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25 Jahre danach

Von Peter Koj

Die 25jährige Wiederkehr der sogenannten "Nelkenrevolution" hat in der portugiesischen öffentlichen und veröffentlichen Meinung einiges in Bewegung gesetzt und verleiht so den allmählich zum Ritual zu erstarren drohenden Feierlichkeiten eine besondere, aktuelle Note. Die während der Salazardiktatur, besonders von der Geheimpolizei PIDE begangenen Greueltaten, wurden bisher häufig heruntergespielt. Sie wurden und werden auch nicht im Geschichtsunterricht der portugiesischen Schulen thematisiert, so daß inzwischen eine ganze Generation von Portugiesen herangewachsen ist, die gar nicht oder kaum über die Ereignisse während der faschistischen Diktatur informiert ist.

So wußte die junge portugiesische Lehrerin Sandra M.(Jahrgang 1974), die im letzten Schuljahr am Gym. Hochrad tätig war, nichts über die Existenz der salazaristischen Konzentrationslager (z.B. Tarrafal). Sie war völlig erschüttert, als ich ihr das bereits im Juni 1974 veröffentlichte Schwarzbuch des Jornal do Fundão auslieh (PIDE. A História da Repressão), in der eine erste Bilanz der PIDE-Aktivitäten gezogen wird. Nach 25 Jahren scheinen die Opfer, obwohl immer noch psychisch und physisch gezeichnet, genügend Abstand zu der Vergangenheit zu haben, um sich freimütig äußern zu können. Bisher nur gemunkelte Vermutungen werden nun offen dargelegt, und es setzt so etwas wie eine erste Aufarbeitungswelle der bisher verdrängten portugiesischen Zeitgeschichte ein.

Doch auch Täter und Befürworter des alten Systems können sich nun, sofern sie noch unter den Lebenden weilen, offen vorwagen, da sie eine Strafverfolgung wegen Verjährigung nicht mehr zu befürchten brauchen. Sieht man mal von Rosa Cavaco, dem Leiter des PIDE-Mordkommandos ab, der den Tod des demokratisch gesinnten Generals Humberto Delgado auf dem Gewissen hat und der im letzten Jahr seelenruhig als Tourist durch Lissabon spazierte und dem Expresso ein langes Interview gewährte, so sind dies vor allem der rechte General Kaulza de Arriaga und der bekannte Historiker José Hermano Saraiva, einst Erziehungsminister unter Salazar. Für beide war das damalige Portugal keine faschistische Diktatur, und Kaulza hat jetzt zugegeben, daß seine Truppen am 25.April '74 bereit standen, um mit Unterstützung der USA einen Gegenputsch zu starten. Gott sei Dank hatte der amerikanische Botschafter in Lissabon, Frank Carlucci, bessere Nerven als Henry Kissinger und konnte so unnötiges Blutvergießen verhindern.

Der portugiesische Staatspräsident Jorge Sampaio hat sich bereits öffentlich gegen die Verharmlosung der faschistischen Vergangenheit gewandt und sie als branqueamento ("Geldwäsche") verurteilt. Herman José, Portugals Kabarettist und Talkshow-Master No.1 (übrigens Sohn deutsch-jüdischer Emigranten und ehemaliger Schüler der Deutschen Schule Lissabon) hat dasselbe mit den Waffen des Witzes getan, indem er auf die vor kurzem enthüllten näheren Umstände anspielte, die schließlich zu Salazars Tod geführt haben (danach ist Salazar nicht mit einem alten Liegestuhl zusammengebrochen, den er wegen seiner sprichwörtlichen Sparsamkeit nicht hatte ersetzen lassen, sondern hat sich neben ihn gesetzt). So doziert Herman José als Prof. José Hermano Saraiva, diesen in seiner Diktion hinreißend imitierend: Natürlich war Salazar kein Faschist; er war sogar einer der ersten Antifaschisten, denn er warf sich bewußt neben den Liegestuhl (Atirou-se!).





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Portugal-Post Nr. 6 / 1999