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Grândola will den Algarve überbieten

Von Annette Spiering

"Hallo, noch schnell einen Gruß übers kostenfreie Netz von Costa Terra aus diesen wunderbaren Ferien bei Melides. Das Wetter hier ist fantastisch, schon 14 Tage intensivste Dezembersonne! Die Ferienanlage ist vom Feinsten und bietet alles, was das Herz begehrt. Wo sonst in Europa kann man noch direkt am Meer inmitten der kilometerweiten, unberührten Dünenlandschaft golfen, reiten oder einfach nur sich verwöhnen lassen und so sein wie der weite Horizont...?" So und ähnlich begeistert könnten in immer absehbarer Zukunft xTausende von Grüßen lauten, ... sollten erst einmal mehr als 20jährige Planungen realisiert sein.

1990: "10 Jahre, die die alentejanische Küste verändern werden" - so der Titel eines Artikels im Expresso mit dem Inhalt, dass an dem touristisch noch so gut wie ungenutzten 90 km langen Strand von Sines bis hin zur Halbinsel von Tróia hinauf einige Tourismuskomplexe mit der Kapazität von jeweils 3 - 5.000 Betten geplant seien, vornehmlich von ausländischen Unternehmen, wovon die deutsch-schweizerische Gruppe Ferienbau die Câmara von Grândola wegen Verzugs der Baugenehmigungen verklagen wolle. Sie hatte schon 1985 im GEO-Special Portugal ganzseitig für private Investoren geworben, um auf dem von ihnen reservierten 1.400 ha großen Areal im ca. 3 km breiten Pinienwaldstreifen direkt hinter der Primärdüne Ferienhausgrundstücke zu erwerben. Das hatten sie - damals noch sehr günstig - von der Herdade de Pinheirinho erworben.

Zu der Zeit hatte ich gerade beschlossen, mich in der Nähe von Melides, einem absolut normalen 600-Seelen Dorf nahe der Costa Azul, niederzulassen. Aus der Zeit der Agrarreform war mir der endlose Strand von Comporta ans Herz gewachsen, vorher die Fahrt von 40 km durch den so gut wie unbebauten Sandgürtel südlich der Sado-Bucht, hie und da ein monte oder eine herdade mit einer Arbeitersiedlung, noch einige palhotas, Häuschen aus Binsen, dazwischen, Massen von Störchen an den Reisfeldern, dünne Kugelpinienwälder, zwei Holzbuden am Stand, die Serra de Arrábida gegenüber ...

Hinter Melides wellte sich die liebliche kleinbäuerlich besiedelte, stark von der Landflucht bedrohte Serra de Grândola bis zu 300 m auf, mit ihren kleinen weißen montes, oft noch aus jährlich frisch zu kalkendem Lehm. Die Serra wurde zu meiner Heimat, da mir die neue Besiedlung direkt an der Küste bedrohlich erschien. Legal war für Privatleute an "ein Haus am Meer" eh nicht mehr zu denken, denn obwohl nicht Naturpark, wie die Costa Vicentina südlich von Sines, ist die Bebauung in ganz Portugal weniger als 500 m vom Wassersaum entfernt grundsätzlich untersagt - bis auf für scheinbar ökonomisch viel versprechende Ausnahmen.

Seither interessierte mich die weitere Entwicklung der Region brennend, aber es gab nichts Schwierigeres, als an konkrete Informationen zu kommen. Der im Februar 1995 verabschiedete PDM (Regionale Entwicklungsplan) von Grândola (damals noch CDU, inzwischen PS) wies direkt auf der zum Kreis gehörigen 45 km Küstenlinie 5 neue Bebauungsgebiete zwischen Melides und Tróia aus für Areale, die zu 49% mit touristischen Anlagen bebaut werden und zu 51% für private Ferienhäuser zur Verfügung stehen sollten:

  • direkt nördlich von Melides das Projekt CostaTerra (3.000 Betten) von der Gruppe Volkart,
  • weiter gen Norden Pinheirinho (3.000 Betten), inzwischen von der Gruppe Pelicano übernommen, die wegen der Lehmbauweise für zentrale Gebäude im salazaristischen Stil für die Art der Bebauung (!), aber nicht für die anvisierte Lage in der Primärdüne (!) sich mit dem Umweltsiegel des WWF schmücken darf,
  • Carvalhal,
  • Comporta von der Gruppe Espírito Santo, die mit einen Teil der eigenen herdade von über 10.000 ha sich das lukrative Tourismusgeschäft nicht entgehen lassen will,
  • die schon seit den 80er Jahren be- und weiter entstehende Feriensiedlung Sol Tróia,
  • und als größtes das Tróia Resort, einst das Projekt der skandalbesetzten bankrotten TorAlta an der Spitze der 20 km langen Halbinsel mit u. a. fünf Hochhäusern aus den 70er Jahren, zwei davon - unvollendet - auf Fließsand gesetzt. Die ökonomisch hochpotente Sonae Turismo mit dem Naturfreund Belmiro de Azevedo an der Spitze hat es Ende der 90er Jahre für einen symbolischen Preis übernommen und verplant inzwischen die ganze schmale Halbinsel zwischen dem Naturschutzpark des Sado-Beckens und dem Atlantik auf höchstem Niveau mit mehreren Marinas, dazu Verlegung des Anlegers der Sado-Fähre nach Setúbal, Casino, Kongresszentrum ... 5.000 Betten!
Insgesamt über 20.000 Bettenkapazität zusätzlich - zu bisher gebotenen 2.000 - für Touristen und Ferienhausbesitzer in einem Landkreis mit 15.000 Einwohnern! Fast alle Projekte sind im letzten Mai als PINs (Projectos de Interesse Nacional) eingestuft worden und erfahren damit großzügige staatliche Unterstützung und so manches Zugeständnis im sonst sehr langwierigen Genehmigungsverfahren.

2000: Die Moderne ist in Grândola angekommen. Von der Câmara de Grândola und den Betreiberfirmen wird ein 2-jähriges Magisterstudium eingerichtet. Turismo, Identidade e Ambiente. Hier sollen Kader für den neuen sauberen und "nachhaltigen" Aufschwung der Region ausgebildet werden, aber nach dem ersten Durchgang wurde das Angebot wieder fallen gelassen. Ich habe das Studium nach einem Jahr abgebrochen; ein Mitstudent, der seine Magisterarbeit über die Planungen der Sonae schreiben wollte, klagte darüber, dass er kaum an Informationen kommt.

Auch die jährliche Feira de Grândola läuft seitdem unter obigem Motto. Und tatsächlich nahmen die neuen Agenten des Fortschritts immer größere Räume in den Ausstellungshallen ein, die sonst dem örtlichen Kleingewerbe vorbehalten waren. Doch die Selbstdarstellungen an Ständen und in verteilten Hochglanzbroschüren waren so abstrakt, dass daraus nicht zu erkennen war, was denn nun konkret in Planung ist. Man wolle nicht die Fehler des verbauten Algarve wiederholen, sondern in Grândola nur turismo de qualidade ansiedeln, hieß es. Alles unter Kontrolle behalten. Zu wessen Gunsten und wie lange noch? Hatte es im Algarve in den 50er Jahren nicht auch exklusiv angefangen?

Erst einmal wurde die früher spontan entstandene enge Bretterbudensiedlung am Strand von Melides abgerissen, bis dahin für viele weniger betuchte Arbeiterfamilien aus Setúbal eine Möglichkeit, Wochenenden und Ferien am Meer zu verbringen. Den sympathischen einfachen Fischrestaurants um den Parkplatz am Strand droht seither ähnliches, aber die aushängenden Pläne für eine wohl geordnete Flaniermeile - mit für Ortsansässige viel zu hohen Pachten für Kioske und Restaurants - sind zwischenzeitlich verblichen. Die Badesaison an der kühlen Westküste ist nach wie vor auf Juli und August begrenzt. Die Umwandlung von verlassenen Ruinen im Hinterland zu schmucken montes mit Pool etc. für (neu)reiche Lissabonner und betuchte Ausländer hat zwar das örtliche Baugewerbe nach dem Anschluss Grândolas an die Autobahn zum Algarve vorübergehend belebt und die Bodenspekulation ins Uferlose getrieben, aber nicht zum erwünschten Goldregen auf breiter Ebene beigetragen. Ehemals selbständige Kleinbauern und Hirten sind zu Gartenpflegern für die neuen Besitzer degradiert, es gibt für verlässliche Frauen der älteren Generation einige Putzstellen mehr, Jugendlichen aus dem Kreis wird in Grândola u. a. eine Ausbildung im Fach Tourismus angeboten - aber Arbeit finden sie in der Branche vor Ort außerhalb der Saison nach wie vor kaum.

2005: Es geht los! In einem Staatsakt wurden im September in Tróia die 8- und 10-geschossigen Betonruinen durch Implosion - die erste in Portugal - in riesige giftige Schutthalden verwandelt. 5 Jahre verspätet, denn erst einmal musste Ersatz für eine in Europa einzigartige Fledermauskolonie aus einer der Ruinen geschaffen werden, 1999 von einem darin herumkletternden Biologen entdeckt. Auf dem Feira-Gelände von Grândola konnte die bäuerliche Bevölkerung des Kreises das Spektakel auf von der Sonae gestellten Großleinwänden staunend verfolgen, in Setúbal verschenkte der Konzern Nr.1 in Portugal zum selben Zwecke 10.000 in China gefertigte Ferngläser an die sich darum streitende Bevölkerung. Von allen Fernsehsendern des Landes wiederholt ausgestrahlt, drückte der Ministerpräsident persönlich, umgeben von geladenen Gästen aus Wirtschaft und Politik, im 13. Geschoß eines Hotels in Tróia auf den telegenen roten Auslöser des neuen Fortschritts - im Einklang mit der Natur oder deren massive Zerstörung?

"2006 Baubeginn nach 20 Jahren Planung" , so wirbt Costa Terra auf der Feira de Grândola im August. Aber bis heute wirkt das Areal unberührt. Zwar hatte es in den zwei trockenen Jahren gerade in der Gegend mehrmals im Piniengürtel gebrannt - aber sonst hat sich dort bisher wenig verändert. Denn inzwischen sind die Umweltschützer von Quercus aktiv geworden. Im Mai hatten sie in einer Aktion am Strand von Melides 121 Kreuze aufgestellt, Symbole für die Zerstörung von durchgehend 121 km relativ naturbelassenem Küstenstreifen. Hier gibt es in Europa einzigartige geschützte Vorkommnisse an Flora und Fauna und große Gebiete sind deswegen in die Rede Natura 2000 aufgenommen. Mit dem Argument haben sie zusammen mit dem GEOTA in Lissabon und Straßburg Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gegen die geplante Ansiedlung der Tourismusprojekte direkt an der Küste eingeleitet. Natürlich wird jetzt von den verärgerten Investoren und lokalen Politikern versucht, die eh schon wenigen Umweltschützer zu isolieren und breiteren Protest zu verhindern, z.B. indem man deren Juristen in Nebengefechte verwickelt: Die Vorsitzenden der Organisationen sollen persönlich dafür haftbar gemacht werden, dass sie sich, allein im Fall CostaTerra, gegen eine 510 Millionen Euro schwere Investition stellen, verspricht sie doch die Schaffung von 1.260 Arbeitsplätzen, plus 3.000 indirekter im Laufe der kommenden 12 Jahre. Ein Kampf von David gegen Goliath. Aber David hat schon in einem langjährigen Kampf um die Einrichtung eines Naturschutzgebiets an der nahen Lagoa de Sto André Erfahrungen gesammelt, Zähigkeit bewiesen und Erfolg gehabt. Sie hoffen, mit den Verfahren den anstehenden Baubeginn für das Projekt von CostaTerra um 2 bis 3 Jahre zu verzögern.
Zumindest Sand im Getriebe.

Dabei hatte doch alles so schön angefangen. Politiker und Tourismusmagnaten mit ihren Stäben hatten ungestört bei exklusiven Dinnereinladungen und in streng vertraulichen Planungssitzungen über die brachiale Umwandlung der ganzen Region walten können. Die Bevölkerung hoffte man durch kleine Geschenke zu gewinnen - eine hochmoderne Leichenhalle für Grândola, eine Ambulanz und 4 frei zu nutzende Computerplätze im Gemeindebüro von Melides - von Costa Terra. Vor Grândolas Toren erstrahlt jetzt ein modernes Einkaufszentrum, belegt von Läden der Sonae Gruppe, während im historischen Ortskern ein kleiner Laden nach dem anderen schließt. Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass die erste Etappe der Lissabon-Dakar-Rallye Anfang 2007 nicht mehr durch das Landesinnere gen Gibraltar donnerte, sondern mit einem Teil seiner 500.000 Zuschauer u. a. den örtlichen Verkehr in der Serra de Grândola lahm legte. "Das ist was ganz Großes und Wichtiges" kommentierte mein Nachbar respektvoll, "aber alles nur für die Reichen von Lissabon und Europa. Nichts für unsereins, wie alles, was sie jetzt hier anstellen."







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Portugal-Post Nr. 37 / 2007


Annette Spiering am winterlichen Strand von Melides