Brot und ein bisschen Vinho Tinto
Von Maria Hilt
"In diesem Dorf gibt es Leute, für die die Frage, ob sie ihren Türrahmen gelb oder
blau anstreichen sollten, die wichtigste Entscheidung ihres Lebens war."
Mit dieser Feststellung bringt der Restaurantbesitzer Vasco das Wesen von Mamarrosa auf den Punkt.
In dem verschlafenen Örtchen im Alentejo (nicht zu verwechseln mit dem tatsächlichen
Mamarrosa in der Nähe von Aveiro), das sich die britische Autorin Monica Ali als Schauplatz
für ihren jüngsten Roman auserkoren hat, plätschert das Leben träge dahin.
Zwischen kleinen Skandalen, etwas Tratsch, den obligatorischen telenovelas und der
jährlichen festa haben sich alle bequem eingerichtet und finden es irgendwie auch gut so.
Für Besucher wie die Engländerin Eileen ist Mamarrosa ein kleines Ferienparadies.
"Was sollen wir denn dort machen", hat ihr Mann sie etwas entgeistert gefragt, als sie ihm
die Wahl "ihres" Jahresurlaubs präsentierte. "Brot essen und Wein trinken", erklärte
sie dem Gatten und freut sich jetzt an den kleinen Kirchen, den Pflasterstein-Mosaiken und
dem guten Essen. Dass Brot und Wein und ein bisschen Fado das Leben lebenswerter machen,
haben sich auch andere Gestrandete erhofft und werden dabei bitter enttäuscht.
Wie das britische Pärchen, das sich kurz vor der bombastischen Hochzeit auf der Vogelpirsch
nicht mehr viel zu sagen hat. Oder die problembeladene englische Familie Potts, die zwischen
allerlei Getier in ihrem feuchten Haus hockt und sich gegenseitig das Leben schwer macht.
Dieter aus Deutschland versucht sich in Mamarrosa in etwas Lässigkeit, weiß
dann aber doch immer wieder einzuwenden, dass in seiner Heimat alles geregelter und
irgendwie besser ist. Vater Potts fasst das Dilemma der estrangeiros in seiner
ruppigen Art wie folgt zusammen: "Was hat jeden von uns hierher gebracht? Wir sind
auf der Flucht. Auf der verdammten Flucht."
Auch die Einwohner von Mamarrosa planen insgeheim ihre kleinen und großen Fluchten,
so wie Teresa, die kurz vor einer obligatorischen Heirat mit ihrer Jugendliebe António
aus der Welt der traditionellen Frauenrolle auszubrechen versucht, um in London als Au-Pair zu arbeiten.
Andere sind bereits zurückgekehrt, wie der dicke Vasco, der abends bei einem
Stück Mandelkuchen von seinem Leben in Amerika und seiner verstorbenen Frau träumt.
Wie alle anderen wartet er auf den sagenumwobenen Emigranten Marco Afonso Rodrigues,
der durch seine Rückkehr in das Heimatdorf den Ruhm und Erfolg der großen
weiten Welt nach Mamarrosa importieren soll.
Monica Ali zeichnet in Alentejo Blue ein düsteres, morbides Bild des
trägen portugiesischen Südens. Die Figuren in ihrem Roman scheinen sich aus
eigener Kraft nicht befreien zu können von der lähmenden Apathie, die die Hitze und
der Wein mit sich bringen. Aus verschiedenen Lebensgeschichten setzt Ali ein leicht
klischeehaftes Mosaik aus Träumen und Realitäten zusammen. An den tief greifenden
und fesselnden Debutroman Brick Lane, mit dem die junge Schriftstellerin 2002 zum
Shootingstar der britischen Literaturszene avancierte und um dessen Verfilmung sich derzeit
ein hitziger Kulturkampf in Großbritannien rankt, mag Alentejo Blue nicht so
ganz heranreichen. Doch vor allem die Momente, in denen man ganz nah an die Protagonisten
herantritt, an Vasco, wie er in seinem leeren Restaurant sitzt und seine Lebenslasten bejammert,
oder an Eileen, die die portugiesische tranquilidade zu neuen Plänen und neuem
Selbstbewusstsein anstiftet, sind fein gezeichnete Studien ganz besonderer Charaktere.
Und trotz all der Schwere, die die Wirrnisse und Stolperfallen mit sich bringen,
fehlt Alentejo Blue nicht der Humor. So sitzen in einer der charmantesten Szenen die
beiden velhotas Dona Linda und Telma Ervanaria im winzigen Internetcafé des
Dorfes und starren auf das pixelige Bild einer Live-Webcam im fernen Kanada.
Dona Lindas Tochter ist nämlich vor einiger Zeit dorthin ausgewandert, und nun warten
die Frauen gespannt, ob sie wohl gerade in dem Moment dort durch das mitternächtliche
Schneegestöber spaziert. Und dann essen sie ein bisschen Kuchen und tauschen
den neuesten Tratsch aus. Und es ist irgendwie gut so.
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Portugal-Post Nr. 36 / 2006
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Monica Ali
Alentejo Blue
Übers. von Anette Grube
Droemer/Knaur 2006. EUR 19,90
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