat er selbstverständlich das Etablissement nur aufgesucht, um Hühnerfutter oder Walnüsse zu kaufen. Es ist António zuzutrauen, eine bereits gepackte Tüte mit Walnüssen in Sekundenschnelle geistesgegenwärtig aus der Tiefe seines unergründlichen Tresens hervorzuzaubern und das halb geleerte Glas Rotwein selbst zu übernehmen.

Erleichterung ringsherum, als die Hühnerfutterkäuferin den Ort verläßt. Die Hälse erhalten wieder Normallänge, im Türausschnitt flirrt wieder freundlich die Mittagsonne.

Die Decke ist das bemerkenswerteste an dieser Kneipe. Hunderte von Gegenständen sind an ihr befestigt. Verschiedene Werkzeuge und Artikel des täglichen Bedarfes hängen herab. Der zeitlose Staub hat alles in graues Braun gehüllt, die Säge, die Brotschneidemaschine, das Hufeisen. Immer neue Dinge schälen sich aus dem Zwielicht. Manch einer der Alteingesessenen folgt erstaunt dem aufwärts gerichteten Blick des Fremden und scheint ebenfalls diese Decke neu zu entdecken. Nach einer Weile stummer Betrachtung beginnt sich der Blick zu verirren, die Deckenlandschaft wird auf seltsame Weise lebendig, saugt den Blick des Betrachters hypnotisierend auf. Wer jetzt nicht wegsieht, verliert sich.

Mit einem Ruck löst der Gast den Bann und betrachtet die Wände näher, graubraune Wände, auf denen sich großformatige Fotografien wie Fenster abheben. Gruppenfotos einer Fußballmannschaft fallen auf. In dieser beliebten Anordnung: die untere Reihe kauernd, muskulöse Beine in den Vordergrund gewinkelt, die mittlere Reihe sitzend, die hintere stehend. Gedrungene kantige Körper mit entschlossenem Siegeswillen im Blick, vor allem: kein Lächeln zeigen. Das wäre eine Katastrophe und würde von Verletzlichkeit zeugen, womöglich den Gegner ermutigen, selbst siegen zu wollen. Vielleicht sind diese unbeugsamen Männer schon längst Großväter, keine Jahreszahl gibt Auskunft über den Zeitpunkt dieses versammelten Siegesschwures. Nur die bräunliche Patina der Fotos läßt ahnen, daß dieser Sieg längst errungen oder verspielt ist.

Noch ein letzter Schluck, ein Blick in die Runde: Bom dia! Der Gast verläßt die angehaltene Zeit, tritt auf die Straße – ins Jetzt zurück.





| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 7 / 1999


"Haus in Milfontes"
Kreidezeichnung von Karin Miedeck (1997)