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Wolf Bergmann - Wahrhaftigkeit im Exil

Von Georg Laitenberger *

Die Nacht ist da, drum Bank und Tisch gerüstet!
Ein später Wandrer kehrte in mich ein.
Er weiß nicht recht, wonach ihn jetzt gelüstet,
Ich rate ihm zu meinem Inselwein.

Schon schmeckt er Kühle aus Oktoberwäldern,
Streift als ein tapfres Knäblein durch den Forst;
Er stolpert auch auf hartvereisten Feldern
Und zündet Feuer unterm Rabenhorst.

Die jungen Raben, welche fast erfroren,
Sie schmettern von dem Feuerchen erwärmt
zum weißen Himmel auf; des Gastes Ohren
Fühlen sich wohl und wundervoll durchlärmt.

Der Gast verträumt die Nacht in meiner Schenke,
Und morgens kommt der schöne Tag herein.
Da zahlt mein Gast, es triefen Tisch und Bänke
Von Inselglanz und buntem Blumenschein.

EINKEHR nennt Wolf Bergmann dieses Gedicht, entstanden vor fast 60 Jahren auf Madeira im Exil. Am 4. Februar 2004 wäre Wolf Bergmann 100 Jahre alt geworden. Ein Dichter, der vergessen wurde. Nur wenige wissen noch von ihm. Während der schrecklichen zwölf Jahre in Deutschland lebte er im Exil, größtenteils auf Madeira. Und danach hat er, wie manch anderer, in Deutschland nicht mehr Fuß gefasst. Es gab keinen literarischen Trend, der ihn aufgenommen hätte. Mitschwimmen war ohnehin nie seine Sache. Er ging immer seinen eigenen Weg. So wurde er vergessen.
Man muss daran erinnern, wie namhafte Zeitgenossen, Freunde, über ihn und seine Arbeiten geurteilt haben, um klar zu machen, dass es sich lohnt, ihn aus der Vergessenheit hervorzuholen.

Ludwig Meidner, der große expressionistische Maler, Jude, auch er Emigrant, schreibt in einem Brief an Wolf Bergmann: "Du bist ein Augenmensch, Du siehst wie ein Maler, ein ganz Moderner, Landschaften und Dinge, und Du findest das rechte sinnliche Wort, das auszudrücken, was Du geschaut hast. Dein sprachlicher Reichtum macht Freude, nicht minder Dein monumentaler Sinn für klassische Landschaft."
Und in einem Brief von Reinhold Schneider, dem Dichter und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, heißt es: "Ich habe die Schilderung der Fahrt nach Porto Santo mit Freude und Bewunderung gelesen. Es ist ein Meisterstück präziser dichterischer Prosa, tiefdringender Anschauung. Dahinter liegt, in scharfen Umrissen sichtbar, eine höchst eigenartige Landschaft der Seele. Sie stellt sich in Ihren Gedichten dar in einer wunderbaren Fülle ganz neuer Bilder. Sie bringen aus Madeira der deutschen Sprache und Anschauungswelt Geschenke, derengleichen sie meines Wissens noch nie empfangen hat. Es spricht nur für die Gedichte, dass sie sich nicht so leicht erschliessen, dass man sie mehrmals lesen möchte, um sie sich zu gewinnen. Die Verbindung der antiken mit der atlantischen Welt ist Ihnen gelungen. Es ist eine Geistestat. Und da Sie etwas neues geleistet haben, so wurde Ihnen auch ein neuer Klang geschenkt."
In den Kreis der Freunde gehören Albert Schweitzer, der große Humanist und Romanist Ernst Robert Curtius, der elsässische deutsch-französische Germanist Robert Minder, und viele andere.

Wolf Bergmann war kein Vielschreiber. Ihm lag an der präzisen Formulierung, daran hat er intensiv gearbeitet. Wahrhaftigkeit, Stimmigkeit gerade auch der ungewöhnlichen Bilder war für ihn entscheidend. Und er war nie öffentlichkeitssüchtig. Es gibt ein paar schmale Gedichtbändchen und verstreute Prosa. Alles ist vergriffen und selbst in Antiquariaten und Bibliotheken kaum zu finden.

Innere Wahrhaftigkeit war für ihn als Dichter und als Mensch existentielle Notwendigkeit. Sie hing auch mit seiner tiefen Verankerung im Christlichen zusammen. Er stellte immer sehr hohe ethische Ansprüche an sich selbst und konnte sich empören über Menschen, die in unverantwortlichem Handeln diesen Ansprüchen nicht genügten. Zugleich war er in der direkten Begegnung mit den Menschen von einer ungeheuren Güte und Nachsichtigkeit, stets bereit, den anderen zu verstehen. Der Nationalsozialismus war ihm, dem Patrioten, schon in den ersten Anfängen unerträglich. Mit Beginn des Krieges hat er sich Schweigen als Dichter auferlegt. Erst als er von der Verschwörung des 20. Juli hörte, hat er wieder zu dichten begonnen.

In dieser Zeit und in den ersten Jahren nach dem Krieg entstand auf Madeira die "Atlantische Landschaft", die dann als Gedichtband 1951 in Hamburg erschien. Es sind Gedichte aus einer wunderbaren Landschaft, fern von Krieg und Terror in Europa und den Folgen. Und doch sind es Gedichte aus dem Exil. Es wird keine heile Welt vorgespiegelt, auch wenn überall Hoffnung aufscheint.

BECO ist eine Gedichtfolge in diesem Band überschrieben. Beco: eine Gasse, ein Feldweg, Arme-Leute-Gegend. In einem solchen beco hatte das Ehepaar Bergmann ein Haus gefunden. Das erste der Beco-Gedichte, am Ende des nationalsozialistischen Terrors entstanden:

Du strammer Bursche, Weinkrug, dauerst
Mir lange genug, bist nicht meine Sorge.
Doch über euch, ihr Sternenbrüder,
Habe ich Zweifel, ihr scheint verletzlich.

Zu viel der lieben Freunde wurden
Umgebracht.
Es ist nicht so leicht, von vorn anzufangen,
Aber man muss es, sonst freut sich der Feind.

Wo eben noch Kinder lärmten,
Huschten hinweg sie, der Wind lässt nach
Und schweigt jetzt nächtig um Hütten her.
Jaiminho schläft, sechsjährig, ein tapfrer
Hungrer, und Adriano, ein Spinnchen,
Dürr und mit Schlauheit gewaffnet, schläft;
Mariazinha, die biedere Schwindlerin
Isabelinha, das Plappermäulchen,
Und Vater Silva und Mutter Silva
Schlafen alle den Schlaf der Armen.

Es ist nicht leicht, von vorn anzufangen,
Aber man muss es, weil man es darf,
Des Beco redliche Irdischkeit wills.

Geboren ist Wolf Bergmann in Freiburg im Breisgau am 4. Februar 1904, aufgewachsen in Freiburg und Straßburg. Zuhause, auch geistig, war er in diesem alemannisch-elsässischen Raum, in dem sich schon immer europäische Traditionen auf engstem Raum begegneten. Seine Option blieb Deutschland. Er hat dann Germanistik, Romanistik und Geschichte in Freiburg, Berlin, Paris, später in Würzburg studiert. Würzburg, Franken, war für ihn noch einmal eine prägende Erfahrung. Eine umfangreiche Doktorarbeit über Georg Heym wurde 1933 von dem Frankfurter Literaturwissenschaftler, Prof. Dr. Paul Schultz, angenommen. Zur mündlichen Prüfung kam es nicht mehr, da ihm die Sensibilität für die politische Situation das Leben in Deutschland unmöglich machte. Die enge Freundschaft mit einer Jüdin, Charlotte Manasse, bestärkte ihn in seiner Besorgnis. Er verließ Deutschland. Rom, das heimatliche Elsass, Basel waren die ersten Stationen des Exils. 1936 in Hüningen im Elsass heirateten er und Charlotte, die, inzwischen promovierte Augenärztin, ebenfalls in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte. Kirchlich getraut wurden sie im Basler Münster von Eduard Thurneysen, dem Karl Barth verbundenen späteren Theologieprofessor, mit dem Wolf Bergmann sich angefreundet hatte.

Mit Hilfe Albert Schweitzers gelang Anfang 1937 die Auswanderung nach Madeira. Dort musste das Ehepaar in bescheidensten Verhältnissen leben. Dank der portugiesischen Ausländerbehörde war die Aufenthaltsbewilligung zu keinem Zeitpunkt ein Problem. Allerdings war es für die Ehefrau nur kurze Zeit möglich, als Augenärztin zu praktizieren, da ihr die portugiesischen Examina fehlten. Sie nachzuholen, war nicht finanzierbar. Den Lebensunterhalt verdiente sich das Ehepaar mit Sprachunterricht. Freundschaften mit Portugiesen und Ausländern entstanden. Die Schottische Kirche in Funchal war ein regelmäßiger Kontakt. Trotzdem war die geistige Isolierung von Deutschland und der Abbruch der Beziehung zu vielen Freunden eine bittere Exilserfahrung. Der Zusammenbruch der deutschen geistigen Traditionen und aller Werte in dem verbrecherischen nationalsozialistischen Regime haben Wolf Bergmann tief erschüttert. 1941 wurde beiden die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen. Eine billige Absage an Deutschland war Wolf Bergmann aber nicht möglich. Zu sehr war er deutscher Tradition und deutschem Geist verpflichtet. Aber er war nicht der nur leidende Dichter, sondern konnte sich - selbst dort im Exil - auch sehr unbeschwert amüsieren. Das spiegelt sich auch in den Gedichten.

MORGEN ist die Überschrift eines Gedichtes in "Atlantische Landschaft". Hört man den spielerischen Humor, mit dem das poetische Handwerk benutzt wird?

Ein blauer Morgen voller Sang und Segen.
Die regenfrischen Auen singen auf.
Es schallt der Bach, geschwollen und verwegen,
Die Eichen rauschen im Choral zu Hauf.

Die Häuser heben hell sich von den Hügeln.
Das kleinste Hälmchen glitzert: ich bin da!
Die Zedern lassen sich nicht zügeln, flügeln.
Ich selber bin im Licht mir noch zu nah.

Ein Schwall von Kräutern ist emporgeschossen,
Darinnen sank der Felsen auf die Knie.
Die Weiden streicheln sich mit ihren Sprossen,
Zitronenhauch verheißt ein Glück wie nie.

Fürcht dich doch nicht vor so viel lieben Gaben
Und sage gern und willig: Altsein, komm!
Der Fels will nichts als seine Schwere haben,
Und du kannst nie so alt sein, schwer und fromm..

Die Dankbarkeit für die portugiesische Überlebenschance war groß. Portugiesischer Geist und portugiesische Kultur wurden für Wolf Bergmann eine fruchtbare Begegnung, die er sich freilich nicht leicht gemacht hat.

MÖVEN heißt ein Gedicht aus "Atlantische Landschaft":

Möven seh ich auf und nieder streichen,
Sehe sie aus ihren rätselreichen
Linien lautlos Silberwerk erbaun.
Halbgeträumten Träumen auf den Spuren
Flügeln unaufhörlich sie Figuren,
Und ich soll der Lüfteschrift vertraun?

Über Berge taumeln Wolkenschatten,
Veilchenwogend blaun Geklüft und Matten,
Jubelnd wogt der Blütenjanuar.
In die Hügel schmiegen weiß sich Mauern,
Glauben soll ich, glauben an ein Dauern,
Und ich weiß auf einmal wie es war.

Gießbach war im Sonntagswald erklungen,
Und ein Vater rief nach seinem Jungen,
Kuckucksschall griff seltsam an das Herz.
Wunschlos wiegt das Licht sich auf dem Meere,
Und ich weiß nicht, was ich sonst begehre
Als des Waldklangs so verstummten Schmerz



Ich danke Dr. Marta und Johannes Laitenberger für die große Hilfe, die sie bei der Übersetzung ins Portugiesische geleistet haben, besonders der Gedichte. Offensichtlich kann die wörtliche Übersetzung der Gedichte lediglich einen teilweisen Eindruck vermitteln, besonders was die literarische Form angeht.


Quellen:
Wolf Bergmann, Atlantische Landschaft. Hamburg 1951.

Chronik der Emigration 1932-1954.
Wolf und Charlotte Bergmann
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Aufgezeichnet von Charlotte Bergmann.
Maschinengeschriebenes Manuskript.

Wolf Bergmann. Freude und Kummer.
Ein Leben in Briefen 1933-1972
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Vorgelegt von Heinrich Hassmann.
Maschinengeschriebenes Manuskript 1984.

Mündliche und schriftliche Zeugnisse von Freunden.
(U.a. Prof. Dr. Bernardo Jerosch Herold,
der den Nachlass verwaltet).


* Georg Laitenberger war von 1974 bis 1986 Pastor der deutschen evangelischen Gemeinde von Lissa-bon






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Portugal-Post Nr. 25 / 2004


Wolf Bergmann
Portrait von Ludwig Meidner (vermutlich vor der Emigration beider).
Heute im Besitz der Stadt Darmstadt (Museum Mathildenhöhe)
Foto: B.Jerosch Herold




Ehepaar Bergmann, 1966
Foto: B.Jerosch Herold