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Die Zukunft ist ungewiss

Von Henrietta Bilawer *

Die Zahl der in Portugal lebenden Ausländer hat sich nach offiziellen Zahlen in der letzten Dekade bis 2003 verdoppelt. Mit einem Anteil von 2,2 % an der gesamten Bevölkerung ist das verschwindend wenig - nur Spanien, Italien, Griechenland und Finnland liegen darunter, der EU-Durchschnitt liegt bei 5,5 %; in Deutschland beträgt der Ausländeranteil etwa 9 %.

Die portugiesischen Zahlen beruhen auf Hochrechnungen der Volkszählungsergebnisse von 2001 sowie auf Angaben der Ausländerbehörde SEF (Serviço de Estrangeiros e Fronteiras). Die Ausländerbehörde trägt allerdings zur Verzerrung der Statistik bei: Offiziell sind laut SEF knapp 12.000 Deutsche im Land gemeldet, tatsächlich dürfte die Zahl gut dreimal so hoch sein; ähnliche Annahmen gelten für Einwanderungszahlen aus anderen EU-Staaten, denn der SEF zählt nur Personen, die sich um eine Autorização de Residência, die Aufenthaltsgenehmigung, bemüht haben. Der Ausweis ist jedoch - in Portugal, wie auch in Deutschland und anderen EU-Staaten - als nationalstaatlicher Bewegungsmelder archaische Bürokratie in einem geeinten Europa, in dem Bürger von Mitgliedsländern Freizügigkeit genießen. So hat der EU-Wettbewerbsrat bereits Ende September 2003 im Memo/03/180 dem Europaparlament eine Empfehlung zur Abschaffung der Aufenthaltsgenehmigungen für EU-Bürger innerhalb der Gemeinschaft vorgelegt. Noch vor dem Ende der Legislaturperiode sollte darüber abgestimmt werden. António Vitorino, portugiesischer EU-Kommissar für Justiz und Inneres, begrüßte den Antrag ausdrücklich.

Ungenau wie die Zahlen über EU-Einwanderer sind wohl auch andere Angaben über Zuwanderung: Zweifellos stellen aber Ukrainer mittlerweile die größte nationale Minderheit; sie haben die Immigranten aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien längst überrundet: Offiziell sind derzeit 65.000 Ukrainer registriert. Der demografische Wandel in Portugal ist nicht zu übersehen: Nach Abgleich von Polizeidaten mit denen der Visa-erteilenden diplomatischen Vertretungen werden neben den 45.000 legal im Lande lebenden Osteuropäern bis zu 200.000 Illegale geschätzt. Nach der außerordentlichen Legalisierung vom Januar 2001 soll nun vermutlich ab diesem Monat (d.h. April 2004) Einwanderern ohne Papiere eine weitere Möglichkeit geboten werden, eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung zu erhalten, sofern sie nachweisen können, dass sie 2003 mindestens drei Monate gearbeitet, Sozialabgaben geleistet und Steuern gezahlt haben. Ob es je eine Dauer-Aufenthaltsgenehmigung geben wird, ist seit 2001 offen.

"Der Staat hat sich nicht ausreichend auf die Neubürger und ihre Familien vorbereitet", klagt Carlos Trindade von der Gewerkschaft CGTP-IN. Aus dem einstigen Auswanderungsland Portugal reisten Arbeiter in viele Länder der Welt auf der Suche nach Lohn und Brot, vier Millionen Portugiesen leben noch heute über den Globus verstreut. Nun ist Portugal zu einem Einwanderungsland geworden, dessen Immigranten gleichzeitig eine bisher ungekannte soziale Komponente mitbringen: Die meisten Osteuropäer sind handwerklich gut ausgebildet oder haben sogar ein abgeschlossenes Hochschulstudium, verdingen sich aber als Hilfsarbeiter zu Niedrigstlöhnen. Sie haben rasch einen eigenen Zeitungsmarkt etabliert, dessen vielfältige Exemplare in kyrillischen Buchstaben an keinem Kiosk zu übersehen sind. Supermärkte haben sie als Konsumenten entdeckt und richten ganze Warenabteilungen mit russischen und ukrainischen Lebensmitteln und Konserven ein - die über Deutschland importierte Ware verschafft dem in Jülich im Rheinland ansässigen Importeur Simex höhere Gewinne als zu Sowjetzeiten: Damals war die Firma Exklusiv-Importeur von Kaviar, Krimsekt und anderen russischen Hochpreis-Delikatessen.

Obgleich die portugiesische Bevölkerung von Einzelfällen abgesehen weit weniger Einwände gegen osteuropäische Nachbarn haben, als dies in anderen EU-Ländern beobachtet werden kann, steigt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Angst vor dem gemeinsamen sozialen Elend, aber auch vor der Mafia, von der einige befürchten, sie hätte sich aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse im portugiesischen Polizeiapparat bereits unausrottbar etabliert.

Doch makroökonomische Daten werden auch in Portugal so gelesen, wie sie ins Geschäftskonzept passen; das ersetzt Analysen und die Entwicklung eines gesellschaftlichen Plans. Der Boom in der Baubranche diente als Erklärung für die Attraktivität des portugiesischen Arbeitsmarktes für Arbeitskräfte aus dem Gebiet der früheren UdSSR. Doch die Stadien sind gebaut und Menschen, die sich mit dem sozialen Danach befassen, sind beunruhigt: Liudmila, eine junge Weißrussin, und ihr portugiesischer Mann Frederico, der in den achtziger Jahren in Minsk studierte, arbeiten ehrenamtlich in Lissabon und im Algarve in Organisationen, die sich um die Integration der Osteuropäer kümmert. "Einige Gemeinden und kirchliche Organisationen veranstalten gratis oder gegen einen symbolischen Beitrag Portugiesisch-Kurse, die sehr gefragt sind", erklärt sie den Wunsch der Immigranten, ein Teil der Gesellschaft Portugals zu werden. Auch das Hohe Kommissariat für Immigration und Ethnische Minderheiten hat landesweit Anlaufstellen für die Neubürger eingerichtet. In drei Jahren zählte die Behörde allein in der Lissabonner Zentrale fast 12.000 persönliche Beratungen und eine noch höhere Zahl an telefonischen Anfragen.

Angesichts der Behandlung von Immigrantenschicksalen auf Wohltätigkeitsebene ohne staatliche, politische Maßnahmen herrscht bei den Betroffenen Skepsis. Stanislaw, 56 Jahre alt, aus einer moldawisch-ukrainischen Familie und mit Frau, Söhnen, Schwiegertöchtern und Enkeln, lebt schon seit drei Jahren legal in Portimão und besitzt alle notwendigen Papiere. Doch es geht dem ehemaligen Offizier der Sowjetarmee, nun in Diensten eines lokalen Bauunternehmers, täglich schlechter: Der Lohn wird mit jeder Saison niedriger, die Preise steigen, ebenso die Mieten. Ab Mai will seine Wirtin die Wohnung an zahlungskräftige Touristen vermieten. Stanislaw kann sich nur noch zwei Zimmer leisten. Da die Familie eines Sohnes mit ihm zusammen lebt, winken die Hausbesitzer angesichts des Fünf-Personen-Haushaltes ab. Mit der Osterweiterung der EU, so befürchtet Stanislaw, werde er von Arbeitskräften verdrängt, die sich dann ganz legal in Portugal niederlassen und arbeiten dürfen. Eigentlich sind er und seine Landsleute eben doch eine Minderheit.


* Mitarbeiterin der Zeitschrift Entdecken Sie Algarve (ESA), mit deren freundlicher Genehmigung wir diesen in der April-Ausgabe 2004 veröffentlichten Artikel abdrucken




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Portugal-Post Nr. 29 / 2005