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War Kolumbus Portugiese?
Zu dem Roman "O Codex 632" von José Rodrigues dos Santos

Von Peter Koj

Am 20. Mai jährt sich zum 500. Mal der Todestag des Entdeckers Amerikas, mit spanischem Namen Cristóbal Colón oder - wie ihn die Italiener nennen - Cristoforo Colombo. Für die Gelehrten ist dieser Jahrestag die Gelegenheit, per Gentest endlich die Herkunft von Kolumbus herauszufinden. Aber wieso denn? Ist seine Herkunft aus Genua nicht hinlänglich bewiesen? Steht es nicht so in allen Geschichtsbüchern und pilgern nicht Jahr für Jahr Millionen von Touristen dorthin, um das Haus zu besichtigen, in dem er angeblich geboren wurde?

Trotzdem existieren seit langem ernste Zweifel an der italienischen Herkunft des Entdeckers und seiner Mission. Um nur die wichtigsten zu nennen: Wie erwarb der Sohn eines Kneipenwirts und einer Wollkämmerin all die Kenntnisse des Kosmos, der Geometrie, Geografie, Astrologie und Seefahrt, die ihn zu solch einer Großtat befähigten? Und wie kommt es, dass ein einfacher Seidenweber im zarten Alter von 24 Jahren schon solch schwierige Sprachen beherrschte wie Griechisch, Hebräisch, Latein, Kastilisch und Portugiesisch, deren Kenntnis ihm erst den Zugang zu den portugiesischen Gelehrtenkreisen ermöglichte, nachdem er - der Sage nach - sich schwimmend vor Piraten an die portugiesische Küste gerettet hatte? Und wo wir gerade bei Sprachen sind: Warum schrieb Kolumbus nie in Italienisch (in seiner Genueser oder Florentiner Form), wenn er Briefe an seine Landsleute schickte, z.B. Toscanelli? Und wieso entschied er sich für Latein oder Kastilisch, übrigens ein mit Portugiesisch vermischtes Kastilisch ("Portunhol"), wie schon der bekannte spanische Linguist Rui Menéndez Pidal feststellte?

Und wie passt die niedere Herkunft Kolumbus' zu der Tatsache, dass er in den portugiesischen Hochadel einheiratete, denn er ehelichte die Tochter des Gouverneurs von Porto Santo, D. Filipa Moniz Perestrelo (die 1484 starb und mit der er einen Sohn hatte, Diogo)? Und wie ist es möglich, dass sein Bruder Bartholomäus, der in Lissabon einen Buch- und Kartenladen hatte, der aber - immer der Logik der Italiener folgend - genauso ein Genuese gewesen sein muss wie sein Bruder Christoph, zur Mannschaft von Bartolomeu Dias gehörte, die 1488 den südlichsten Punkt Afrikas, das Kap der Stürme oder - wie der portugiesische König D. João II es nannte - das Kap der Guten Hoffnung, umrundete und damit den Seeweg nach Indien öffnete? Da die Gegenwart fremder Matrosen auf jeglicher Expedition, die über Guinea hinausführte, mit dem Tode bestraft wurde, lässt sich eine Beteiligung von Bartholomäus Kolumbus an der Reise von Bartolomeu Dias nur damit erklären, dass er in Wirklichkeit Portugiese war. Und auch die Tatsache, dass Kolumbus bei der Vorbereitung dieses für die Öffnung der Indienroute so entscheidenden Unternehmens mitgewirkt hat (bis dato galt die ptolemäische Theorie, nach der die südliche Landmasse, die terra australis, einen ununterbrochenen Gürtel bildete, von Afrika bis Australien mit dem Indischen Ozean als Binnenmeer), lässt keinen anderen Schluss zu als dass Christoph Kolumbus Portugiese war.

Und wie soll man die Tatsache erklären, dass Kolumbus auf der Rückkehr von Amerika nicht einen spanischen Hafen ansteuerte, sondern Lissabon? Und die Tatsache, dass er, als er König D. João II nicht in Lissabon antraf, ihm 50 Kilometer weiter flussaufwärts bis Azambuja folgte? Und als ob dieses nicht genug wäre, warum setzte er noch mal zwei Tage daran, um Joana, die Schwester des Königs, in Santarém zu besuchen, was bedeutet, dass er Lissabon erst nach knapp einer Woche wieder verließ? Eine andere seltsame Tatsache ist, dass Kolumbus auf der Rückkehr von der vierten Reise im marrokanischen Arzila anlegte, um den von den Arabern belagerten portugiesischen Truppen zu Hilfe zu eilen. Wie passt dies alles zu einem italienischen Kolumbus im Dienst der spanischen Könige, weil er angeblich mit dem portugiesischen Königshaus zerstritten war?

Andererseits gibt es deutliche Hinweise auf eine sefardische, d.h. portugiesisch-jüdische Herkunft von Christoph Kolumbus. Da ist zuerst die bereits zitierte Ehe mit D. Filipa Moniz Perestrelo, Tochter des einem vornehmen sefardischen Geschlecht stammenden Gouverneurs der Insel Porto Santo. Dass ein Christen aus dem einfachen Volk eine sefardische Adlige ehelichte, war, zumindest in jener Zeit, völlig ausgeschlossen (die ersten Mischehen gibt es erst Ende des 19. Jahrhunderts). Ein weiterer Hinweis auf eine jüdische Herkunft sind seine guten Kenntnisse des Hebräischen und des Alten Testaments, wobei er das Neue Testament völlig übergeht. Weiteres Indiz sind die hebräischen Tafeln zur Bestimmung des Sonnenstandes, die sich heute im Jüdischen Museum in New York befinden und die Kolumbus bei der Überquerung des Atlantik benutzte. Sie waren ein Geschenk vom portugiesischen König D. João II und stammen vom portugiesisch-jüdischen Mathematiker Abraham Zacuto (nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, dem Lissabonner Arzt Zacuto Lusitano, der im 16. Jahrhundert nach Amsterdam emigrierte).

Auffällig war zudem der Abreisetermin der Entdeckerflotte, der 3. August. Am Vorabend (ein Datum, das im jüdischen Kalender mit dem 9. Ab zusammenfällt, einem Trauertag wegen der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels durch die Römer) lief die Frist ab, zu der die Juden Spanien zu verlassen hatten. Kolumbus wies die Besatzung an, sich bereits in der Nacht vor der Abfahrt an Bord zu begeben. Unter ihnen 40 "Genueser", was nicht unbedingt ein Hinweis auf italienische Herkunft ist, denn "Genueser" war auch eine Bezeichnung für Kryptojuden, die sich nach den Pogromen in Genua im 14. Jahrhundert auf die iberische Halbinsel geflüchtet hatten. Aber der zugkräftigste, wenn auch schwer deutbare Hinweis ist die berühmte Unterschrift von Christoph Kolumbus. Hinter dieser Unterschrift versteckt sich der Mann, dessen wahren Namen wir nicht kennen: Colombo bzw. Kolumbus ist eine spätere Erfindung der Italiener, und wenn wir der kabbalistischen Deutung der Unterschrift glauben können, negiert er ebenfalls die spanische Version Colón.

Aber wie hieß er wirklich? In seinem 1988 veröffentlichten Buch O Português. Crtistóvão Colombo Agente Secreto do Rei Dom João II glaubt Augusto Mascarenhas Barreto in der letzten Zeile der Unterschrift den Namen Salvador Fernandes Zarco entdecken zu können. Das würde bedeuten, dass Kolumbus der uneheliche Sohn des Infanten Fernando, Herzog von Beja und Viseu, und der Jüdin Isabel Gonçalves Zarco wäre, Tochter von João Gonçalves Zarco, dem Entedecker Madeiras. Abgesehen von dieser interessanten Theorie, die sich aber wegen fehlender Dokumente nicht beweisen lässt, trägt dies Buch eine Menge Material verschiedener Forscher zusammen, die von einer portugiesisch-jüdischen Herkunft Kolumbus' überzeugt sind. Es sind die portugiesischen Historiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, allen voran Jaime Cortesão, aber auch solche aus dem Ausland wie Simon Wiesenthal (Segel der Hoffnung) und die französische Historikerin Sarah Leibovici (Christophe Colomb Juif). Sei es, weil es in großen Teilen ein unverdaulicher Wälzer ist, sei es, weil es eine unbequeme Theorie vertritt, das Buch von Mascarenhas Barreto hat in Portugal und im Ausland1 wenig Aufmerksamkeit erregt. Selbst die Entdeckerkommission unter ihrem damaligen Präsidenten Luís de Albuquerque verschmähte die Theorie eines portugiesischen Kolumbus und so hatten Spanien und Italien freie Bahn, 1992 die 500jährige "Entdeckung Amerikas" zu feiern.

Sehr viel mehr Erfolg hatte ein Roman, in dem es um dasselbe Thema geht. Er heißt O Codex 632 und stammt von José Rodrigues dos Santos, einem bekannten Gesicht in Portugal, denn seit 1991 präsentiert er das Telejornal auf RTP. In den ersten vier Monaten seit seinem Erscheinen im letzten Oktober wurden 90.000 Exemplare verkauft, womit noch der Erfolg seines zweiten Romans A Filha do Capitão, noch übertroffen wurde. Dies ist auch ein groß angelegter historischer Roman (es geht hier um die Teilnahme Portugals im Ersten Weltkrieg), an dessen demnächst erscheinender deutscher Fassung ("Die französische Geliebte") gleich drei Übersetzerinnen beteiligt sind (neben Marianne Gareis die Hamburgerinnen Karin von Schweder-Schreiner und Barbara Mesquita).

Wie lässt sich der "überwältigende Erfolg" (so die Zeitung Público) des neuen Romans von José Rodrigues dos Santos erklären? Handelt es sich doch, ähnlich wie bei dem Buch von Mascarenhas Barreto, um einen Wälzer (die portugiesische Ausgabe zählt fast 550 Seiten) und bringt im Vergleich zu diesem nichts Neues. Gestützt auf die überraschende Entdeckung Barretos, dass mehr als 40 Ortsnamen in den Antillen aus dem Alentejo stammen, genauer gesagt, aus einem Umkreis von 50 Kilometern um die Stadt Beja, weist dos Santos Kolumbus die alentejanische Ortschaft Cuba als Geburtsort zu. Für Mascarenhas Barreto ist dies ein weiterer Beweis für die Vaterschaft des Herzogs von Beja und Viseu, während im Roman von dos Santos Kolumbus Teilnehmer der Verschwörung des Herzogs gegen seinen Schwiegervater, den König D. João II ist. Die Aufdeckung dieser Verschwörung zwingt ihn, mit seinem Sohn Diogo nach Spanien zu fliehen. Später verzeiht ihm der portugiesische König und ermutigt ihn in seinem Unternehmen, im Dienste der spanischen Könige nach Westen zu segeln.

Dies wiederum lässt nur einen Schluss zu: der portugiesische König wusste aufgrund von Informationen, die er schon besaß (das sind die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung einerseits und andererseits die präkolumbianische Ankunft verschiedener Portugiesen auf dem amerikanischen Kontinent, wie Diogo de Teive 1472 in Haiti, João Álvares Corte Real und Álvaro Martins Homem 1474 in Neufundland, den sogenannten Bacalhau-Inseln, Pedro Vaz da Cunha 1487 in Brasilien und João Lavrador 1492 in Labrador), dass der kürzere Weg nach Indien in Richtung Osten ging. Um absolut sicher zu gehen, brauchte man nur die Reise von Bartolomeu Dias fortzusetzen. Und Kolumbus, der angeblich am portugiesischen Hof in Ungnade gefallen war, war die ideale Person, den spanischen Könige abzulenken und so Zeit für die portugiesischen Unternehmungen zu gewinnen. Wie bekannt, hat der Trick funktioniert: 1498/9 hat Vasco da Gama die Aufgabe ausgeführt (wir haben das Heft 2 unseres Blattes diesem Thema gewidmet) und damit Portugal den führenden Rang im Gewürzhandel gesichert und den des ersten europäischen global player seiner Zeit.

Mascarenhas Barreto und Rodrigues dos Santos sind sich in dieser Sicht der historischen Ereignisse einig. Als Schriftsteller hat Rodrigues dos Santos den großen Vorteil, nichts beweisen zu müssen. Er muss nur das ganze Material, das Mascarenhas Barreto und andere zusammengetragen haben, ordnen und es in einer plausiblen und lesbaren Weise strukturieren. Und wie ihm das gelingt! Er erfindet eine spannende Rahmenhandlung, verknüpft geschickt die verschiedenen Handlungsstränge und steigert mit jeder Seite die Spannung des Lesers. Genial ist auch das Ende der Geschichte, das hier nicht verraten werden soll. Darüber hinaus schreibt Rodrigues dos Santos in einem flüssigen Stil, der auch dem Durchschnittsleser zugänglich ist, der nicht über große historische und naturwissenschaftliche Kenntnisse verfügt. Es sind also diese schriftstellerischen Qualitäten, die zum großen Teil den Erfolg des Buches erklären. Vielleicht aber auch das Gefühl der Leser, dass trotz aller italienischen Machenschaften und trotz aller portugiesischen Zurückhaltung und Zögerlichkeit die portugiesische Herkunft von Kolumbus nun endlich feststeht. Und natürlich gewinnt durch die immer näher rückenden Ergebnisse der DNA-Tests der Roman von Rodrigues dos Santos noch an Aktualität.

Den deutschen Lesern wünschen wir, dass sich, unabhängig von diesen Untersuchungen, ein Verlag für die deutsche Übersetzung findet. Wir erwarten von den DNA-Tests sowieso keine schlüssigen Ergebnisse, wenn wir lesen, dass Speichelproben von 250 Männern mit dem Namen Colombo, Colón oder Colomb zwischen Genua und den Balearen analysiert und mit dem Y-Chromosom von Hernando, dem spanischen Sohn von Kolumbus, verglichen werden sollen. Dann wird ausgezählt und entschieden, ob Colón/Colombo Italiener oder Spanier war. Die Möglichkeit einer portugiesischen Herkunft ist nicht vorgesehen. Und wenn die Tests ergebnislos bleiben, was zu erwarten ist, wenn die Theorien von Mascarenhas Barreto und Rodrigues dos Santos halbwegs glaubwürdig sind, wird man weiterhin fragen dürfen: "War Kolumbus Portugiese?"


Die beiden Karten zeigen, dass ca. 40 Ortsnamen auf den Antillen aus dem Alentejo stammen




1 Soweit ich weiß, gibt es keine Übersetzung in andere Sprachen. Den deutschen Lesern kann ich meine ausführliche Besprechung empfehlen, die in der Nummer 22 der inzwischen eingestellten Zeitschrift tranvía auf S. 24-26 und 47-48 erschienen ist




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Portugal-Post Nr. 34 / 2006





O Codex 632














































die hebräischen Tafeln zur Bestimmung des Sonnenstandes








Unterschrift von Kolumbus




Das Buch von Augusto Mascarenhas Barreto