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Das Fahnenfieber und der neue Patriotismus

Von Peter Koj

Bis zur EM 2004 hat die portugiesische Nationalfahne ein ziemlich bescheidenes Dasein geführt. Sie wurde erst mit der Errichtung der Republik (1910) eingeführt und 40 Jahre lang für die nationalistischen Zielen des Estado Novo missbraucht. So stand sie auch nie den Herzen der Portugiesen sehr nahe. Das ging Hand in Hand mit einer gewissen Zurückhaltung oder sogar Verschämtheit vieler Portugiesen, die statt Stolz auf ihr Vaterland eher Symptome eines Minderwertigkeitskomplexes zeigten. Eine Haltung übrigens, die sich auf sympathische Weise von der vieler anderer Völker unseres Kontinents abhebt, wo ein verstiegener Nationalismus Ursprung vielen Leids gewesen ist.

Bernardo Teotónio Pereira, ein junger Lissabonner Student scheint dieser Zurückhaltung und dieser Verlegenheit der Portugiesen ein Ende bereitet zu haben. Kurz vor der Eröffnung der EM, genauer gesagt am 31. Mai, schrieb er Marcelo Rebelo de Sousa einen Brief, in dem er ihn bat, in seiner sonntäglichen Sendung auf TVI dem Land eine Idee und einen Aufruf zu übermitteln. Demnach ist die EM 2004 ein guter Anlass, dass "wir alle anfingen, Stolz zu empfinden, dass wir Portugiesen sind". Die beste Art dies zu tun wäre sich der Kampagne anzuschließen, die Bernardo genannt hatte "Nationalfahne: in jedes Haus ein Fahne".

Rebelo de Sousa, ein streitbarer und populistischer Politiker, fand Gefallen an der Idee, propagierte sie und... das Land schloss sich an. Sogar so bedächtige Persönlichkeiten wie der Präsident der Republik selbst empfahlen sie weiter. Und als die großen Einkaufszentren sich ihr anschlossen und Fahnen billig anboten, versank das ganze Land in einem Meer von Rot und Grün, mehr Rot als Grün (zu diesem Phänomen mein Artikel "Die Farben Portugals" in der Portugal-Post 23, S. 27). Überall in Portugal schmückte man Fassaden, Balkons, Fenster (der Slogan war inzwischen in "ein Fenster, eine Fahne" abgewandelt worden). Aber die "Fahneritis" nahm noch zu, als ein portugiesischer Emigrant aus Südafrika die Idee verbreitete, Fahnen auf die Autos zu pflanzen. Erst die Taxifahrer, dann viele private Autofahrer griffen die Idee auf und so wurde die Atmosphäre des Wahnsinns und der Ekstase noch weiter angeheizt.

Klar dass sich das Fahnenfieber bis in die portugiesischen Gemeinden im Ausland verbreitete. Und Hamburg bildete da keine Ausnahme: viele Fahnen in den von Portugiesen bewohnten Vierteln, in den portugiesischen Restaurants, Lebensmittelläden und Cafés, von denen es in der Hansestadt ja reichlich gibt. Auch unsere Gesellschaft wollte nicht zurückstehen und so haben wir im Fenster unseres Büros in der Susettestraße eine kleinformatige Nationalfahne aufgehängt, eine Gratisbeilage der Zeitung Público.

Nicht allen gefiel dieser Ausbruch von Patriotismus. Der Schriftsteller und Journalist Miguel Sousa Tavares spricht von einer "patriotischen Hysterie, wie sie selbst in den goldenen Zeiten des Salazarismus unbekannt war" (Público, 18.6.04). Er weigert sich, wie es angeregt wurde, Figo, Scolari und Genossen als "Helden des modernen Patriotismus" zu nennen. Die wirklichen Helden sind für ihn Portugiesen wie "Saramago, Siza, Damásio, Maria João Pires... und Mário Soares" . Und mit ihm fühlen sich auch andere Intellektuelle wie Clara Ferreira Alves, die Direktorin der Casa de Pessoa und die junge Schriftstellerin Inês Pedrosa unwohl bei der Amerikanisierung, die sich in diesem hohlen Patriotismus zeigt. Von dieser kritischen Haltung zeugt auch die Karikatur von Luís Afonso, ebenfalls in Público (16.6.04), wo ein bekennender "Patriot", mit der Fahne in der Hand, sich weigert seinen Patriotismus so weit zu treiben, dass er seine Steuern zahlt und die Verkehrsregeln beachtet: er ist Patriot aber nicht blöd!

Wie dem auch sei, Portugal kann stolz sein, die bisher beste Europa-Meisterschaft organisiert zu haben. Die Portugiesen haben sich als perfekte Gastgeber erwiesen: gastfreundlich, unfanatisch. Viele der Besucher sind schweren Herzens geschieden. So weiß ich aus sicherer Quelle, dass die Journalisten des NDR derart positiv beeindruckt waren, dass sie schworen, die nächsten Ferien in Portugal zu verbringen. Und die Portugiesen sollten sich mit der Tatsache abfinden, dass sie nicht das Finale gewonnen haben. Für mich ist es sogar ein Zeichen von Höflichkeit eines perfect host, die so begehrte Trophäe nicht im Lande zu behalten, sondern sie einer Mannschaft zu lassen, die bisher noch nichts gewonnen hatte.






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Portugal-Post Nr. 27 / 2004


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Die portugiesische Fahne am Fenster des PHG-Sitzes (Susettestr. 4)




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