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Sehnsucht nach Lissabon

Von Sebastian Blasche *

Die größte und wichtigste Stadt im Land der Seefahrer und Entdecker sei sie, wurde mir gesagt. Gleichzeitig ein Beispiel für Aufschwung und Wohlstand in Portugal seit dem EU-Beitritt. Die Entwicklung der Stadt im Rahmen von Geld aus Brüssel und Investitionen aus "Europa" sei sehr vielversprechend verlaufen. Lissabons Fortschritte stünden symbolisch für die von Portugal, wobei man natürlich auf nationaler Ebene die ländlichen Regionen außer Betracht lassen müsse, die nicht derart prosperierten.

Der Anflug auf Lissabon lässt all dies vergessen. Ein weißes Häusermeer zeigt sich in dem winzigen Guckloch neben meinem Fenster. Es kommt mir vor, als hätte jemand einen Eimer weißer Farbe über der Stadt ausgeschüttet und eine helle, immerscheinende Sonne angeknipst. Die beiden mächtigen Brücken über den Tejo erstrecken sich wie zwei riesige Arme über den breiten Fluß, die zusammenhalten, was zusammengehört.

Ich tauche ein in eine pulsierende und lebendige Stadt, die mit ihrer Lebensfreude nicht nur das Umland, sondern alle Portugiesen, die es oft vom Land in die große Stadt zieht, "umarmt". Diese Einladung gilt allen, auch wenn man das in Porto nicht so gerne hört. Man sieht viele unterschiedliche Leute in Lissabons Straßen, alte Menschen, in deren Augen die wechselvolle Geschichte lebendig wird. Es waren dunkle Jahre unter der Herrschaft der Faschisten, bis endlich die Nelken in eine bessere Zukunft wiesen. Die Armut ist oft, aber auch nicht immer, dem Bewusstsein gewichen, zu Europa zu gehören. Kein Europa mehr in Anführungszeichen, sondern mit Ausrufezeichen. Das weiß die junge Generation schon länger, die fröhlich und lachend umherzieht. Seltener sieht man in ihnen die Sehnsucht der Alten, saudade. Sehnsucht und das Gefühl ein Schicksal zu haben, das man geduldig trägt. Man erfüllt seine Aufgabe eben dort, wo Gott einen hingestellt hat und das kann hier kein schlechter Ort sein.

Aus meinem Fenster sehe ich in eine enge Straße mit alten Häusern, die viel erlebt haben. Unten auf der Straße lachende Kinder mit einem Fußball zum Spiel. Ob sie Luís Figo im Kopf haben, wenn sie ein Tor bejubeln? Der Spaß am Fußball vereint Menschen, aber er kann auch spalten. Sporting vor Benfica? Benfica vor Sporting? Das ist Thema in der Bar an der Ecke, wo die Väter sitzen und bei einem Gläschen fachsimpeln. Nur in einem Punkt sind sie sich alle einig: Der FC Porto ist jedenfalls schlechter.

In reger Geschäftigkeit gehen die Lissabonner ihrem Alltag nach oder geben sich nur einem Schwätzchen hin. Stehen, laufen, fahren und sich treiben lassen, das ist das allgemeine Motto. Hin und wieder ein steiler Anstieg auf teils sehr engen Straßen, die jeden Autofahrer schier verzweifeln lassen. Die Straßenbahn kann dagegen kaum helfen, denn sie bleibt zu oft im Gewühl und Gewirr der Gassen stecken. Also laufen und sich die dann doch immer häufiger vorkommende Steigungen heraufquälen. Die Belohnung ist meist ein phänomenaler Ausblick auf die weiße Stadt am Tejo. Ob vom Castelo de São Jorge oder dem Bairro Alto, immer ist es diese Stadt, die fasziniert und begeistert. Herrlich zwischen den Hügeln eingebettet in ein kleines Stückchen Paradies.

Schaut man vom Tejo auf die weiße Perle, dann erscheint es als bestünde alles aus Lissabon. Alles auf dieser Welt muss sich demnach um Lissabon drehen und nicht umgekehrt. Die Welt, die von hier entdeckt wurde, ist zwar größer als diese Kolonie der Lebensfreude am Tejo, aber sie findet sich im kleinen hier wieder. Viele Retornados aus den Kolonien leben hier, oder einfach Menschen, die früher noch einem anderen Kontinent angehörten. Das Zusammenleben ist nicht immer einfach und schon gar nicht ausschließlich harmonisch, aber es muss doch auch ein wenig die gemeinsame Geschichte sein, die das Leben erleichtert.

Nachts erscheint die Stadt in vielfältigen Lichtern und Schatten. Es scheint als würde die Sonne durch das Dämmerlicht der vielen Kerzen und Laternen ersetzt. Vielmehr strahlen allerdings die Herzen der Lissabonner, die dem Gast eine unerwartete Freundlichkeit entgegenbringen. Offenheit und Wohlwollen der ehemaligen Eroberer, der funkelnde Stolz in ihrer Seele nach der Wiederentdeckung des Zaubers der Nelken. Schön, solche Menschen in Europa zu haben und mit ihnen die gemeinsame Zukunft gestalten zu können.

Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich Lissabon wieder verlassen muss. Langsam nimmt der Zug Fahrt auf. Ein Gefühl von Sehnsucht nach dieser Stadt steckt mir schon jetzt in den Knochen. Es wird noch stärker, als Lissabon endgültig nicht mehr zu sehen ist. Schlagartig ist mir klar, dass diese Stadt einfach mehr ist, als einfach nur eine faszinierende Stadt. Sie ist einzigartig durch ihre Menschen und diese machen sie so liebenswert. Ich werde wiederkommen und noch einmal all das fühlen, was schon jetzt tief in mir auf ein Wiedersehen wartet.


* Teilnehmer der Studienreise, die unser Mitglied Angelina Ribeiro vor zwei Jahren betreut hat (dazu ihr Bericht in der Portugal-Post No.16)




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Portugal-Post Nr. 23 / 2003


Sebastian Blasche