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Schlachttag in Assomada

Von Teja Fiedler *

Ein Open-Air-Festival der blutigen Art. Ein paar Marktfrauen sehen mit Kennerblick zu, wie der muskulöse Metzger auf der Außentreppe des Matadouro einen ausgewachsenen Jungstier mit Axt und Messer zu Rindfleisch macht. Ein kühler Wind weht von den wild gezackten Bergen, die das Hochplateau von Assomada bläulich schimmernd wie eine Caspar-David-Friedrich-Kulisse umgeben.

Für dieses Panorama haben die Frauen keinen Blick übrig. Wenn sie nicht dem Schlachter zusehen, sind sie vollauf damit beschäftigt, ihre Ferkel an den Käufer zu bringen. Die kleinen Quieker sitzen mit gefesselten Hinterbeinen verstört zu fünft oder sechst in Plastikwannen und Weidenkörben. Wer sie nach längerem Feilschen erwirbt, packt das grunzende halbe Dutzend in einen Sack und verstaut das wild rumorende Bündel auf der Ladefläche seines Pickup.

Assomada ist die heimliche Hauptstadt der gebirgigen Zentralregion Santiagos, der größten Insel unter den Kapverden. Hier ist von Urlauber-Paradies wenig zu spüren. Hier leben die Menschen noch für sich und nicht als Domestiken im Tourismus-Ghetto wie auf Sal oder Boavista. Es ist kein einfaches Leben. Die Frauen müssen manchmal kilometerweit zur nächsten öffentlichen Wasserstelle laufen und balancieren dann randvolle 25-Liter-Eimer auf dem Kopf nach Hause, über Stock und Stein, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. "Ein eigener Wasserhahn im Haus", sagt eine Frau im Dorf São Miguel, "das wäre mein größter Wunsch." Die anderen Frauen, die vor dem Wasserhahn anstehen nicken.

Hier oben, wo die Berge nur im Winter grün sind und im Sommer durch die Sonne und die Dürre braun, träumt man nicht von Feriendörfern, Hotel-Komplexen und betuchten Touristen. Hier träumt man von einer guten Ernte, der Auswanderung nach Australien oder dem nächsten Dorffest. Ihren Träumen helfen die Männer mit Grogue, dem kapverdischen Zuckerrohrschnaps, nach. Sie brauen ihn in großen Holzfässern und mit großer Inbrunst.

Die Wege zwischen den Dörfern sind steil und holprig. Das sind auch die Hauptstraßen. Sie sind nicht geteert sondern mit Millionen von Basaltwürfeln gepflastert, die aus dem vulkanischen Gestein gehauen wurden. Eine Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme der Fünfzigerjahre, als die Kapverden in wirtschaftliche Depression zu versinken drohten.

Die wenigen Touristen, die sich ins Innere von Santiago verirren, kommen meist im gemieteten Geländewagen. Eine weise Entscheidung, anders sind die ungepflasterten Hoppelwege kaum zu schaffen. Das Risiko einer Reifenpanne ist groß. Auch wir stehen eines Morgens im Küstenort Calheta ratlos vor unserem Auto. Ein Platter vorne links. Wir haben ja ein Ersatzrad, also nicht so schlimm. Denken wir. Doch mit dem Bordwerkzeug lassen sich die Schrauben am Vorderrad nicht lösen. Wir prügeln mit dem Hammer auf den Schraubschlüssel-Griff. Wir springen drauf. Nichts bewegt sich. Die Schrauben sind wie festgeschweißt.

Der halbe Ort nimmt Anteil an unseren vergeblichen Mühen. Zwei junge Männer schlendern vorbei. Einer sagt so was wie "Moment mal" und verschwindet. Nach fünf Minuten kommt er mit einem Metallrohr zurück, mindestens einen Meter lang. Er steckt das Rohr auf den Schraubschlüssel. Was für ein Hebel! Fast so gut und lang wie der, mit dem Archimedes die Welt aus den Angeln heben wollte. Auch die festgebackensten Schrauben können den forcierten Gesetzen der Physik nicht trotzen. Knirschend lösen sie sich. In fünf Minuten ist das Rad gewechselt. Die beiden Jungs wollen für ihre Hilfe keine Belohnung. Wir klopfen uns alle gegenseitig auf die Schultern. "Tudo bom". "Tudo bem."

Als wir dann durch eine der Ribeiras mit ihren Palmen und Maisfeldern fahren, stehen immer wieder Frauen und Kinder in den ausgetrockneten Flussbetten und winken uns zu. Was machen die da nur? Die Frauen haben keine Werkzeuge mit sich. Sie graben mit bloßen Händen den Sandboden auf, schütten den Kies in Eimer. Ihre Kinder schleppen ihn zu einem großen Sieb. Dort wird der Kies getrennt. In feinkörnigen Sand und gröberes Geröll. Ein Mann schaufelt dann die Sand- und Kieshaufen auf die Ladefläche eines Lkws. Aus diesem Material sei, so erklärt es eine der Frauen, mehr oder weniger die Inselhauptstadt Praia gebaut. Die Frauen erhalten für ihr Scharren in Sand und Sonne keine zehn Euro pro Tag.

Würden die Menschen auf Santiago ihr einfaches Leben gern mit dem Leben tauschen, das ihre Landsleute auf Sal oder Boavista führen? Wo sich alles um Touristen und vieles um Geld dreht? Einerseits schon sagen sie. Höhere Löhne, bessere medizinische Versorgung, Spülklo und elektrisches Licht, das nicht so häufig ausfällt. Andererseits aber, so erklärt uns ganz leicht lallend ein alter Mann vor dem Feuerchen, über dem er seinen Grogue destilliert und das Werden des Getränks mit häufigen Probeschlücken penibel überwacht, andererseits... "Also hier lebe ich mit dem Herzen, die dort leben nur mit dem Kopf."


* Für den Stern tätiger Journalist und Buchautor. Seine Reportage über Kap Verde erschien unter dem Titel "Jenseits von Afrika" im Stern 7/2005. Den vorliegende Bericht schrieb er exklusiv für die Portugal-Post.




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Portugal-Post Nr. 30 / 2005