.
 


Grande Noite do Fado

Von Ingmar Regner

Kaum in Lissabon angekommen gilt eine meiner ersten Aktivitäten wie üblich der Erkundung der kulturellen Ereignisse während der Zeit des Aufenthalts. Das ist diesmal nicht ganz einfach, denn das Veranstaltungsverzeichnis für Lissabon ist am l. des Monats natürlich noch nicht gedruckt und die Übersicht für das Centro Cultural de Belém findet man vorwiegend nur in Belém selbst.

Bei meinen Streifzügen nach Informationen springt mir am Coliseu de Recreios ein großes Plakat "Grande Noite do Fado" ins Auge. Als Fado-Fan bin ich zuerst skeptisch, da wir uns schon einmal auf eine "Grande Noite do Fado" in Olhäo im Algarve erwartungsvoll begeben hatten, die sich dann als normale Tanzveranstaltung mit Live-Musik entpuppt hatte. Zwar war damals auch dieser Abend durchaus interessant und amüsant gewesen, weil wir erstmalig erlebt hatten, wie Portugiesen mit der ganzen Familie vom Kleinkind bis zur Uroma und reichlich ausgestattet mit Hähnchen, Gambas, Salaten und Kuchen einen solchen Abend zu gestalten und zu genießen wussten, aber es ist nicht das gewesen, was wir gesucht und erwartet hatten. In diesem Fall macht mich die ergänzende Information auf dem Plakat "Homenagem a Alfredo Marceneiro" sicherer, dass ich wohl richtig liege, und spontan kaufe ich eine Karte. Von meiner Wirtin erfahre ich am nächsten Morgen beim Frühstück, dass es sich hierbei um einen Fado-Wettbewerb handelt und dass ich mich auf eine lange Nacht bis 5 Uhr morgens einstellen muss.

Am Freitag, dem 5. Juni 1998 sitze ich also rechtzeitig vor Beginn um 22 Uhr in einer der vordersten Reihen im großen Rund des Coliseu und bin gespannt, was mich erwartet. Aus dem ausliegenden Programm kann ich entnehmen, dass 30 Fadistas im Wettbewerb antreten und dass daneben noch einmal 32 Sänger oder Musikgruppen in der Rahmenveranstaltung auftreten.

Bereits vor 22 Uhr werden die Besucher aufgefordert, Platz zu nehmen, damit für die Radioübertragung pünktlich angefangen werden kann. Es beginnt mit kurzen Ansprachen, dem üblichen Dank an die Sponsoren und einigen Ehrungen, und dann geht das Spektakel los, begleitet von Fernsehaufnahmen. Fadistas aus dem Rahmenprogramm sorgen etwa 1/2 Stunde lang für die richtige Einstimmung. Dann beginnt der Wettbewerb für die Juvenis. Jugendliche bzw. Kinder zwischen 10 und 14 Jahren tragen derartig gekonnt Fados vor, dass die Stimmung im großen Saal bald auf Hochtouren ist. Nach geglückten schwierigen Passagen in den Liedern bricht die atemlose Spannung im Saal immer wieder durch entzückte ,;Ah_Fadista"-Ausrufe des Publikums befreiend auf.

Eine 10-jährige steht im hübschen, langen Kleid mit Rüschen souverän auf der Bühne des großen Rundbaus und hantiert mit dem Mikrophon, als sei es etwas Alltägliches. Ihren Fado mit schwierigsten Passagen trägt sie gekonnt und mit perfekt gesetzten Verzögerungen wie ein erwachsener Profi vor. Am Ende lässt der Saal sich zu lang anhaltendem stehendem Applaus hinreißen. Der Trainerin am Rande der Bühne, die bereits während des Vertrags jede Passage für ihren Schützling sichtbar durchlitt, stehen die Tränen in den Augen. Als die Jury am Ende des Wettbewerbs diesen Liebling des Saals nur auf den 2. Platz setzt, gibt es massive Proteste, Buhs, Pfiffe und leichte Tumulte. Gewinnerin war eine Zwölfjährige geworden, die offenbar die Jury über den gekonnten Vortrag hinaus mit ihrer kraftvollen, vollen Stimme überzeugt hatte.

Der Wettbewerb der Jugend ging fast bis 1/2 12, dann musste erst einmal die Jury tagen. Währenddessen läuft das Rahmenprogramm. Irgendwann kurz vor Mitternacht ist die Siegerehrung, dann eine kleine Pause, ab 1/4 l treten weitere Fadistas auf, bis schließlich um 1/4 nach l der Wettbewerb der Seniores beginnen kann.

Senioren sind in diesem Fall vorwiegend junge Leute zwischen 16 und 30 Jahren. Anders als bei den Juvenis, wo neben 8 Mädchen lediglich 2 Jungen auftraten, stellen sich hier 11 männliche und 9 weibliche Fadistas dem Wettbewerb. Auch in dieser Altersgruppe gibt es überwiegend großartige Leistungen. Wie ich aus den Ansagen entnehme, sind viele der Vortragenden in "Grupos Desportivos" organisiert. Offenbar gibt es dort spezielle Sparten für Fadistas und möglicherweise ein bisschen Unterstützung.

20 Seniores stehen im Wettbewerb. Nach je 5 Vorträgen gibt es eine Unterbrechung des Wettbewerbs und dann sind wieder die Profis oder Gewinner aus anderen Wettbewerben dran. So gibt es einen ständigen, kurzweiligen Wechsel auf der Bühne und die Zeit in der Nacht geht schnell voran. Der Saal wird ab etwa 2 Uhr langsam etwas leerer, aber kaum weil Besucher endgültig gegangen sind, sondern mehr weil einige der Männer es vorziehen, die lange Nacht an der Bar im Foyer bei Bier und Zigaretten zu verbringen. Den Ablauf der Veranstaltung können sie, wenn nötig, an den dort vorhandenen Fernsehschirmen verfolgen.

Dafür werden die reiferen Damen um so ausgelassener. Wird im Rahmenprogramm die Musik etwas lockerer oder ist sie dem Schlager näher, ziehen tanzende Karawanen bis zur Bühne vor. Als gegen 3 Uhr António Pinto Basto auftritt, kann er seinen ersten Fado noch singen, dann fordert das Publikum massiv den Schlager "A Portela" und nach kurzer Abstimmung mit seinen begleitenden Musikern erfüllt Pinto Basto zum Entzücken des Publikums diesen Wunsch. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt und für die nächsten ernsthaften Fadistas ist es vorübergehend etwas schwieriger, sich ausreichend Gehör zu verschaffen. Die Zuschauer werden undisziplinierter, aber die entzückten Zwischenrufe der Experten bei den obligatorisch verzögerten Ansätzen, wenn das Lied an den markanten Stellen seinen Höhepunkt erreicht, kommen immer wieder durch und führen das Publikum zu neuer Konzentration auf die im Wettkampf stehenden Sänger.

Gegen 4:15 Uhr steht die letzte Fadista aus dem Wettbewerb auf der Bühne. Bis zur Entscheidung der Jury und der Verkündung der Sieger gibt es noch einmal Platz für den letzten Teil des Rahmenprogramms. Endlich, gegen 1/4 vor 5 ist es dann soweit: die Teilnehmer am Wettbewerb stellen sich auf der Bühne auf, und der spannende Moment der Verkündung der Sieger beginnt. Es wird nach Damen und Herren getrennt entschieden, das heißt für jedes Geschlecht wird ein dritter, ein zweiter und schließlich ein erster Platz vergeben. Nach Jubel und Gratulation auf der Bühne schließt die Veranstaltung, und es ist tatsächlich 5 Uhr morgens als ich den Ausgang des Coliseu passiere.

Eine tolle Nacht! Es war eine wunderbare Mischung aus alten und jungen Fadistas, professionellen und Amateuren, traditionellen Interpretationen und eigenständigen Stilrichtungen, mehr oder weniger bekannten Namen aus den CD-Regalen und unbekannten, jedoch nicht unbedingt weniger guten Sängern. Und dazu die Reaktionen, Emotionen und die zeitweilige Ausgelassenheit des Lissabonner Publikums in dieser Halle.

Und für mich nebenbei eine ganz neue Erfahrung. Ich habe es seit meiner lange zurückliegenden Jugend nie mehr gebracht, auf einer Veranstaltung viel länger als bis 2 Uhr nachts auszuhalten, und auch das meistens nur einigermaßen gequält. Diesmal: kein Problem! Ô Fado!





| Seitenanfang |





Impressum         Disclaimer
.
Portugal-Post Nr. 3 / 1998