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Projekt Migration
Eine Ausstellung über die Einwanderung nach Deutschland und Europa

Von Alexandra Ventura Corceiro *

Alles begann mit dem Initiativprojekt "Projekt Migration" der Kulturstiftung des Bundes. Nach mehr als zweijähriger Recherche und Vorbereitung steht am Ende des Projektes nun eine groß angelegte Ausstellung zum Thema Migration. Sie umfasst den Zeitraum seit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR bis heute. Ein besonderes Augenmerk liegt bei dem Projekt auf der europäischen Dimension der Migration.

Der Fokus des Kölnischen Kunstvereins liegt auf zeitgenössischer Kunst, die sich mit Migration auseinandersetzt. "Transit", das Forschungsteam des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt am Main, legt seinen Forschungsschwerpunkt auf aktuelle Grenzregime in Europa. DOMiT, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration nach Deutschland, recherchiert unter dem Titel "Zwei, drei Jahre Alemanya..." Dokumente, Objekte und Erzählungen zu der Geschichte der Gastarbeiter und der Vertragsarbeiter in Deutschland. Mit Unterstützung von Leihgebern und anderen engagierten Persönlichkeiten will die Ausstellung, die vom 31. September 2005 bis 15. Januar 2006 in Köln realisiert wird, neue Maßstäbe für die Darstellung der Geschichte und Gegenwart der Migration setzen. Eine der Gruppen, die von 1955 bis 1973 in die Bundesrepublik Deutschland angeworben wurden, waren Portugiesen. Sie wanderten in den 1960er und 1970er Jahren in großer Zahl aus; innerhalb von 14 Jahren verließen 15% der Bevölkerung, etwa 1,2 Millionen Menschen, das damals ärmste Land Europas. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Bezogen auf die erwerbsfähige Bevölkerung liegt der Anteil der Auswanderer sogar bei 40%.

Die Auswanderung nach Übersee wurde von den Behörden gefördert, vor allem in die damaligen Kolonien. Sie wurden staatlich kontrolliert, das heißt, es handelt sich um eine selektive Auswanderung, die keine freie Ausreise erlaubte. In den 1960ern gingen Portugiesen vermehrt nach Europa, hauptsächlich nach Frankreich. die Hälfte davon kam illegal über die grüne Grenze ins Land. Vielen war das staatliche Auswahlverfahren zu kompliziert, bzw. wem die Auswanderung verweigert wurde, der entschied sich für den unbürokratischen Weg, privat, mit dem Auto oder Zug, zum Teil zu Fuß über die Grenzen zwischen Portugal, Spanien und Frankreich. An der Grenze zu Frankreich wurden die Portugiesen mit offenen Armen empfangen.

Der wichtigste Grund für die illegale Auswanderung war der Kolonialkrieg, der im Land, neben der Politik des Estado Novo während der Salazardiktatur, zusätzlich die Misere steigerte und junge Männer in die Migration zwang. Wer im wehrpflichtigen Alter war, durfte das Land nicht verlassen, also wanderten auch Familien mit ihren fast wehrpflichtigen Söhnen aus, oder die jungen Männer versuchten es auf eigene Faust.

Im Falle der Bundesrepublik war die staatliche Anwerbung von Arbeitskräften der Hauptmotor der Migration. Die Einwanderung war stark reguliert, so dass bis zu 77% der Portugiesen über die Junta da Emigração und die Deutsche Verbindungsstelle in Lissabon kamen. Wer alle Bedingungen erfüllte, gesund und strapazierfähig war, durfte mit einem Paket im Gepäck in einem Sammeltransport nach Deutschland fahren. Nach drei Tagen kamen die Reisenden vollkommen erschöpft am Bahnhof Deutz in Köln an. Dann ging es weiter in die Betriebe. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen oder gar zu verstehen, haben viele unter schweren Bedingungen gelebt. Sie wollten schließlich alle so schnell wie möglich zurück und gaben sich deshalb mit wenig zufrieden. Aber die Zeiten änderten sich und sie blieben. Wer sich gut einlebte und der Einsamkeit entgegenwirken wollte, holte bald die Ehefrau und Kinder nach. Die meisten Frauen waren als Familienangehörige gefolgt. Dazu benötigten sie eine Carta de chamada, eine Art Bescheinigung portugiesischer Konsulate.

Heute ist die portugiesische Bevölkerung in der Bundesrepublik noch stark geprägt durch die Pioniere dieser Zeit, von denjenigen Migranten, die in den 1960ern und 1970ern ein besseres Leben suchten, Vereine gründeten; aber ihre Zusammensetzung ist heute sehr heterogen. Nach dem Eintritt Portugals in die EWG in 1986 erlebte die Comunity durch die Nachzügler eine strukturelle Veränderungen und einen Mentalitätswechsel. Während bis in die 1990er hinein die Vereine einen wesentlichen Bestandteil der Selbsthilfe darstellten, werden sie heute fast nur noch für die Freizeit und die Traditionspflege genutzt. Auch Portugal selbst verändert sich zusehends. Aus einem klassischen Auswanderungsland ist in der letzten Dekade ein Einwanderungsland geworden. In Portugal sind Einwanderer aus der Ukraine und den Kapverdischen Inseln die stärksten Gruppen, kein ungewöhnliches Phänomen angesichts der Migrationsströme innerhalb Europas. Aber weiterhin bleibt die Tradition der Wanderung erhalten. Portugiesen sind heute noch als Saisonarbeiter überall in Europa anzutreffen.

Aus der Geschichte lernen ist ein Motto, das dieser Ausstellung vorangestellt werden könnte. In der Ausstellung wird die Chance geboten, die eigene Geschichte wieder zu erleben und sie weiterzugeben an die nächsten Generationen, die kaum mehr ein Gefühl für die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern haben. Aber es ist auch der Versuch, sich sichtbar in die Geschichte Deutschlands einzuschreiben und dieser Gesellschaft durch einen anderen Blickwinkel ein eigenes Selbstverständnis anzubieten. Migration ist Teil der europäischen Gesellschaft und wird sie weiterhin prägen.


* Ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei DOMiT




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Portugal-Post Nr. 31 / 2005