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Kriminelles aus Portugals Norden

Von Peter Koj

"Aber das bringt uns doch nicht weiter, Chef." So stöhnt - ziemlich am Ende des Romans - Isaltino de Jesus, Mitarbeiter des Inspektors Jaime Ramos, als dieser noch immer nicht den Mord an João Alves Lopes aufgeklärt hat. Und ähnlich ungeduldig dürfte inzwischen auch mancher Leser sein, zumal wenn er Anhänger des klassischen Musters eines - wie die Engländer es nennen - whodunnit ist: Statt einer zügigen Aufklärung des Mordfalles zieht der Autor schier endlos Schleifen nicht nur um die letzten Tage des Opfers und das Zusammentreffen mit zwei Stripperinnen, von denen die eine, Amélia Lobo Correia, schnell in Tatverdacht gerät, sondern auch um den Inspektor Jaime Ramos, sein Privatleben und wie ihn der Mordfall tangiert, dazu parallel die Aktivitäten seines Freundes Filipe Castanheira, der sich vor Jahren nach Ponta Delgada (Azoren) hat versetzen lassen.

Doch was Isaltino de Jesus auf S. 286 noch nicht wissen kann, ist, dass all diese Erzählstränge letztendlich zusammenlaufen und dass durch einen puren Zufall ganz zum Schluss (S. 334) das Ganze noch mal eine überraschende Wende nimmt. Und der Leser selbst merkt sehr bald, dass es in diesem Roman um mehr als die Aufklärung eines Mordes geht: Das eigentliche Thema sind die zwischenmenschlichen Beziehungen im post-revolutionären Portugal. Wie leben Paare, verheiratet oder unverheiratet, zusammen, sind die tragenden Säulen der portugiesischen Gesellschaft, die Familie und die malta (Freundeskreis), nach wie vor intakt und wie ergeht es denen, die sich außerhalb dieser Bezüge stellen?

Francisco José Viegas stammt aus dem Alto Douro und lebt in Porto. Er ist ein in Portugal bekannter Literaturkritiker und Journalist, der zudem bereits mehrere Gedichtbände veröffentlicht hat. Mit dem vorliegenden Band und dem bereits zwei Jahre vorher veröffentlichten Roman As duas águas do mar (unter dem Titel Das grüne Meer der Finsternis in der Übersetzung von Sabine Müller-Nordhoff erschienen) hat er sich auch auf dem Gebiet des Kriminalromans versucht, ein in Portugal wenig gepflegtes Genre (sieht man mal von Dinis Machado ab und seinen unter dem Pseudonym Dennis McShade veröffentlichten Romanen). Die Verlagsgruppe Lübbe hat dankenswerterweise die beiden Romane trotz ihrer literarischen Ambitionen in ihre Krimi-Reihe aufgenommen. Auch gibt Sabine Müller-Nordhoff, bisher als Literaturübersetzerin nicht hervorgetreten, ihr Bestes. Es gelingt ihr vor allem, den umgangssprachlichen Ton der Dialoge adäquat ins Deutsche zu übertragen. Schwerer tut sie sich mit dem Stil des Autors, seinem durch Einschübe immer wieder gebremsten Erzählfluss.

Lieder neigt die Übersetzerin dazu, portugiesische Begriffe, die es so ähnlich im Deutschen gibt, direkt zu übernehmen, auch wenn sie nicht absolut bedeutungsgleich sind (die sogenannten "falschen Freunde"). So ist ein liceu nicht immer ein Lyzeum (S. 337), sondern ein Gymnasium, die rampa ist nicht unbedingt eine Rampe (S. 42), sondern ein Anstieg, und eine Berme (S. 49) ist nicht genau dasselbe wie eine berma (unbefestigter Rand einer Landstraße). Und selbst wenn die Übersetzerin sich offensichtlich in Portugal nicht auskennt, so hätte sie sich doch informieren können, damit es nicht zu solch peinlichen Ortsangaben kommt wie z.B. auf S. 165, "das Meer von Molhe, das Meer von Castelo do Queijo" (gemeint ist das Meer vor Foz, zuerst an der Mole und dann am/beim Castelo do Queijo). Von geringer Ortskenntnis zeugt auch die Verwendung von Mondego (S. 310) und Cais do Sodré (S. 337) ohne Artikel, als ob es sich um Ortsnamen handelt, oder Bezeichnungen wie "das Viertel von Ribeira" (S. 330, gemeint ist das Ribeira-Viertel in Porto).

Gelegentlich lässt die Übersetzerin den deutschen Leser mit portugiesischen Begriffen allein, die er unmöglich kennen kann. Im ersten Roman waren das Leão für die spanische Provinz León und die abrótea, zu deutsch Gabeldorsch. In Der letzte Fado ist es die albacora (S. 30), eine Thunfisch-Spezies. Und den carapau bitte nicht mit "Stichling" (S.296) übersetzen, auch wenn das so in manchen zweisprachigen Lexika steht: Es handelt sich um einen Stöcker, auch Bastardmakrele genannt. Und um es mit dem Meckern genug sein zu lassen: Wer ist nur auf den irreführenden Titel Der letzte Fado gekommen? Der Fadofreund, der das Buch aufgrund des Titels erwirbt, wird schwer enttäuscht sein. Orte der Handlung sind die Azoren und Porto und Umgebung, nicht gerade Hochburgen des Fado. Der Originaltitel lautet Um céu demasiodo azul und seine Übersetzung ("Ein allzu blauer Himmel") hätte viel besser gepasst, zieht sich doch das Motiv des allzu blauen Himmels als Kontrast zu den finsteren Geschehnissen wie ein roter, pardon, blauer Faden durch den ganzen Roman.





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Portugal-Post Nr. 36 / 2006


Francisco José Viegas
Der letzte Fado
Übers. von
Sabine Müller-Nordhoff
BLT Band 92219 (Juli 2006). EUR 8,95