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Uma Casa Portuguesa - auch auf Madeira
Ein Eindruck von der Fadoszene auf der Atlantikinsel

Von Jürgen Schaper *

Madeira gehört zu Portugal, aber Madeira ist nicht Portugal! So sehen es jedenfalls viele Inselbewohner, von denen nur wenige in ihrem Leben je auf dem Kontinent waren. Nach der Beendigung des Salazarregimes hätte sich das eigenwillige Volk der Insulaner unter dem Einfluss der vielen während der Diktatur auf die Insel verbannten Oppositionellen und der Unabhängigkeitsbewegungen FLAMA und O MAIA fast vom damals nicht sonderlich geliebten Mutterland getrennt. Vorausschauende Leute haben jedoch eine Ablösung und Unabhängigkeit der Azoren und Madeiras verhindern können. Zum Glück gab man sich 1976 mit dem Status einer "Autonomen Region" (Região Autónoma da Madeira) zufrieden. Als Teile Portugals gerieten beide Inselgruppen 10 Jahre später so in den Genuss der Segnungen der Europäischen Union. Im Gegensatz zu den Kapverden, die sich durch ihre Lösung von Portugal für den Stolz in der Armut entschieden.

Die Geschichte der Insel und ihr gegenwärtiger Status haben dazu geführt, dass sich die Bevölkerung in erster Linie als Madeirenser und nicht immer auch als hundertprozentige Portugiesen fühlen. Lange Zeit zeigten sie ihre 1976 eingeführte schöne blau-gelb-blaue Flagge mit dem roten Kreuz des Christusordens in der Mitte lieber als die Flagge der Republik Portugal. Inzwischen - besonders seit der Fußballeuropameisterschaft in Portugal - sieht man das Grün-Rot wieder häufiger. Meistens werden jetzt aber beide Flaggen, zusammen mit der blauen Europas, gemeinsam gezeigt.

Auch manches portugiesische Brauchtum ist auf der Insel nicht oder nur in veränderter Form heimisch geworden. So stößt der Kaffeeliebhaber hier zum Beispiel auf Unverständnis, wenn er einen Galão bestellt. Der Milchkaffee heißt auf Madeira Chinesa. Auch der in Portugal beliebte Fado ist trotz mancher Versuche auf der Insel nie recht heimisch geworden. Ich kann allerdings nur über die letzten 15 Jahre mitreden, habe mich aber in Gesprächen mit meinen portugiesischen - oder vielleicht richtiger madeirensischen - Freunden ein bisschen über die früheren Zeiten informiert. So sang vor einem Vierteljahrhundert der legendäre Max, der eigentlich Maximino de Sousa hieß, folkloristische Lieder, die mehr oder weniger nach Fado klangen. Mit etwas Glück kann man eine 1982 eingespielte CD von Max noch heute auf Madeira kaufen.

Es ist schon interessant, heute seiner rauen, oft krächzenden Stimme zu lauschen, wenn er die Insel oder Porto Santo mit den Noites da Madeira oder Bailinho dos Ilhéus, die Stickerinnen und Korbflechter, die Fischer oder Walfänger mit seinen eigenen Texten und Kompositionen besingt. In der heutigen Fadoszene wird das Andenken an den längst Verstorbenen hoch gehalten. Er gilt hier vielen als Vorbild und vor allem als Pionier des Fado auf Madeira.

In den letzten 15 Jahren hat sich eine neue Szene entwickelt. Sie besteht aus Amateuren oder, wie oft beim Fado, aus "Halbprofis". Nicht alle treten öffentlich auf, einige sehr selten, wenn es zum Beispiel um ein Benefizkonzert bei Radio Portugal zu Gunsten behinderter Kinder geht. Es ist aber interessant zuzuhören, wenn Chefärzte, Steuerberater, Schuldirektorinnen, Lehrer, aber auch kleinere Kaufleute, Busfahrer und Köchinnen in meist engen Privatwohnungen zusammenkommen, um miteinander mit den beiden unverzichtbaren Gitarristen zu üben, Texte auszutauschen, Stücke einzustudieren oder CDs mit wundervollen Aufnahmen gegenwärtiger oder früherer Stars am Fadohimmel anzuhören oder nachzusingen. Dabei hat jede/r natürlich seinen/ihren ganz eigenen Stil.

Treten sie dann im Saúl, Atlântida, Arsénios, Galo oder anderen Restaurants in Funchal, Caniço, Madalena do Mar oder Machico vor Madeirensern und Touristen auf, so ist der Ablauf "klassisch". Zuerst ein instrumentales Stück der beiden Gitarristen; dann tritt Rui Fernandes auf, der Hauptstar und Mittelpunkt der Szene; es folgen Vera Lucia, die im Stil und Outfit ihres großen Vorbildes Amália Rodrigues singt und auftritt. Meist folgen noch ein paar weitere Fadistas wie Ricardo, Egídio oder Avelinho oder sogar Frauen und Männer spontan aus dem Publikum. Im Inn + Art, dem aus dem Atelier des bekannten, erst kürzlich hoch betagt gestorbenen Sylter Malers Siegwar Sprotte hervorgegangenen kleinen Hotel und Restaurant, das jetzt von seinem Sohn Arnim geführt wird, hörten wir auch die schönen Stimmen von Rosa Madeira und Amorim Gonçalves. Alle, die wir kennen, singen die bekannten klassischen Stücke und sind dabei den besten gegenwärtigen Fadistas Lissabons in jeder Hinsicht gleichwertig. Ich selbst muss gestehen, dass ich in Lissabon noch nicht so guten Fado gehört habe, wie er inzwischen auf Madeira zu genießen ist, aber das mag an mir liegen.

Gern erinnern wir uns an die Köchin Fátima. Die stattliche junge Frau, die vor Jahren, wenn ihre Gäste satt waren und sie ihre Küche sauber hatte, plötzlich in Schürze und Häubchen im Raum stand und zur großen Begeisterung des Publikums und ihrer singenden Kollegen mit kräftiger, aber sauberer Stimme zwei oder drei Fados vortrug. Es waren stets Höhepunkte, die zur großartigen Stimmung beitrugen. Es waren die Jahre, in denen wir diesen wunderbaren Gesang und die damit verbundene träumerische Atmosphäre zu lieben begannen und das Glück hatten, unter den Fadistas Freunde zu gewinnen, die uns alsbald zu ihren Geburtstagen, zu Einübungen oder aus anderen Anlässen zu sich nach Hause einluden und uns damit etwas an ihrem Leben, ihrer Arbeit und ihrer Begeisterung teilnehmen ließen. In dieser freundlichen Umgebung war es leicht, Fado und die Menschen, die ihn singen, lieben zu lernen; verstehen werden wir ihn wohl nie. Meine Frau als Malerin und Zeichnerin hat dann manche Szene, ob im Restaurant oder privat, aquarellierend oder zeichnend festgehalten, wenn ich Hemmungen hatte, mit dem Blitzlicht zu fotografieren.

Das Publikum ist fast immer gemischt. Einheimische und Touristen. Bei Letzteren gibt es sowohl andächtig lauschende wie unberührt laut mit Tischgenossen plaudernde. So ähnlich ist es aber auch mit den Madeirensern. Viele benutzen den Abend, um ein Familienfest mit vier Generationen oder Freunden zu feiern. Spielende, schreiende, aber irgendwann schlafende Kinder, über Haushaltsfragen klönende Mütter, in Geschäfte vertiefte Männer und schwerhörig palavernde zahnlose Greise, deftige Bauern, wettergegerbte Fischer, smarte Büromenschen, Taxifahrer und Verkäuferinnen. Vor mächtigen Fleischspießen, großen Bergen Batatas Fritas und zahlreichen Rotweinflaschen bilden sie zwar ein pittoreskes Bild, aber lassen die Stimmen der Fadista kaum durchdringen. Andere Portugiesen wieder kommen extra, um verzückt dem Fado zu lauschen. Es ist mal so und mal so. Madeira ist eben nicht Portugal und schon gar nicht Lissabon, obwohl uns da auch oft der Touristenrummel stört.

Rui Fernandes und einige andere, die nicht nur über eine kräftige Stimme, sondern auch persönliches Durchsetzungsvermögen verfügen, verstehen es, sich gegen allzu lautes Geschwätz schon mal durchsetzen. Entweder mit einem harschen "Silêncio" vor dem Auftritt oder indem sie einfach zu Uma Casa Portuguesa oder anderen populären Stücken alle zum Mitsingen und rhythmischen Klatschen animieren. Die Gespräche sind dann unterbrochen, und Ruhe und Aufmerksamkeit für einige Zeit wieder hergestellt. Im schlimmsten Fall wurde dem Wunsch portugiesischer Gäste entsprochen, den unter der Decke hängenden Fernseher - allerdings ohne Ton - anzustellen, damit sie gleichzeitig ein Fußballspiel verfolgen können!

Mittelpunkt und Motor der madeirensischen "Szene" ist mit Sicherheit Rui Fernandes. Nicht nur, dass der Wirtschaftsprüfer, der in einer eleganten Neubauwohnung oberhalb Funchals wohnt, nach unserer Auffassung gegenwärtig wohl der weitaus beste Fadista Madeiras ist. Er hält alle zusammen, treibt sie wohl mit seinem Beispiel auch an, vermittelt - oft in seiner Wohnung - Zusammenkünfte und Auftritte, bewältigt wohl auch die anfallende Schreib- und Büroarbeit. In seiner Wohnung, gewissermaßen einem kleinen Fadozentrum, wie auch bei anderen privat, hörten wir auch Chefärzte, Professoren und Direktorinnen singen. In der Öffentlichkeit haben wir sie selbst noch nie erlebt, obwohl das, wie wir wissen, hin und wieder aus besonderem Anlass schon geschehen ist. Aus Diskretion habe ich daher auch bewusst vermieden, ihre Namen hier zu nennen.

Noch ein Wort zu den Gitarristen. Leider spielen sie oft in wechselnden Zusammensetzungen, wechseln überhaupt ab und zu, was auch berufliche Gründe haben mag. Francisco spielte lange Zeit ausgezeichnet die portugiesische Gitarre, hat sich aber leider aus Altersgründen ganz zurückgezogen. So müssen die Fados oft mit neuen Paarungen eingeübt werden. Persönlich habe ich deshalb den Eindruck, dass es auf Madeira inzwischen zwar mehr als ein Dutzend ausgezeichneter Sänger und Sängerinnen gibt, es aber zur Zeit noch gewisse Schwierigkeiten bereitet, eine größere Zahl wirklich guter Gitarristen auf Dauer einzubinden.

Der erwähnte Rui Fernandes, der bereits seit 25 Jahren singt und von dem es einige CDs gibt, ist sogar schon in Nordeuropa auf Tournee gewesen, allerdings noch nicht in Deutschland. Ich bin der Meinung, dass es sich für Interessierte jedoch inzwischen durchaus lohnen würde, der madeirensischen Fadoszene Beachtung zu schenken und ihre Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. Vielleicht singt mal eine/r von ihnen in Hamburg. Sicher würde er/sie Erfolg und Sie Ihre Freude daran haben.


* PHG-Mitglied Jürgen Schaper ist Herausgeber einer Segelzeitschrift. Er ist Autor des 2002 erschienen Buches "Gischt an Deck" und Mitverfasser des im letzten Jahr erschienen Bandes "Elbleuchten. Literarische Fundstücke von Hamburg Altona bis Blankenese". Beide Bücher sind illustriert von seiner Frau Marlies Schaper, ebenfalls PHG-Mitglied, eine in Hamburg nicht ganz unbekannte Malerin. Sie hat ihre Bilder, die auch dem Thema Portugal gewidmet sind, auf verschiedenen Ausstellungen gezeigt. Beide wohnen in Oevelgönne mit dem Blick auf die Elbe und lassen die Seele flussabwärts ins ferne Portugal wandern. Besonders gut kennen sie sich in Madeira aus, das sie seit über 15 Jahren regelmäßig besuchen.




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Portugal-Post Nr. 33 / 2006


Der langjährige Gitarrist Francisco an der portugiesischen Gitarre




Zeichnung von Marlies Schaper: Fadistas im "Atlântida" in Reis Magos auf Madeira