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Am Rande miterlebt
José Saramago erhält den Literaturnobelpreis 1998

Von Maralde Meyer-Minnemann

Wenn mich manchmal, wie zum Beispiel eben im Literaturhaus bei der Verleihung des Hamburger Förderpreises für Literatur, die Versuchung überkommt zu denken, wenn das gedruckt wird, könnte ich auch ein Buch schreiben, brauche ich mir nur die Frankfurter Buchmesse ins Gedächtnis zu rufen. Ich sehe mich dann wieder in den langen, von kleinen und großen Kojen gesäumten Gängen an Tausenden von Büchern vorbeigehen und vor lauter Büchern keine Bücher mehr sehen. Und mein Traum vom eigenen Buch schrumpft umgehend auf Stecknadelkopfgröße...

Es gibt Menschen, die lieben die Buchmesse. Ich nicht. Dennoch war ich nach langer Abstinenz letztes Jahr wieder dort. Allerdings weniger um Bücher anzusehen, als meine Stimme portugiesischen Autoren zu leihen.

Letztes Jahr war Portugal Schwerpunktthema. Dieses Jahr haben die Portugiesen genutzt, dass sie ins Bewusstsein der Verlage und Leser gerückt waren, und eine Reihe von Veranstaltungen mit bekannten Autoren unter dem Titel "Um Mar de Livros" organisiert. Die erste fand in der Alten Oper statt. Vier Autoren, die Mitglieder der kommunistischen Partei sind, sprachen in einer Diskussionsrunde darüber, was es für sie bedeutet, heute noch Kommunist zu sein. Der prominenteste war José Saramago.

Vielleicht hat er ja daran gedacht, dass am nächsten Tag, einem Donnerstag, der Gewinner des Literaturnobelpreises bekanntgegeben werden würde. Ich hatte es verdrängt. Dass ich im Vorjahr António Lobo Antunes, der als einer der Kandidaten hoch gehandelt wurde und gerade aus Lissabon zu einer Lesung im Hamburger Literaturhaus eingeflogen war, mitteilen musste, dass nicht er - aber auch nicht Saramago - sondern Dario Fó der Preisträger war, gehört nicht zu meinen angenehmen Erinnerungen.

Ich saß am bewussten Donnerstag mit einigen Kolleginnen in der Superkoje des Suhrkamp Verlages (Super, weil zu beiden Seiten des Ganges etwa zwanzig Meter lagen), um über das Projekt zu reden, an dem wir gerade arbeiteten. Plötzlich die Frage: Ist es nicht heute? Jetzt um eins? Es war heute. Ein Telefonat, und Michi Straußfeld sagte nur ein Wort: Saramago. Damit war die Besprechung beendet.

Ich machte mich auf zur Halle 9, zum Stand der Portugiesen. Mitten im geschäftigen Hin- und Hergerenne ernsthafter Büchermenschen, eine Insel der Euphorie. Umarmungen, Tränen. Überbordende Freude. Endlich war einem Portugiesen der Nobelpreis zuerkannt worden. 80 Jahre des Wartens hatten ein glückliches Ende. Sonst freut man sich so, wenn die eigene Nationalmannschaft die Fußballweltmeisterschaft gewinnt!

Aus dem Nichts tauchten rote Rosen auf. Doch wo war der Preisträger? Auf dem Weg ins Flugzeug, das ihn wieder nach Lanzarote bringen sollte. Aufgeregte Herren mit Handy am Ohr. Sie haben ihn gerade noch zu fassen gekriegt. Er kommt gleich hierher.

Der Raum vor dem portugiesischen Stand füllte sich. Die ersten Fernsehkameras erschienen. Journalisten. Und eine Gruppe portugiesischer Schriftstellerinnnen stand da, jede mit einer langstieligen roten Rose. Es wurde überlegt, ob man nicht Grândola singen sollte, wenn er kam. Aber er kam nicht. Es wurde immer voller. Die Herren mit den Handys telefonierten. Er muss gleich kommen.

Er kam schließlich, aber nicht dort, wo alle warteten. Als klar war, dass er durch die Hintertür beim Stand seines Verlages angelangt war, rannte die Meute los. Riesengedränge. Zwei Journalistinnen sollen sich in den Haaren gelegen haben. Der Preisgekrönte musste erst in einem kleinen Kabuff hinter einer Verlagskoje versteckt werden.

Dann fand eine erste, improvisierte Pressekonferenz statt. Die habe ich nicht mehr miterlebt. Aber ein Foto aus einer portugiesischen Zeitung hat mich gefreut: Saramago küsst seiner Agentin und Übersetzerin des letzten Buches, Ray-Güde Mertin, die Hand!
(siehe Zeitungsausschnitt)

Seither ist der Preisträger nicht mehr zur Ruhe gekommen. Zurück in Portugal, erwarteten ihn ein Empfang im Centro Cultural de Belém, ein Empfang beim Staatspräsidenten, ein Auftritt beim Gipfeltreffen der Lateinamerikanischen Staaten in Porto (Umarmung mit Fidel Castro!), Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Porto, von Évora und und und...

Portugal hat einen Literaturnobelpreisträger! Verdient hatte es ihn schon lange.





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Portugal-Post Nr. 4 / 1998