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Brautpaare, Sardinen und ein Heiliger:

Das Lissabonner Stadtfest Santo António

Von Barbara Mesquita *

Der Juni ist in Portugal der Monat, in dem mit den Feiern der "santos populares", der Volksheiligen Sankt Antonius, Sankt Peter und Sankt Johannes, die Sommerfeste beginnen. Stadtpatron der Hauptstadt Lissabon ist der Heilige Antonius, zu dessen Ehren alljährlich am 13. Juni eine Prozession stattfindet. Am Vortag aber wird ein großes Fest gefeiert, bei dem man leicht unter die Haube geraten kann.

Lauer Wind, blankgeputzter Himmel. Am Largo da Madalena, wo die stickige Mittagsluft der Lissabonner Unterstadt schon langsam erträglicher wird, weil es hügelan geht, ist alles abgesperrt; ein roter Teppich bedeckt die Straßenbahnschienen der berühmten Linie 28. Ordnungspolizisten in dunkelblauer Uniform und hellblauem Hemd, mit glänzend schwarzen Schnurrbärten, wettergebräunter oder weingeröteter Haut und zuweilen einem gemütlichen Bauch, weisen die Schaulustigen hinter die Gitter beiderseits der engen Gasse, die sich an der Igreja da Madalena vorbei hochschlängelt ins Herz des maurischen Stadtteils Alfama und zum Ziel des roten Läufers: der Kirche des Lissabonner Stadtheiligen Santo António.

Eine bunt zusammengewürfelte Zuschauermenge, in der alle Altersgruppen und Hautfarben vertreten sind und Portugiesisch in allen Färbungen des ehemaligen Kolonialreichs zu hören ist, hat sich an diesem strahlenden Dienstagnachmittag im Juni des Jahres 2001 eingefunden. Viele sind offenkundig alteingesessene Bewohner des Viertels, das zwar eines der malerischsten, aber auch der ärmsten der Stadt ist. Gleichfalls gekommen sind viele Touristen. Die Stimmung: heiter beschaulich.

Einer nach dem anderen fahren nun die Wagen vor, allesamt blankgewienerte Oldtimer, denen die Auserwählten, in weiße Spitzen und Tüllwolken gehüllt, entsteigen: zehn junge Bräute, die auf Kosten der Lissabonner Stadtverwaltung in wenigen Augenblicken im Namen des Heiligen Antonius, der im Volksmund auch der "Heiratsstifter" genannt wird, in dem nach ihm benannten Gotteshaus getraut werden sollen.

Genau dort, wo die als einzige zum Besitz der Stadt gehörende Igreja de Santo António steht, befand sich einst das Geburtshaus jenes Heiligen, dem die Lissabonner noch heute aufs innigste zugetan sind. Ihm zu Ehren findet alljährlich am 13. Juni eine Prozession durch die geschmückten Gassen der historischen Stadtviertel Alfama und Graça statt, der am Vortag ein großes Stadtfest vorangeht: mit Wein und gegrillten Sardinen, die in den verzierten Innenhöfen der schmalen, pastellfarben gekalkten Häuser feilgeboten und verspeist werden, Schwof im Hof und Folkloregruppen aus allen Lissabonner Stadtteilen, die tanzend durch ihre Viertel zu einer großen Parade auf der Avenida da Liberdade, der ehemaligen Prachtstraße in der Unterstadt, ziehen. Und seit einigen Jahren auch wieder mit dem Brauch der unter dem Schutz des Heiligen geschlossenen Ehen.

Die Geschichte und der Kult um den Heiligen Antonius, der an dieser Stelle um das Jahr 1190 als Fernando Bulhão zur Welt kam, sind in einem der Kirche angegliederten kleinen Museum dokumentiert. Bereits in seiner Jugend entschied sich der spätere Stadtpatron für ein religiöses Leben und wurde sodann in Italien unter Franz von Assisi, dem Begründer des Franziskanerordens, zu einem im Mittelalter berühmten Prediger. Schon ein Jahr nach seinem Tod am 13. Juni 1231 in Padua wurde er heiliggesprochen. Besonders in Portugal fanden seine Predigten wie die "Rede an die Fische" begeisterte Resonanz beim frommen Volk, und schnell begannen sich zahlreiche Legenden um den als barmherzig geltenden Heiligen zu ranken, die bis heute nachwirken. So zum Beispiel der Glaube, Sankt Antonius sei der beste Helfer in Liebesdingen. Aus dieser sehr populären Überzeugung, die noch heute viele gläubige (und auch nichtgläubige) Portugiesen dazu veranlasst, in den zahlreichen Kirchen der Stadt Kerzen für den Heiligen aufzustellen, um ihrem Glück in der Liebe auf die Sprünge zu helfen, wurde in den fünfziger Jahren die ebenso publikumswirksame wie ideologieträchtige Idee der organisierten Hochzeiten, der casamentos de Santo António, geboren. Von 1958 an, mitten in der Zeit der Salazar-Diktatur, wurde alljährlich, auf Initiative der Tageszeitung Diário Popular und unter Mitwirkung der Stadtverwaltung, ausgewählten mittellosen Paaren, die es sich eigentlich nicht leisten konnten, das Heiraten ermöglicht. Firmen und andere Geldgeber finanzierten die Hochzeit. Diese Tradition wurde bis zur Nelkenrevolution im April 1974, mit der die Diktatur in Portugal ein Ende fand, beibehalten, dann im Zuge der politischen Veränderungen abgeschafft und erst 1997 von João Soares, dem Vorgänger des augenblicklich amtierenden Bürgermeisters, neu belebt. Allerdings, wie Ezequiel Marinho, Architekt bei der Lissabonner Stadtverwaltung, versichert, ohne die erzkonservativen, paternalistischen Ingredienzien von früher, als dem Brautpaar von seinen Schirmherren auch noch Arbeit und Wohnung beschafft wurden und die Braut sich von einem Arzt untersuchen lassen musste, ob sie denn noch Jungfrau sei. Und neben den zehn Paaren, deren Trauzeremonie in wenigen Minuten beginnen soll, gebe es dieses Jahr zudem noch sechs weitere, von der Stadtverwaltung gesponserte Eheschließungen, die nicht katholisch seien, darunter sogar eine moslemische, beeilt Marinho sich hinzuzufügen, um den zeitgemäßen, multikulturellen Charakter, den der Brauch heute hat, zu betonen.

Inzwischen haben die Bräute, von resoluten Damen reiferen Alters geführt, über den roten Teppich den Eingang erreicht und steigen die Stufen zur Kirche hinauf, zu der selbstverständlich nur geladene Gäste, das Fernsehen und einige wenige ausgewählte Journalisten Zutritt haben. Von den Herren, die sie ehelichen sollen, keine Spur. Eine riesige, auf dem kleinen Platz vor der Kirche installierte Videoleinwand sorgt indes dafür, dass der Zuschauermenge draußen nichts entgeht.

Vor allem die vielen älteren Frauen, die gekommen sind, verfolgen aufmerksam auf dem überdimensionalen Bildschirm, was drinnen passiert. Die Männer gehen lieber erst einmal in eine der umliegenden Kneipen oder in eines der zahlreichen Cafés, um eine bica, die portugiesische Variante des Espresso, oder einen Brandy zu trinken.

Henrique Henriques, ein drahtiger Endfünfziger - grasgrünes Polohemd, helle Leinenimitathose, protziger Diamantring - ist mit seiner unscheinbaren Frau extra aus dem vornehmen Vorort Estoril an der Tejo-Mündung gekommen, um sich das Spektakel anzuschauen. Henrique Henriques hat es im Leben zu etwas gebracht. Wie so viele Portugiesen, ist er als junger Mann Anfang der 60er Jahre aus seiner damals bitterarmen, rückständigen Heimat ausgewandert und nach Amerika gegangen, wo er in vierunddreißig Jahren ein Vermögen als Konditormeister gemacht hat. Seine Töchter, erzählt er stolz, haben es gar zu akademischen Weihen gebracht. Nun lebt er, bekennender Lissabonner, ein echter alfacinha, seit ein paar Jahren wieder hier, wo er geboren wurde. Und natürlich kommt er alljährlich in die Altstadt, um Santo António zu feiern.

Auch Dona Sofia und Dona Isaura, zwei Damen in den Siebzigern, die sich im Café bei einer Limonade vom langen Stehen ausruhen und zufällig ins Gespräch gekommen sind, sehen sich hier jedes Jahr die Hochzeiten an und essen hinterher ein paar gegrillte Sardinen. Allerdings, findet Dona Sofia, habe sich doch vieles in Lissabon verändert, es seien jetzt ja so viele Fremde hier, vor allem Neger. Man möge bitte nicht denken, sie sei Rassistin, aber es seien einfach zu viele und das mache ihr Angst. Dona Isaura nickt. Dabei habe sie die Schwarzen in Afrika durchaus als gute Menschen kennen gelernt. Bis zur Unabhängigkeit von Portugal im Jahr 1975 hat die schlichte alte Frau in Angola gelebt. Gut sei es ihr dort gegangen, so gut wie nie zuvor und wie seither nie wieder. Dann aber, sagt sie, seien die schwarzen Terroristen gekommen, und sie und ihre Familie hätten fortgemusst. Die Terroristen hätten den Weißen die Kinder weggenommen, sie eingesalzen und aufgegessen, so wie sie es von den Russen gelernt hätten. Wie es scheint, bringt Sankt Antonius die Menschen nicht nur miteinander ins Gespräch, sondern er fördert dabei auch Innenansichten zutage, die tief blicken lassen.

Draußen auf der Videoleinwand wird bereits das Ende der Hochzeitszeremonie übertragen. Nacheinander treten die frischgebackenen Paare aus der Kirche und gehen winkend die Stufen hinunter über den roten Teppich zu den langsam vorfahrenden Karossen. Zurück bleiben Konfettiherzen, ein roter Läufer und eine Menschenmenge, die sich langsam zerstreut.

Entlang der steilen Straße, die vorbei an der Kathedrale hinauf zur Burg, zum Castelo de São Jorge, führt, laufen unterdessen die Vorbereitungen für das abendliche Fest auf Hochtouren. Überall in dem Labyrinth aus verwinkelten Gassen und Treppen und in den Innenhöfen, die an Lissabons maurische Vergangenheit erinnern, werden Tische, Stühle und Musikanlagen ins Freie gestellt, bunte Papiergirlanden zwischen den engstehenden Häuserfronten befestigt, der Grill für die Sardinen und die Paprikaschoten angeheizt. In den Hauseingängen schmücken die Kinder kleine Altäre, um von den Passanten eine Münze für den Heiligen zu erbitten, und an jeder Ecke findet sich ein Stand mit Töpfen duftenden Basilikums und einer farbigen Papiernelke, die die Verliebten (und auch beinahe alle anderen Menschen) einander an diesem Abend schenken werden.

In dieser Nacht wird es hier hoch hergehen; dichtgedrängt wird man zusammensitzen, Sardinen essen und Wein trinken, der Tanzgruppe aus Madragoa oder São Vicente oder Mouraria zuschauen, wie sie in ihrer Tracht zum Umzug in der Unterstadt hinunterzieht, man wird "seiner" Gemeinde die Daumen drücken, dass sie hoffentlich, hoffentlich von der Jury prämiert werde, und dann wird man irgendwann selbst auf der Straße tanzen und singen und im Morgengrauen beseelt oder auch nur benebelt nach Hause wanken. Vielleicht ist man dann am nächsten Tag rechtzeitig zur Prozession wieder wach, um mit einer Kerze in der Hand dem Heiligen Antonius auf seinem alljährlichen Rundgang zu folgen und ihm dafür zu danken, dass man in der Nacht die Liebe seines Lebens kennen gelernt hat.

Doch fürs erste endet der Aufstieg am Largo das Portas do Sol auf einem grünen Stuhl aus Gusseisen bei einer bica unter einer Platane. Unterhalb des Dächermeers schimmert hell der Tejo im Licht des späten Nachmittags. Winzige Dampfer liegen an den Miniaturkais vertaut, orangefarbene Punkte tuckern hinüber zum anderen Ufer nach Cacilhas. In weiter Ferne verschwimmt die Silhouette des Arrábida-Gebirges. Es riecht nach Holzkohlenfeuer und Sardinen. Irgendwo singt Whitney Houston, woanders spielt ein Fado. Und es weht ein angenehmer, lauer Wind.


* PHG-Mitglied Barbara Mesquita ist Übersetzerin und freie Journalistin




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Portugal-Post Nr. 23 / 2003


Prozession des Hl. Antonius
Lissabon, 13.06.2003




Antoniusbräute mit Oldtimer




Antoniusbraut mit Mutter