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Vão te fazer Ultraschall...
Oder: Was passiert eigentlich, wenn Patienten nicht so gut Deutsch sprechen?

Von Bernd Meyer *

"Schön, dass Sie da sind, Frau Silva! Ich wollte ihrem Vater gerade erklären, dass wir bei ihm noch eine Ultraschalluntersuchung machen wollen. Könnten Sie das bitte mal eben dolmetschen?" Eigentlich wollte Ana Silva in diesem (erfundenen) Beispiel nur ihren Vater im Krankenhaus besuchen. Doch plötzlich soll sie die Erklärungen eines Arztes ins Portugiesische übertragen. Diese Erfahrung haben schon viele der Hamburger, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, gemacht - wenn beim Arzt, auf einer Behörde oder bei der Wohnungssuche Sprachprobleme auftauchen, findet sich immer irgend jemand, der Deutsch und die andere Sprache beherrscht und für einen Moment in die Rolle des Dolmetschers schlüpfen kann - ein Verwandter oder Bekannter, ein Kollege, manchmal auch ein Passant.

Ein Forschungsprojekt der Universität Hamburg untersucht seit zwei Jahren Gespräche zwischen deutschen Ärzten und portugiesischen oder türkischen Patienten. Dabei geht es um die Frage, welchen Einfluss das Dolmetschen auf die Kommunikation hat. Verstehen sich die Beteiligten tatsächlich besser? Wie wird das, was in der einen Sprache gesagt wurde, in der anderen wiedergegeben? Es wurden Gespräche in Hamburger Krankenhäusern aufgezeichnet und verschriftlicht. Dann wurde geguckt, wie bestimmte Ausdrücke von den "Zufallsdolmetschern" übersetzt worden sind.

Kehren wir zurück zu Ana Silva und ihrem Vater im Krankenhaus. Ana ist in Deutschland aufgewachsen und spricht Deutsch und Portugiesisch gleich gut. Ihr Vater jedoch ist in einem Alter nach Deutschland gekommen, in dem ihm das Sprachenlernen nicht mehr so leicht fiel. Und er hatte abends nach der Arbeit auch nicht mehr so richtig Lust dazu. Im Alltag kommt er gut zurecht; aber wenn ihm ein Arzt so eine komplizierte Sache erklären will...

Der Arzt fängt noch mal an: "Herr Silva, wir wollen bei Ihnen noch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens machen." Herr Silva guckt Ana fragend an: "Querem fazer o quê?" Ana antwortet: "Vão te fazer... Vão te fazer Ultraschall. Ao coração. Ultraschall, sabes o que é?" Herr Silva schüttelt den Kopf, er kennt das Wort "Ultraschall" nicht. Ana kennt es, aber nur auf Deutsch. Spätestens an diesem Punkt merkt sie, dass Dolmetschen gar nicht so einfach ist. Zum Beispiel, weil wir im Alltag viele Wörter benutzen, deren genaue Bedeutung wir nicht kennen und die wir niemandem erklären können, obwohl sie uns auf den ersten Blick nicht fremd erscheinen. Ana zieht sich aus der Affäre: "É mais uma Untersuchung." Das wiederum versteht ihr Vater: "Untersuchung" ist das, was man mit Patienten im Krankenhaus macht. Er nickt, und Ana sagt zum Arzt: "Sie können weitersprechen."

Die Ergebnisse des Hamburger Forschungsprojektes sind klar: die Gespräche im Krankenhaus sind schwer zu dolmetschen. Die meisten der portugiesischen oder türkischen Verwandten oder Krankenschwestern, die für ihre Landsleute dolmetschen, haben Schwierigkeiten mit den Fachausdrücken und generell mit dem Wechsel zwischen Sprachen. Das ist nicht überraschend, denn zweisprachig zu sein heißt noch lange nicht, dass man auch gut dolmetschen kann. Schließlich ist "Dolmetscher" ein Beruf, den man erlernen muss.

Die in Hamburg aufgewachsenen zweisprachigen Portugiesinnen und Portugiesen werden trotzdem weiter für ihre Freunde und Verwandten dolmetschen müssen, denn niemand kann sich vorstellen, woher das Geld kommen könnte, um ausgebildete Dolmetscher zu bezahlen. Vielleicht lässt sich aber durch Studien zeigen, dass die Zufallslösung nicht immer die beste ist. In anderen Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien ist man schon lange dieser Ansicht - dort wird in Krankenhäusern jeder Patient, der das wünscht, von einem Dolmetscher begleitet.

Wenn Sie sich über das Hamburger Projekt "Dolmetschen im Krankenhaus" informieren möchten, oder uns über Ihre Erfahrungen mit Sprachproblemen im Krankenhaus berichten wollen, dann schreiben Sie uns: SFB Mehrsprachigkeit, TP A2, Max-Brauer-Allee 60, 22765 Hamburg.
Oder per e-mail:
Bernd_Meyer@public.uni-hamburg.de
Internet: www.rrz.uni-hamburg.de/SFB538


* Mitarbeiter am Projekt "Dolmetschen im Krankenhaus" der Universität Hamburg




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Portugal-Post Nr. 21 / 2003