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Lobo Antunes light

Von Peter Koj

Sie wollten schon immer mal einen Lobo Antunes lesen, haben sich aber bisher nicht an einen seiner Romane getraut, die uns mit schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr erreichen? Hier bietet sich eine wunderbare Gelegenheit, sich Portugals innovativstem zeitgenössischen Autor zu nähern. Statt sich an einem seiner großartigen, aber schwierigen und seitenstarken Romane zu versuchen, legen Sie sich diese Sammlung von Chroniken auf den Nachttisch. So wie die NDR-Redakteurin Annemarie Stoltenberg, damit vor dem Einschlafen "die Seele noch mal Luft holt" (Hamburger Abendblatt 19.8.06). Es sind ca. 100 Alltagsgeschichten, die häufig in die Kindheit des Autors im damals noch ländlichen Benfica zurückführen. Darüber hinaus erfahren wir eine ganze Menge über so typisch portugiesische Themen wie die Feira Popular (S. 276), den Karneval (S. 266), die portugiesischen Sonntage (S. 55 und 119), Fastenzeit (S. 293), Weihnachten in Portugal (S. 198 und 202), die Gasflaschen (S. 301), das Volto já - Bin gleich zurück (S. 291), die viel zitierte portugiesische Traurigkeit (S. 273).

Aber damit kein falscher Eindruck entsteht: Auch wenn wir hier intime Einblicke in den portugiesischen Alltag erhalten, so handelt es sich bei dem Buch der Chroniken um kein landeskundliches Werk. Lobo Antunes kann hier auf kleinstem Raum (die Chroniken umfassen jeweils zwei bis drei Seiten, gelegentlich noch weniger) all die schriftstellerischen Qualitäten ausspielen, die wir auch an seinen Romanen schätzen. Da ist das charakteristische Detail, das, an der richtigen Stelle evoziert, schlagartig die Szenerie vor uns entstehen lässt. Da sind die treffenden Metaphern, die auf einen Schlag etwas erhellen, ohne dass der Autor langatmige Beschreibungen liefern muss. Da ist dieser wunderbare Rhythmus, der selbst längere verschachtelte Sätze zum Fließen bringt (Der Übersetzerin sei Dank, dass es ihr gelungen ist, das Unmögliche möglich zu machen und diesen Rhythmus auch in der deutschen Übersetzung zu finden). Da ist Lobo Antunes' große Kunst, "dem Volk aufs Maul zu schauen" und die typischen Redensarten und Ausdrucksformen der verschiedenen sozialen Schichten wiederzugeben. Und da ist schließlich der abgründige Humor von Lobo Antunes, eine Eigenschaft, die man bei den meisten portugiesischen Schriftstellern schmerzlich vermisst. Man lese nur die "Meinem Freund Michel Audiard gewidmete und von uns beiden geschriebene Chronik" (S. 269). Ein wahres Kabinettstückchen schwarzen Humors, so bissig, so temporeich und schlagfertig, dass einem die Luft weg bleibt. Weitere Kabinettstückchen des surrealen Humors sind die "Verkehrsampeln und ihre Folgen" (S. 19), "So eine Sache" (S. 99) und die "Nach zwei Glas Rotwein zum Mittagessen geschriebene Chronik" (S. 307), wo der Metaphern-Gaul mit Antunes durchgeht.

Köstlich auch die Groteske vom Psychiater, der vom Tick seines Patienten angesteckt wird (spricht mit den Tigern) und schließlich selbst eingewiesen wird ("Tierliebe", S. 178). Oder die von Luciano Nunes, dem portugiesischen Mandrake und dessen verunglücktem Zaubertrick ("Der letzte Trick meines Vaters", S. 194). Es gibt aber auch ernste Themen wie z.B. die Verarbeitung seiner Erlebnisse im Kolonialkrieg in Angola, z. B. in der in ihrer erschütternden Aufrichtigkeit genialen Anti-Chronik "Emília und eine Nacht" (S. 187). Man erfährt auch, wie Lobo Antunes zum Schriftsteller geworden ist ("Portrait des Künstlers als junger Mann", S. 206). Und immer wieder die kleinen Dramen des Alltags, die "Beziehungskisten" in allen Varianten, anrührend, jedoch ohne falsche Sentimentalitäten.

Dass Maralde Meyer-Minnemann als Übersetzerin hier wieder Hervorragendes geleistet hat, dürfte nicht nur Annemarie Stoltenberg aufgefallen sein und soll hier, auch auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen, noch mal hervorgehoben werden. Insbesondere bei der problematischen Übertragung der umgangssprachlichen Elemente zeigt sie viel Fingerspitzengefühl. Doch ganz besondere Verdienste hat sie mit dem Glossar erworben, das an diese Chroniken angehängt ist. Hier hat sie all die Begriffe und Namen erläutert, die dem deutschen Leser, der mit den portugiesischen Verhältnissen nicht so vertraut ist, nicht bekannt sein dürften.





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Portugal-Post Nr. 36 / 2006


António Lobo Antunes: Buch der Chroniken
Übers. von Maralde Meyer-Minnemann
Sammlung Luchterhand 2006. EUR 10,-