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Die Deutschen in Lissabon
Ein Beitrag zur europäischen Integration (Teil I)

Von Andreas Dornseifer *

"Wissen Sie, also, Deutsche gibt es schon seit achthundert Jahren hier in Lissabon!". Überrascht und fasziniert gerate ich ins Nachdenken: Wie kann es sein, dass sich Deutsche mit dem ihnen zugewiesenen kalten nordischen Temperament in Lissabon niederlassen? Warum ausgerechnet in der portugiesischen Hauptstadt, in der, wie im gesamten Land das Leben jedenfalls etwas komplizierter wird, ohne die Bereitschaft zum desenrascar, der Fähigkeit, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine irgendwie geartete unangenehme Lage erfolgreich zu meistern?

Monika Wittmer, Präsidentin des Deutschen Vereins in Lissabon, fährt fort: "Ich würde auch sagen, dass die Integration der Deutschen in Lissabon und Portugal gelungen ist". Wieder taucht dieses Wort "Integration" auf, das gegenwärtig in sämtlichen Diskussionen, seien sie gesellschafts-, wirtschafts- oder verfassungspolitischer Natur, ein Schlüsselwort zu sein scheint, sich aber in seiner praktischen Bedeutung für einen Fremden im Ausland vermutlich am sichtbarsten zeigt - und es gibt eben auch Deutsche, die im Ausland leben, nicht nur umgekehrt.

Wer dann auf einer Kaimauer am Ufer des Tejo sitzt, die überwältigende Ruhe und Weite der Flussmündung betrachtet, den von der Avenida Infante Dom Henrique herrüberschallenden Verkehrslärm aber nicht ignorieren kann, der schwankt in seiner Haltung gegenüber dem Phänomen der in Lissabon niedergelassenen Deutschen. Da gibt es dieses Gefühl des Geheimnisvollen, des wie von Geisterhand Gesteuerten bei dem Gedanken an das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. Die Sichtweise ändert sich jedoch ganz schnell und man hält es auch für möglich, dass sich Menschen aus persönlichen Gründen entschieden haben, in Lissabon zu leben ohne die ausgesprochene Absicht, eine ständige kulturelle Begegnung zu organisieren oder zu institutionalisieren. Ich kann mir dann vorstellen, dass diese Menschen wie Portugiesen heute über den Verkehr, die Kriminalität, die Regierung, Bürokratie schimpfen und gedankenlos Lissabons Strassen überqueren, obwohl die Fussgängerampeln auf rot geschaltet sind, um in irgendeinem Café unter dem weiss-grau matten Licht der Leuchtröhren hastig eine bica zu trinken.

Die warmen Farben der Praça do Comércio am späten Nachmittag und ein aufkommender frischer Wind lassen mich die Gedanken hierüber auf den nächsten Tag verschieben. Integration heisst vom Wortursprung her Zusammenschluss, Vereinigung. Im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet "Integration" den Vorgang oder den Zustand, einen Fremden in die eigene Gemeinschaft aufzunehmen, ohne dass sich beide Seiten in ihrer jeweiligen Lebensweise zu stark beeinträchtigt fühlen, ausgehend von dem Bewusstsein der (Über-) Lebensnotwendigkeit des Prinzips der Toleranz und der menschlichen Notwendigkeit, auf andere Menschen angewiesen zu sein.

Dies zeigt sich auch an der aktuellen Debatte um die Einwanderung nach Deutschland, in der wirtschaftliche Notwendigkeiten als Motiv klar definiert sind, die Intensität, die Art und Weise des Integrationsprozesses aber fraglich bleiben. Aber auch Portugal sieht sich Einwanderungsbestrebungen und Integrationsproblemen ausgesetzt. So beantragten im Jahr 2000 nach Erhebungen des Nationalen Statistikinstituts (Instituto Nacional de Estatística -INE) 18.412 Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung. 830 von ihnen besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit.

Die zahlenmäßig weitaus größte Gruppe der Antragsteller bildeten mit 9.632 Menschen immer noch Afrikaner - hierunter insbesondere diejenigen, die aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien stammen. Deren Integration gestaltet sich als besonders schwierig, scheinen doch die Unterschiede zu den Portugiesen im Hinblick auf die finanziellen Kapazitäten, die Ausbildung und Erziehung kaum überbrückbar zu sein.

Was Portugal und die Deutschen betrifft, kann von einem grundsätzlichen beiderseitigen Integrationswillen gesprochen werden, der wie aus der folgenden historischen Darstellung "zwischen den Zeilen" zu erschließen sein wird auch auf unterschiedlichen Gründen beruhte und unterschiedlichen Zwecken diente.

1147 ist das Jahr des ersten Kontakts von Deutschen mit Lissabon. Kreuzritter aus dem Rheinland kämpften im Heer des ersten portugiesischen Königs Dom Afonso Henriques gegen die Mauren während der Eroberung Lissabons. Einer der Kreuzritter war Heinrich von Bonn. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof der Klosterkirche von São Vicente; sogar in den "Lusiaden", dem Epos von Luís de Camões, findet Heinrich von Bonn Erwähnung (Os Lusíadas, VIII, 18):

"Não vês um ajuntamento, de estrangeiro
Trajo, sair da grande armada nova,
que ajuda a combater o Rei primeiro
Lisboa, de si dando santa prova?
Olha Henrique famoso cavaleiro,
a palma que lhe nasce junto à cova.
Por eles mostra Deus milagre visto;
Germanos são os Mártires de Cristo."

Hier sieh die Flotte zum Gestade bringen
Den grossen Zug im fremden Kriegerkleid;
Dem ersten König hilft er kühn bezwingen
Lisboas Vest` und Volk im heil`gen Streit;
Und sieh den herrlichen Henrique ringen,
An dessen Grab die Palme dort gedeiht;
Gott wies an Beiden wunderbar den Ahnen:
Blutzeugen Christi seien die Germanen.1

Seitdem liessen sich Söldner und vor allem Gewerbetreibende in Lissabon nieder. Mit der Intensivierung der Handelsbeziehungen, insbesondere zu den Städten der Hanse, wurden die Beziehungen des Deutschen Reichs mit Lissabon und Portugal enger. Infolgedessen liessen sich ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert vermehrt deutsche Handelsleute nieder. Der Begriff der Deutschen bezog sich damals auf alle aus den hoch- und niederdeutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stammenden Personen2. Michael Overstädt ein hanseatischer Kaufmann avancierte um 1280 herum sogar zum "Wirtschaftsberater" des Königs Dom Dinis. Ausserdem gilt der aus Deutschland Holz importierende, auf Portugiesisch genannte Miguel Sobrevila als eigentlicher Begründer der deutschen "Kolonie" in Lissabon, die 1291 nach dem Bau der Kirche von S.Julião in der Seitenkapelle S. Bartolomeu über einen gemeinsamen religiösen und gesellschaftlichen "Fixpunkt" verfügte. Dieser Zeitpunkt gilt zudem als Gründungsjahr der deutschen Bartholomäus-Brüderschaft. Brüderschaften waren religiöse Vereinigungen zur Pflege des Gottesdienstes und der Wohltätigkeit. Noch heute existiert diese Brüderschaft und unterhält unter anderem ein Seniorenheim in Estoril und ist Vermieterin des Gebäudes der Deutschen Grundschule in Estoril.3

Die wirtschaftlichen Beziehungen intensivierten sich insbesondere nach der Entdeckung des Seeweges nach Indien im Jahre 1498 durch Vasco da Gama. Dadurch entwickelte sich Lissabon zu dem wichtigsten Wirtschafts- und Finanzplatz der Alten Welt. In der portugiesischen Hauptstadt ließen sich viele deutsche Kaufleute nieder und der Handel mit Gewürzen aus den neu entdeckten Ländern veranlasste deutsche Handelshäuser wie die der Fugger und Welser Niederlassungen in Lissabon zu gründen.

Die portugieisischen Könige gewährten den deutschen Kaufleuten Priviliegien, die es im Jahre 1504 den Handelshäusern der Fugger, Welser und Hochstetter erlaubten, durch eigene Schiffe unmittelbaren Handel mit den entlegenen Orten zu treiben. Die wirtschaftliche Verbundenheit Lissabons mit deutschen Städten, besonders mit Hamburg fand Ausdruck in dem finanziellen Verlust der Hamburger Kaufleute nach dem folgenschweren und ganz Europa geistig bewegenden Lissabonner Erdbeben von 1755.

Einer der bekanntesten Deutschen, die zu den Zeiten der portugiesischen Entdeckungsfahrten in Lissabon lebten, war Martin Behaim (1459 bis 1507). Im Jahre 1484 gelangte Behaim nach Lissabon, der seiner Ausbildung nach wohl ein Kaufmann war und mit nautischen Instrumenten handelte. Überliefert ist seine Teilnahme an einer Reise an die westafrikanische Küste im Jahre 1485 als Begleiter des portugiesischen Seefahrers Diogo Cão. Martin Behaim konstruierte schliesslich im Jahre 1491 den ersten heute noch erhaltenen Globus. 1507 starb Behaim im Hospital der Bartholomäus-Brüderschaft und wurde in der später durch Erdbeben zerstörten Kirche S.Domingos beigesetzt. Zahlreiche deutsche Reisende beteiligten sich im 16. Jahrhundert an den portugiesischen Fahrten in die Neue Welt. Bekannt sind zum Beispiel die Reiseberichte von Hans Mayr und Balthasar Sprenger, erschienen 1509.

Nicht nur die wirtschaftliche Beziehung bewirkte einen kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Portugal. Auch die von Portugal geführten Kriege und die koloniale Expansion hatten zur Folge, dass sich Deutsche, insbesondere Waffenschmiede in Lissabon niederliessen. Etliche deutsche Soldaten kämpften sowohl 1385 in der Schlacht von Aljubarrota gegen Kastilien auf seiten Portugals als auch bei der Eroberung der nordafrikanischen Stadt Ceuta im Jahre 1415, unter ihnen der Dichter Oswald von Wolkenstein. Durch die Teilnahme an portugiesischen Expeditionen jeglicher Art übernahmen die jeweiligen Söldner oder Handelsleute eine Art Multiplikatorenfunktion und infolgedessen stieg in Mitteleuropa das Wissen um die Existenz und die Kultur Portugals.

Auch an der Schlacht von Alcácer Quibir 1578 auf heute marrokanischem Boden waren deutsche Söldner beteiligt, von denen über dreitausend ihr Leben verloren. Der Tod des jungen portugiesischen Königs D. Sebastião in dieser Schlacht leitete schliesslich die 60jährige Regentschaft spanischer Monarchen über Portugal ein und beendete Portugals Stellung als maritime Grossmacht.

Nach der Unabhängigkeit Portugals von Spanien im Jahr 1640 ging es um die Wiederherstellung portugiesischer Souveränität in sämtlichen relevanten ökonomischen und militärischen Bereichen. Der militärische Wiederaufbau ist wesentlich von dem Herzog von Schomberg geleistet worden, der von 1660 bis 1668 in Lissabon tätig war. Unter seiner Führung konnten von spanischer Seite immer wieder unternommene Angriffe auf Portugal abgewehrt werden. Friedrich Hermann Herzog von Schomberg wurde schliesslich der Titel des Grafen von Mértola verliehen; in der Bevölkerung genoss er ein so grosses Ansehen, dass die zu den Heiligenprozessionen mitgeführten Figuren gekleidet waren wie der Herzog. Grosses Ansehen erwarb sich ferner der preussische Offizier Wilhelm Graf von Schaumburg-Lippe-Bückeburg, der von 1762 bis 1767 in Portugal wirkte, weitreichende militärische Reformen durchsetzte und die spanisch-französische Invasion von 1762 verhinderte.

Eine der bedeutendsten deutschen Persönlichkeiten, die in Portugal wirkte, war König Ferdinand II. von Portugal. 1836 heiratete die portugiesische Königin D. Maria II. Ferdinand Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (1816 bis 1885), der sich fortan der Förderung der Künste und Wissenschaften in Portugal widmete. So gründete er die Königliche Akademie der Schönen Künste in Lissabon und betrieb die Restaurierung der Klöster von Batalha, Tomar und Jerónimos. König Ferdinand II. vergab zudem Stipendien an Künstler, so dass der portugiesische Pianist Vianna da Mota an dem Konservatorium in Berlin studieren und eine erfolgreiche künstlerische Laufbahn beginnen konnte. Die Ausführung des Baus des Pena-Schlosses bei Sintra übertrug er dem Baron von Eschwege, der im Jahre 1803 als Mineraloge nach Portugal gekommen war.4

Es sind noch etliche weitere Persönlichkeiten deutscher Abstammung zu nennen, die in Lissabon lebten und für die Stadt als auch für Portugal bedeutend sind. Beispielsweise Alfredo Keil, der die portugiesische Nationalhymne komponierte. Keil, geboren 1854, war Sohn von Deutschen, die sich schon in Lissabon niedergelassen hatten. Seine Ausbildung zum Maler und Komponisten absolvierte er sowohl in Deutschland als auch in Portugal, wo 1890 die Portuguesa zum ersten Mal aufgeführt wurde. Alfredo Keil starb im Jahre 19075 und sein Grab befindet sich auf dem Lissabonner Friedhof dos Prazeres.


* Andreas Dornseifer lebt in Köln. Die vollständige Fassung des vorliegenden Artikels finden Sie hier

1 Luís de Camões, Os Lusiadas. Die Lusiaden. Aus dem Portugiesischen von Hans Joachim Schaeffer. Elfenbein Verlag 1999, S. 410/1
2 Marion Ehrhardt, Bartholomäus-Brüderschaft der Deutschen in Lissabon, in: Deutscher Verein in Lissabon - Clube Alemão em Lisboa 125 Jahre, Lissabon 1995, S.47
3 Siehe dazu den Artikel von Ingeborg Loether-Tomás auf S. 25-26 dieser Ausgabe
4 Zu Ferdinand II siehe den Artikel von Renate Petriconi in der
Portugal-Post 26, S. 21-23
5 In Hamburg (Anm. der Red.)




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Portugal-Post Nr. 27 / 2004


Ansicht von Lissabon
Gravur von Sebastian Münster, vermutlich um 1540




Grab des Kreuzritters Heinrich von Bonn auf dem Friedhof der Klosterkirche von São Vicente




Friedrich, Herzog von Schomberg




Der Maler und Komponist Alfredo Keil
Gemälde von Félix Costa, Stadtmuseum Lissabon