.
  Wir über uns    Mitglied werden    Kontakt    Gästebuch


Ein jüdischer Hofnarr am Hof von Peter dem Großen Das abenteuerliche Leben des Hamburger Portugiesen Juan d'Acosta

Von Michael Studemund-Halévy *

"Ich möchte ein weinender Hofnarr sein, denn wenn die Juden weinen, lachen die Christen (goyim)!" Wir wissen nicht, ob das "goyishe" St. Petersburg viel zu lachen hatte, aber in dem Roman Narren des Zaren (Šuty ili chronika iz žizni prochožich ljudej) des russischen Schriftstellers David Markish mokiert sich der russische Hofjude Juan d'Acosta schreiend und lachend über das ungebildete und plebejische Russland.

Was für ein Leben! Geboren vielleicht um 1665 in Salé (Marokko) als Semah da Costa Cortissos (Cortiços) und als Kind neuchristlicher Eltern (?), um 1710 Heirat in Amsterdam (?), vor 1714 Tätigkeit in Hamburg, nach 1714 Hofnarr am Zarenhof in St. Petersburg, erster Jude auf finnischem Boden, Besitzer einer entlegenen Inselgruppe im finnischen Meerbusen und stolzer (Operetten)-"König der Samojeden".

Hamburger und Amsterdamer Sefarden unterhielten früh wirtschaftliche Beziehungen mit dem Ostseeraum, dem Baltikum und dem Zarenreich. Der in Hamburg und Altona und später in Glückstadt ansässige Álvaro Dinis (alias Semuel Yahya) gründete in Danzig eine Handelsniederlassung; der getaufte und in Portugal geborene Friedrich Mentes (Mendes?) trat in Hamburg "aus dem verstockten Judentum zu der reinen wahren evangelischen Lehre", wurde Hebräischlehrer in Greifswald und soll von Königsberg aus eine Stelle am Hof von Mitau erhalten haben: Jacob Abensur trat in polnische Dienste und Moses Joseph Wessely, erst Hamburger, dann Glückstädter Jude, wurde während des Nordischen Krieges zum Generalprovediteur der russischen Armeen bestellt.

Peter der Große (1682-1725) hatte im März 1713 sein Hauptquartier in Friedrichstadt an der Eider. Dort machte er möglicherweise Bekanntschaft mit dem Hamburger Börsenmakler Juan d'Acosta (Johann da Costa, Jan Dacosta). Im Auftrag des Zaren überredete der zaristische Resident (Konsul) in Hamburg, Böttiger (?), dessen Aufgabe es war, qualifizierte Menschen an den kaiserlichen Hof zu holen, nach seinem ersten Treffen in Hamburg spontan den wohl einst erfolgreichen und später wohl bankrotten Makler, nach St. Petersburg zu kommen, um dort die Stellung eines nicht nur "schreienden" Hofnarren anzutreten. Diese Stellung, die er ab 1714 stets mit wacher Intelligenz, Witz, Chuzpe und Sprachgewandtheit ausfüllte, verdankte er nicht zuletzt der Tatsache, dass Peter der Große seine Hofnarren nicht nur zur eigenen Belustigung und der seines Hofes anstellte, sondern auch mit der aufklärerischen Absicht, damit die dumpfen Vorurteile seiner ungebildeten russischen Untertanen lächerlich zu machen. Schnell avancierte der kluge Narr zum Liebling der Hofgesellschaft.

Über ihn schrieb der russische Historiker Sergy N. Shubinsky bewundernd: "Wegen seines Witzes, seiner Kenntnis fast aller europäischen Sprachen und seiner Fähigkeit, über alle zu spotten und dennoch allen zu gefallen, gelang es ihm, die Stellung eines Hofnarren zu bekommen und erfolgreich auszufüllen."

Sefarden im Dienste der russischen Zarenfamilie waren im 18. Jahrhundert nicht selten. Während seines Besuchs in Amsterdam hatte Peter der Große zahlreiche Juden getroffen, darunter auch portugiesische Juden, die im 17. Jahrhundert und noch Anfang des 18. Jahrhunderts die jüdische Elite der Stadt darstellten. Er hatte auch die erst wenige Jahre zuvor errichtete prächtige Synagoge (Esnoga) der Portugiesen besichtigt, was für alle Besucher der Stadt zum Pflichtprogramm gehörte. Im wirtschaftlich prosperierenden Amsterdam suchte der Zar besonders den Kontakt zu den portugiesischen Juden, die er eindringlich einlud, mit ihm nach St. Petersburg zu kommen. So zum Beispiel den portugiesischen Neuchristen António Nunes Ribeiro Sanches, der auf Einladung der Zarennichte Anna Ivanovna die Stellung eines Hofarztes angenommen hatte. Und es war eben jener António Nunes Ribeiro Sanches, der die erste und bis heute einzige, wenn auch kurze Biographie dieses bemerkenswerten Juan d'Acosta verfassen sollte. 1717 ließ Peter der Große in Hamburg für die Beteiligung am persischen Seidenhandel werben und wandte sich dafür eigens an die Hamburger "Portugiesen".

In Amsterdam lernte Zar Peter weiter den (angeblich) aus adliger Familie stammenden jungen Seemann und in Amsterdam geborenen António de Viera (António de Immanuel Vieira alias Anton Manuilovich Divier) kennen, der später ebenfalls an den Zarenhof kam, um dort 1717 Polizeichef von St. Petersburg zu werden. Aufgrund übler Intrigen seines antijüdischen und cholerischen Schwiegervaters wurde er nach Sibirien verbannt, konnte aber im Auftrag der russischen Regierung dem dänischen Entdecker Vitus Jonassen Bering (1681-1745) bei der kartographischen Erfassung Sibiriens ebenso tatkräftig wie sachkundig behilflich sein. Dabei entdeckten beide die heute als Bering-Strasse bekannte Meerenge zwischen Asien und Nordamerika.

Zurück zu unserem Hofnarren. Am Zarenhof hatte der neue Hofnarr Juan d'Acosta seine jüdische Herkunft niemals verschwiegen. Er war allgemein als der "portugiesische Jude Lacosta" bekannt, der mit seiner Frau und seiner Tochter Sara auf allerhöchste Einladung nach Russland gekommen war. Seine zänkische Frau, die er um 1710 in Amsterdam (?) geheiratet hatte, muss sehr klein gewesen sein und einem russischen Sprichwort zufolge voller "Salz und Pfeffer". Nach ihrer Ankunft ließen sie ihre Tochter auf den Namen Maria taufen. Seine von ihm angehimmelte Tochter musste sich später der stürmischen Avancen eines Höflings erwehren. Dieser war kein geringerer als der angesehene Hofarzt Lestoque. Trotz seiner Beteuerungen, in Maria d'Acosta verliebt zu sein, wurde er auf Betreiben ihres Vaters daraufhin für mehrere Jahre vom Zarenhof verbannt.

Juan d'Acosta war wegen seines Geizes berühmt und wegen seiner unverblümten Schlagfertigkeit gefürchtet. Vielen Russen war er aber auch suspekt, weigerte er sich doch beharrlich, mit ihnen Wodka zu trinken. Vor allem aber liebte er Bücher, so dass seine Frau sich manchmal wünschte, ein Buch zu sein, um von ihrem Mann wenigstens wahrgenommen zu werden. Worauf ihr Gatte ihr wenig galant geantwortet haben soll, sie möge sich lieber in einen Kalender verwandeln, denn dann hätte er jedes Jahr eine neue Frau. Da er in der jüdischen Religion und den jüdischen Traditionen wohl gut bewandert war, Hebräisch beherrschte und auch sonst überaus sprachkundig war, diskutierte er mit dem Zaren häufig über theologische Fragen. Der aus Schleswig-Holstein stammende Friedrich Wilhelm von Bergholz (1699-1765), zwischen 1721 und 1721 großfürstlicher Kammerherr in St. Petersburg, berichtet in seinen lesenswerten Tagebüchern, dass er einmal in der kaiserlichen Sommerresidenz Zeuge einer lebhaften Diskussion in holländischer Sprache zwischen dem Zaren und seinem gelehrten Hofnarren Juan d'Acosta wurde.

Der Zar war mit den Diensten seines jüdischen Hofnarren offenbar derart zufrieden, dass er ihm alsbald den einem Hofnarren angemessenen Titel "König der Samojeden" verlieh und ihm - nicht ohne boshafte Hintergedanken - eine sandige und unbewohnte kleine Insel im finnischen Meerbusen schenkte. Schon 1718 wurden ihm vom Zarenhof die Inseln Lavansaari, Seiskari, Suursaari und Tytarsaari zusammen mit 40 Höfen offiziell übereignet. Und 1721 wurde ihm zugesichert, dass diese Inseln "auf immer" in seinem Besitz und dem seiner Nachkommen bleiben würden. Diese auch als "entlegene Inseln" bekannten Eilande waren seit dem 17. Jahrhundert von Finnen bewohnt, gehören heute aber zu Russland. Diese Schenkung war vielleicht nur ein Scherz, denn noch heute erzählt man sich in Finnland abenteuerliche Geschichten über jenen seltsamen "Spanier" (!), den man "Spanischer Schwarzkopf" nannte und der besonders eine große Gefahr für junge finnische Frauen gewesen sein sollte. Auch soll seine Fähigkeit und List, Steuern zu erfinden und sie dann bedenkenlos einzutreiben, nicht unerheblich gewesen sein. Auf der Insel Lavansaari errichtete der "König der Samojeden" Juan d'Acosta seinen bescheidenen Palast, ganz bewusst in der Nähe der Kirche und argwöhnisch beobachtet von den wenigen Inselbewohnern.

Juan d'Acosta überlebte Peter den Grossen, seinen großen Gönner. Er starb im biblischen Alter von ca. fünfundsiebzig Jahren am 6. Mai 1740 in St. Petersburg. Wo er begraben wurde, ist nicht bekannt. Und was aus seiner Frau und seiner Tochter Sara/Maria wurde, konnte bis heute nicht festgestellt werden. In einem Brief an seinen jüdischen Botschafter in Wien schrieb Peter der Große: "Es ist für mich ohne Bedeutung, ob jemand getauft ist oder beschnitten. Wichtig ist nur, dass er ein guter Mensch ist und sein Handwerk versteht." Auf sein burleskes Handwerk hat sich der "König der Samojeden" sicherlich verstanden, ob er ein guter Mensch gewesen ist, das wissen nur die, die ihn kannten.

In seinem populären und historisch ungenauen Roman Narren des Zaren lässt David Markes Juan d'Acosta 1638 nach Hamburg zurückkehren. Und er schreibt: "Am fünfundzwanzigsten August des Jahres 1943 starben die direkten Nachkommen des Jan Lacosta, die Männer Josef, Johann und Heinrich, die Frauen Hilde und Rosalinde, die Kinder Hans, Hubert und Minna in einer Gaskammer und wurden im Krematorium des Konzentrationslagers Buchenwald in Deutschland verbrannt".


* Hamburger Forscher, der sich insbesondere durch seine zahlreichen Veröffentlichungen zu den Sefarden einen Namen gemacht hat, darunter das zweibändige Werk "Sefarden in Hamburg" und das "Biographische Lexikon der Hamburger Sefarden", in dem er den portugiesisch-jüdischen Friedhof an der Königstraße mit seinen fast 2.000 Grabplatten darstellt. Im letzten September organisierte er zu dem Thema der Hamburger Sefarden den internationalen Kongress "Coming and Going" im Warburg-Haus. Die vollständige Fassung des vorliegenden Artikels mit ausführlichen Quellenangaben finden Sie auf unserer Homepage.




| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 34 / 2006





Juan d'Acosta 1665-1740