.
  Wir über uns    Mitglied werden    Kontakt    Gästebuch


Antre primos i armanos

Von Henrietta Bilawer *

Am 9. Mai war Europatag. Die Gemeinschaft verständigt sich mittlerweile in 20 Arbeitssprachen und hat sich in der EU-Grundrechte-Charta zur Achtung der Sprachenvielfalt verpflichtet. Neben den offiziellen Idiomen gibt es regionale Minderheitensprachen. Dazu gehört das Mirandesische im Norden Portugals. Die mirandesische Sprache ist ein Stück Entstehungsgeschichte der portugiesischen Nation.

Nach Angaben der UNESCO werden heute weltweit etwa 6.000 Sprachen gesprochen. Die Hälfte der Bevölkerung kommt mit acht Idiomen aus, darunter Portugiesisch, das offiziell in sieben Ländern der Erde von rund 200 Millionen Menschen gesprochen wird und an sechster Stelle der Weltsprachen liegt. Jeder dritte Portugiese, so jüngste Statistiken, kann sich auch in einer Fremdsprache unterhalten. Das Mirandesische hingegen, eine Mischung aus Spanisch und Portugiesisch, fristet im eigenen Land ein Schattendasein. Heute beherrschen noch etwa 15.000 Menschen die Sprache, die im äußersten Nordwesten des Landes daheim ist, in der Region Trás-os-Montes an der Grenze zu Spanien, auf 484 Quadratkilometern, wie dort antre primos i armanos definiert wird: "Unter Brüdern" eben.

Sprachforscher vermuten, das Mirandesische habe sich während der Maurenherrschaft vom in Spanien gesprochenen Asturisch und Leonesisch abgespalten. Es ist damit ein Stück Entstehungsgeschichte der Nation Portugal. 1999 hat das Parlament eine Resolution zur Anerkennung des Mirandesischen als offizielle Sprache angenommen. Seither wird die Mundart als Wahlfach in Schulen des Distrikts Miranda do Douro unterrichtet. "Hoije recebiu bida nuôba", hieß es nach der Anerkennung stolz: "Hoje recebeu uma vida nova" - heute erhielt die Sprache neues Leben, "A la par de l Pertués" - gleichberechtigt mit Portugiesisch.

Das Idiom überlebte als "Sprache der Felder, des eigenen Herdes und der Liebe", schrieb der Heimatdichter José Leite de Vasconcelos 1882. Verglichen mit anderen Minderheitensprachen blieb das Mirandesische erhalten, weil es "trotz der Verdrängung durch das Portugiesische in der Bevölkerung als Sprache von höherem Prestige angesehen wurde", so die Sprachwissenschaftlerin Olinda Santana. Voller Lokalpatriotismus wurde Mirandesisch mündlich überliefert: In cascos genannten Theaterstücken, in Sprichwörtern, Gedichten, Rätseln, Anekdoten und Abzählreimen. Die schriftliche Form der Volkssprache trat in den Hintergrund.

Einige Gedichte wurden nun in einer Sammlung zusammen gefasst. Autor Amadeu Ferreira, Pseudonym: Francisco Niebro, nannte sein Buch "Cula Torna Ampuosta, Quienquiera Ara, Em Cama Feita Qualquer Um Se Ajeita", was sich nur sinngemäß übersetzen lässt: Ist der Boden vorbereitet, kann jeder sein Werk vollbringen. In seiner Heimat bedeute dies, so Amadeu Ferreira, dass jedermann jemanden brauche, denn Einsamkeit schafft keine Werte. So möchte er auch die Arbeit zur Wiederbelebung seiner Muttersprache verstanden wissen. Der Linguist Alberto Augusto Miranda beklagt, das Mirandesische sei die einzige auf der Iberischen Halbinsel gesprochene Sprache, die an keiner portugiesischen Universität gelehrt wird. Nur eine Hochschule im spanischen Salamanca lehrt das Fach.

Ein Internet-Lexikon ist unter www.bragancanet.pt/dicmirandes im Aufbau, ein gedrucktes Bocabulairo Mirandés-Pertués soll bald folgen. Die in Bragança erscheinende Zeitung Nordeste bringt auf der Internetseite www.jornalnordeste.com eine Nachrichtenseite in Mirandesisch, zwei regionale Radiosender senden zeitweise im heimatlichen Tonfall. Durch die 800 Jahre alte mündliche Tradition vermittelt die Sprache viele ethnografische Elemente. Die Weltsicht der Menschen spiegelt sich in ihren eigenen Vokabeln oder Versen, die bei ursprünglich heidnischen Festen bis heute gebräuchlich sind. Nach streng sprachwissenschaftlichen Kriterien erscheint Mirandesisch wenig perfekt. Satzbau und Orthografie sind uneinheitlich, weil typisch für den kulturellen Hintergrund des jeweiligen Sprechers.

Um den Erhalt solcher Mosaiksteine der Kultur eines jeweiligen Landes kümmert sich seit 1982 das Europäische Büro für die weniger verbreiteten Sprachen (EBLUL) als Netzwerk in allen EU-Staaten. Seit einem Jahr kämpft die Institution um ihr finanzielles Überleben. Weniger als 1 % des EU-Haushaltes ist für die Pflege der Sprachenvielfalt vorgesehen. Sie kostet den einzelnen Bürger weniger als € 2 pro Jahr.


* Die Philologin Henrietta Bilawer ist stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift "Entdecken Sie Algarve", die monatlich erscheint und über Land und Leute, Kultur, Wirtschaft, Politik und Zeitgeschehen in Portugal berichtet.
Der Artikel, den wir mit freundlicher Genehmigung nachdrucken, erschien in der Mai-Ausgabe der ESA (Entdecken Sie Algarve)




| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 31 / 2005


Henriette Bilawer







Festung von Miranda do Douro