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"Mister Five Percent"
und der Goldschmied René Lalique

Von Renate Petriconi *

In jedem portugiesischen Reiseführer wird auf die herausragende Bedeutung des Erdölmagnaten Gulbenkian hingewiesen. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten ist 'sein' Museum in Lissabon wieder für den Besucher geöffnet, Anlaß über die interessante Person Gulbenkian und Teile seiner Einrichtung und Sammlung zu berichten.

Calouste Sarkis Gulbenkian wurde 1869 als Sohn eines wohlhabenden armenischen Petroleumhändlers in Skutaris, heute zu Istanbul gehörend, geboren. Er studierte in London Ingenieurwissenschaften und war bereits 1891 in Erdölfragen Berater des osmanischen Hofes, zu einer Zeit als nur wenige die Bedeutung des Erdöls erahnten. Auf diesem Gebiet wurde er schnell ein Experte und 1911 Mitbegründer der Iraq Petroleum Company, eine Vereinigung der größten Erdölfirmen. Schon bald veräußerte er seine Beteiligung von 15 Prozent gegen einen lebenslänglichen Gewinnanteil von fünf Prozent. Dies machte ihn zeitweise zu einem der reichsten Männer der Erde und brachte ihm den Spitznamen "Mister Five Percent" ein.

Gulbenkian war seit 1902 britischer Staatsbürger, und er legte seinen Besitz überwiegend in Großbritannien an. Ab 1915 lebte er in Paris. Da er mit der Vichy-Regierung während der Besatzung von Paris durch die Nazis sympathisierte, beschlagnahmten die Briten sein Eigentum als Feindvermögen. 1942 gelang es ihm alsdann, in das neutrale Portugal auszureisen. Er ließ sich in Lissabon nieder und verließ die Stadt bis zu seinem Tode im Jahre 1955 nicht mehr.

Gulbenkian war nicht nur ein genialer Kaufmann sondern auch von Kind an ein enthusiastischer Kunstsammler. Diese Leidenschaft stieß in seiner Familie weitgehend auf Unverständnis. Er sagte von sich: "Ich bin unwiderstehlich jeglichem Ausdruck von Kunst und Schönheit verfallen." Bereits in Großbritannien begann er erlesene Kunstwerke zu sammeln. Diese Passion setzte sich in Paris und Lissabon fort und bis zu seinem Tode war er im Besitz einer der bedeutendsten Privatsammlungen der Welt.

Als Nachfolgeregelung wollte er seine Kunstsammlung in einer Hand sehen. Namhafte Museen hatten jedoch nur an einzelnen Stücken Interesse. Ein bekanntes Problem, da die Wertigkeit einer Sammlung vom begeisterten Sammler und den Museumsdirektoren oft unterschiedlich gesehen wird. Erst unlängst war die Presse mit den unschönen Buchheim-Querelen befasst. So schuf Gulbenkian noch zu Lebzeiten die Grundlagen für die Fundação Gulbenkian und vermachte auch in Dankbarkeit Portugal gegenüber, das ihn aufgenommen hatte, seinen gesamten Besitz, eine Sternstunde für das Kulturleben eines kleinen Landes. Der modern aufgelockerte Gebäudekomplex der Stiftung entstand nach Plänen der Architekten Pessoa, Pedro Cid und d'Athouguia 1964-69. Zu ihm gehören ein Kulturzentrum mit einem experimentellen Theater, Multimedia-Shows, ein Amphitheater, eine hervorragende Kunstbibliothek und eine besondere Abteilung für Kinder (Centro Artístico Infantil). 1969, zum 100sten Geburtstag Gulbenkians, wurde für seine Sammlung das heute weltbekannte Museum eröffnet. Erweitert wurde die Anlage 1983 unter Leitung des britischen Architekten Martin um ein Zentrum für Moderne Kunst. Die Fundação unterhält ein Sinfonieorchester, ein Ballettensemble, einen Chor, vergibt Stipendien und hat in London und Paris Vertretungen. Diese Einrichtungen veränderten das kulturelle Leben Portugals in einzigartiger Weise. Darüber hinaus ist die Stiftung in hohem Maße am Gesundheitswesen, an sozialen und bildungspolitischen Maßnahmen des Landes beteiligt.

Im Museu C. Gulbenkian finden Sie keine portugiesische Kunst. Werke moderner und zeitgenössischer portugiesischer Künstler ab 1910 sind im angrenzenden Centro de Arte Moderna ausgestellt. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf orientalischer Kunst, Kunst des Fernen Ostens und Werken der griechischen und römischen Vergangenheit. Zumeist von hohem Rang sind die einzelnen Epochen der Archäologie, der europäischen und asiatischen Kunst durch Werke verschiedener Gattungen (Schriften, Elfenbeinschnitzereien, Keramiken, Skulpturen, Möbel, Farbholzschnitte, Gemälde etc.) vertreten. Bisher fristeten ganze Sammlungsteile, wie zum Beispiel Gemmen (Edel- oder Halbedelsteine mit vertieft eingeschnittener bildlicher Darstellung) und den in Relief herausgearbeitet Kameen ein Depotdasein. Mit der Renovierung wurde neue Ausstellungsfläche auch für diese Preziosen geschaffen.

Darüber hinaus ist Direktor João Castel-Branco Pereira ständig bemüht, die Magazinstücke in kleinen Sonderausstellungen mit hervorragend bearbeiteten Katalogen der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Bei vielen Menschen erlebe ich immer wieder eine Scheu vor einem Museumsbesuch. Das Museu C. Gulbenkian bietet jedoch alle Voraussetzungen, diese zu überwinden. Die Stiftungsanlage liegt inmitten einer subtropischen Parkanlage mit Teichen und Skulpturen, die wie intime Räume mit in das Museum und das Centro de Arte Moderna einbezogen sind. Lassen Sie sich verführen, kaufen Sie eine Eintrittskarte und sehen Sie sich für Ihren ersten Besuch nur Saal Nr. 17 an. Hier erleben Sie, und zwar in dieser Fülle einzig in der Welt, eine Sammlung erlesenster Schmuckstücke und Kunstobjekte des französischen Goldschmieds, Juweliers und Glaskünstlers René Lalique (1860-1945). Es werden nicht einfach Ketten, Ringe und Collies gezeigt, nein, es sind kleine handwerklich und künstlerisch perfekte dreidimensionale Objekte, die Grenzen zwischen Schmuck und Skulpturen verwischend, teils nie für eine Trägerin bestimmt. Als Wegbereiter und Vollender des Jugendstil-Schmucks beansprucht Lalique nicht nur den führenden Rang unter den Juwelieren der Belle Epoque, einer Zeit gesteigerten Lebensgefühles zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich, sondern nimmt darüber hinaus eine bedeutende Stellung in der allgemeinen Geschichte der europäischen Goldschmiedekunst seit der Renaissance ein.

Laliques zeichnerische Begabung wurde schon sehr früh erkannt; so absolvierte er mit 16 Jahren eine Goldschmiedelehre in Paris, besuchte die École des Arts Décoratifs und setzte 1878-80 seine Ausbildung in London fort. Wieder in Paris übernahm er 1885 ein Atelier, dessen Betrieb schnell auf 30 Angestellte anwuchs. Er fertigte bis 1890 im traditionellen Stil überwiegend für Pariser Juweliere.

Mit dem französischen Weltstar Sarah Bernhardt (1844-1923), einer damaligen Theatergöttin, wurde Lalique 1894 bekannt. Sie hatte bereits den kometenhaften Aufstieg des Plakatkünstlers und Designers Alfons Mucha ermöglicht und wirkte ungemein kreativ auf Schriftsteller und Künstler. Lalique schuf den Bühnenschmuck für ihre Rollen, entwarf neben manchem nicht realisierten Stück ein Diadem mit einer sich über der Stirn aufbäumenden Schlange, aus deren zahlreichen Rachen in unterschiedlichen Höhen Perlenschnüre heraushingen. Man bedenke, die Stars mussten damals ihre aufwendige Garderobe und den Bühnenschmuck selbst finanzieren! Für die Entwicklung Laliques war diese Verbindung von unschätzbarem Wert. Zu Bernhardts elitärem Freundeskreis zählte auch Calouste Gulbenkian. Sie machte vermutlich Lalique mit ihm bekannt. Gulbenkian erkannte nicht nur das einzigartige Talent Laliques, sondern beide verband eine große Liebe zur Natur, insbesondere zu Blumen und Vögeln.

Gulbenkian bestellte ab 1895 bei ihm insgesamt 145 Schmuckstücke und Kunstobjekte (Papiermesser, Stock- und Schirmgriffe, Dosen, Flakons, Tafelaufsätze, Spiegel, Rahmen). Er ließ ihm dabei weitgehend freie Hand, eine Förderung, von der jeder Künstler nur träumen kann. Für Sarah Bernhardt wurden die Schmuckstücke nun jedoch zu teuer, sie blieb aber weiterhin mit dem Ehepaar Lalique freundschaftlich verbunden.

Ab diesem Zeitpunkt musste Lalique nicht mehr seine Pariser Kollegen mit Juwelierschmuck beliefern, war also unabhängig vom Geschmack der Kunden und konnte seinen eigenen Ideen hin zum Kunstschmuck folgen. Es öffnete sich eine neue Welt der Formen und Motive, die er ausschließlich aus der Natur bezog: Insekten, Schwäne, Schlangen, Käfer, Fledermäuse, Blüten, Fische und Teichpflanzen - also das gesamte Repertoire des damals modernen Stils, des Art Nouveau - schwingend bewegt im teils kultischen, vielschichtigen Symbolismus. Immer wieder begegnet man bei ihm Frauenköpfen mit medusenhaft-dämonischem Ausdruck, nymphenhaft langem Haar, träumend oder schlafend umgeben von Blüten. Er entdeckte auch für seine Kunst die Blumen- und Insektenwelt der japanischen Farbholzschnitte. Diese Holzschnitte waren 1851 auf der Londoner Weltausstellung gezeigt worden und lösten unter dem Jugendstil eine europäische Stilwelle, den sogenannten Japonismus aus. Laliques Studien (Bestandteil der Sammlung) in zarten Deckfarben gemalt, zeugen von seiner außergewöhnlichen Begabung.

Lalique befasste sich intensiv mit der Technik des Emaillierens und ging dabei zunächst von Renaissance-Vorbildern aus. Unerreicht blieb er in der virtuosen Anwendung des Gruben- und Fensteremails, deren farbliche Wirkungsmöglichkeiten er wie kein zweiter im Schmuck auszuschöpfen wusste. Eines der eindrucksvollsten Objekte der Sammlung ist die prächtige 'Libelle', ein Brustschmuck mit beweglichen Teilen aus Fensteremail.

Er bevorzugte kühle, gebrochene, fein abschattierte Farbtöne. Neben der unregelmäßigen Barockperle wählte er geschnitztes Elfenbein und vor allem raffiniert eingefärbtes Horn. Unter seinen Steinen fällt eine Vorliebe für den irisierenden, geheimnisvollen Opal, den Mondstein und auch den Topas auf. Schon früh fand er Interesse am Glasguss und setzte ab 1896 auch Glas als Werkstoff bei seinen Schmuckstücken ein.

Lalique war nicht nur bahnbrechend in seinen Schmuckentwürfen, er entwickelte auch ein neues Werteverständnis. In einer Zeit in der der Wert eines Schmuckstücks weitgehend nach dem verwendeten Edelmetall und den geschliffenen Edelsteinen berechnet wurde, verlagerte er den Akzent vom Material auf die Schönheit der Gestaltung unabhängig vom Material, dessen Wert, wie bei den überwiegenden Schmuckstücken des Jugendstils, zweitrangig wurde.

Auf der Weltausstellung in Paris im Jahre 1900 erlebte er seinen größten Erfolg. Er zeigte seine Arbeiten in einer von einem Stoffbaldachin überspannten und mit Fledermäusen dekorierten Vitrine. Die Stücke wurden mit dem 'Grand Prix' ausgezeichnet, und er erhielt den Orden eines Offiziers der Ehrenlegion.

Lalique schuf neben Gewandschmuck (Knöpfen, Nadeln, Gürtelschnallen und -schließen) ganze Schmuckgarnituren bestehend aus Kopf-, Hals-, Anhängerschmuck und Broschen. Zu seinen Kunden gehörten neben Gulbenkian auch das wohlhabende Großbürgertum, der Zarenhof, Verleger und Schauspieler.

Die bald nach 1900 einsetzende und den internationalen Markt überschwemmende industrielle Massenproduktion billiger Imitationen im "Stile Lalique" schadete maßgeblich dem Ruf des Jugendstil-Schmucks in den folgenden Jahrzehnten.

1909 übernahm Lalique in Combs-la-Ville bei Paris eine Glasmanufaktur und widmete sich ab 1918 ausschließlich der Glaskunst. Auch in den Lalique-Gläsern, von denen frühe Einzelstücke im Bestand der Sammlung sind, zeigte sich seine überragende Könnerschaft.

Die Besichtigung des Museums kann durch einen Imbiss eingenommen im preisgünstigen Restaurant unterbrochen oder abgeschlossen werden. Vielleicht haben Sie bei einem zweiten Besuch Lust, Calouste Gulbenkians Lebenswerk weiter zu betrachten.

(Mehrfarbige Abbildungen, Erläuterungen zur Ermailtechnik und Literaturhinweise stehen dem Leser in der Internet-Version zur Verfügung.)

Öffnungszeiten:
Museu Calouste Gulbenkian
Avenida de Berna, 45, Lissabon

Centro de Arte Moderna José de Azeredo Perdigão
Rua Dr. Nicolau Bettencourt, Lissabon

Beide Tel. 21 7823000
Beide Öffnungszeiten: Dienstag 14 - 18 Uhr,
Mittwoch - Sonntag 10 - 18 Uhr


* Leicht gekürzter Nachdruck des Artikels, den unser Mitglied Renate Petriconi (Praia da Luz) im November 2001 in der Zeitschrift "Entdecken Sie Algarve" veröffentlicht hat. Der vollständige Artikel und weitere Abbildungen finden sich auf unserer homepage.




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Portugal-Post Nr. 24 / 2003


Im Park vor dem Stiftungsgebäude steht das Monument C. Gulbenkians zu Füßen eines Horus-Falken. Der Bildhauer Leopoldo de Almeida schuf es 1965 anhand einer in Ägypten aufgenommenen Fotografie.
Im alten Ägypten war der Horus-Falke der Schutzgott der Könige und wurde häufig schützend hinter dem Kopf des Herrschers dargestellt




Anhänger




Armband




Emailtechnik




Kopf




Lalique formte ein Mischwesen aus Libelle und Frau mit vampirhaftem Zug, den die Jahrhundertwende im Wesen der Frau sehen wollte. Gold, Email, Chrysoprase, Mondsteine, 1897-98, Maße 23 x 26,6 cm




Pfau




Schlange




Schnalle