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Geteilte Welten - Hamburg und Migration

Ein Projekt des Museums der Arbeit und Portugal in Hamburg - Information und Aufruf

von Jürgen Ellermeyer *

Einwanderung aus Portugal nach Hamburg hat wiederholt Aufmerksamkeit gefunden - speziell mit den Sefarden im Rahmen jüdisch-deutscher Geschichte. Diese Einwanderer der Frühen Neuzeit - Flüchtlinge aus religiösen Gründen - zählten zu den auf Dauer Willkommenen, weil überwiegend vermögend und speziell durch ihre Handelsbeziehungen und -tätigkeit dem dominierenden Wirtschaftszweig dienlich. Einzelne brachten es zu bis heute währender Prominenz. Auch Ausstellungen haben das gewürdigt.

Fast 500 Jahre später erfolgt neuerliche Bewegungen in dieser Richtung: mit vereinzelten und gruppenweise Flüchtlingen, Emigranten aus politischen Gründen (Salazar-Diktatur, Beginn der Kolonialkriege 1961), und zunehmend vielen Arbeitssuchenden, die als "Gastarbeiterinnen" und "Gastarbeiter" kommen, seit 1964 durch einen Anwerbevertrag der Regierungen angeregt und reguliert, nach dem Anwerbestopp von 1973 und der "Nelkenrevolution" 1974 immerhin noch per Familiennachzug und nach dem EG-Beitritt 1986, der die Wirtschaftssituation im Lande teilweise verbesserte, dann im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb der EU nach der Vollmitgliedschaft 1992.

Den in Hamburg lebenden Menschen portugiesischer Herkunft oder Vorfahren (ca. 10.000 als "Ausländer" laut Pass) sind solche Hinweise unnötig, aber wenn das Museum der Arbeit zu mehr Kenntnis über die Bewohner dieser Stadt und ihre Geschichten und damit zu mehr Gelassenheit im Umgang miteinander beitragen möchte, dann wird der Blick der Teilnehmenden und Besuchenden sich auch besonders auf diesen Zweig der Einwanderung richten. Insgesamt erfolgt sie ja bis heute in immer neuen Schüben oder eher unscheinbar, aus den verschiedensten Gründen und Regionen nah und fern. Diese ganze Vielfalt ist natürlich nicht in einer einzigen Sonderausstellung nachspürbar vorzuführen. Aber Ermunterung zur Erkundung soll es für möglichst viele Menschen auch mit ausgewählten Beispielen geben. Dazu werden angesichts der bescheidenen Sammlungsbestände oder einschlägiger Ausstellungsteile in Hamburger Museen und unter Achtung der beim Hamburgischen Museum für Völkerkunde schon betriebenen Aktivitäten gerade Lichter auf die Einwanderung aus Portugal gehören.

Wenn uns nicht, etwa an Zahlen orientierte, systematische Betrachtung zu solcher Akzentsetzung lenkte (Hamburg ein bedeutender Ort für portugiesische Einwanderung in Deutschland), dann können die verschiedensten Anlässe dafür sprechen - so, dass auf einer Tagung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg über "Fremde in Hamburg - fremd sein in europäischen Großstädten" ein Vortrag auf Fragen des "transnationalen" Verhaltens gerade bei in Hamburg Lebenden portugiesischer Herkunft einging, dass wir in unserer begrenzten Interview-Reihe (bis jetzt rund 60 Gespräche) - u.a. wegen Zugangs zu der Fabrik, in deren ehemaligen Barmbeker Gebäuden sich das Museum der Arbeit entwickelt, also der New-York Hamburger Gummi-Waaren Co. in Harburg - erste intensive Gespräche mit Eingewanderten aus Portugal führten, dass wir den eindrucksvollen Zug beim 10. Portugiesischen Kulturfestival, dem Arraial Português, von St. Georg bis zum Rothenbaum filmend und fotografierend begleiten konnten, und dass schließlich ein Glücksfall von Fotoüberlieferung uns sprechende Eindrücke gerade von der Ankunft portugiesischer "Gastarbeiter" in Hamburg-Harburg lieferte, wovon hier ein Beispiel gezeigt sei.

Mit Dank für die Gelegenheit und In Vorfreude, auf dem Wege der Portugal-Post nicht nur Interessenten an der kommenden Ausstellung zu erreichen, sondern Ideen und vor allem Objekte mit (zu) sprechender Geschichte - Fotos, Schriftdokumente, Gegenstände - zu bekommen, hier noch etwas zum Projekt überhaupt. In der "Werkstatt für Migrationsgeschichten" führen wir seit Monaten, jetzt vorläufig letzte, Interviews mit Eingewanderten und Eingeborenen. Während Ergebnisse der Arbeit in Workshops mit Jugendlichen bereits in der Ausstellungs- und Aktionswoche "Ansichtssache!? Junge Hamburgerinnen und Hamburger zur Einwanderung" im Herbst präsentiert wurden, nähern wir uns dem Ziel des in internationaler und Hamburger Kooperation betriebenen Projektes.

Im Museum der Arbeit wird im Oktober 2003 eine Sonderausstellung eröffnet und mit Veranstaltungen über mehrere Monate ein Forum bieten: offen für Vielfalt von Herkunft und Lebensformen, für Erfahrungen und Meinungen. Die dinglichen, verbalen und sinnlichen Bezüge auf das kulturelle Neben- und Miteinander in der Stadt sollen Nachdenken und Verhaltensanstöße fördern, mit denen Diskriminierung und Rassismus entgegenzutreten und mehr Achtung untereinander zu gewinnen ist.

Der Arbeitstitel "Geteilte Welten" läßt die Einen, eher Älteren, Trennlinien wiederfinden, die sie nicht übertüncht sehen, sondern überwinden möchten. Andere, eher jünger, betonen, dass es für sie in Hamburg oder zwischen Hamburg und einem Herkunftsland keine scharfen Scheidungen gebe. Daß dies Begriffspaar fast nur negativ verstanden wird, erinnert daran, daß der wünschenswerte Entwicklungsgang von "Geteilte Welten" über "Mitgeteilte Welten" zu "Miteinander geteilte Welten" kein selbstverständlicher ist. Schließlich kann man beklagenswerte Zustände, Regeln und Verhaltensformen in Hamburg nicht leugnen. Andererseits machen Geschichten Vieler, darunter Deutschbürtiger mit Binnenwanderung, Mut zu Neugier und Veränderungen.

Das Museum nimmt die Herausforderung an mit Blick sowohl auf individuelle Lebensgeschichten insbesondere seit der Zeit der "Gastarbeiter" und auf Entfalten von Identitäten mit "Herkunft" als nur einem von mehreren persönlichkeitsprägenden Momenten, als auch auf Stadtentwicklung - rückgehend auf einige historische Schübe mit und dank "Fremden", sei es für den Handel vor 1800 oder für die Industrie vor 1900, und hin zu jüngeren sozialen Zuständen und politischer Auseinandersetzung, zu Arbeitswelt, Wohnbedingungen und Rechtssituation, Grenzen und Möglichkeiten von Eigenhilfe und gesellschaftlicher Verpflichtung.

Wieweit reichen in Hamburg Elemente der Ghettobildung, greift Sprachlosigkeit um sich - oder wieweit ist die "Entwicklung multikultureller Lebenswelten" in Hamburg bereits ein "alltäglicher Prozess", wieweit Bewegung zwischen Herkunftsland und Hamburg freier geworden gegenüber materiellen und politischen Zwängen, wieweit identifizieren sich Eingewanderte aus der gleichen Region in Hamburg (noch) als Gemeinschaft, community? Zu umstrittenen Einschätzungen sollen Zeugnisse, Maßstäbe und Standpunkte gezeigt werden.

Dazu gibt es Betroffene und (andere) Experten genug. Sie alle sind nicht nur ab Herbst als Besucher willkommen, sondern schon und noch jetzt in der "Werkstatt für Migrationsgeschichten", mit Informationen und - dies noch einmal ein dringender Aufruf - mit Fotos, Dokumenten und Dingen, so unscheinbar sie zunächst sein mögen. Ihre persönliche Erfahrung und Ihr Alltag zählt!

Info und Kontakt:
www.museum-der-arbeit.de/Sonder/GeteilteWelten;
Jürgen Ellermeyer/Anne-Gaëlle Rocher; Tel.42832-3533/2150;
e-mail: ellermeyer/rocher@museum-der-arbeit.de.


Eine - im doppelten Sinne - sehr gut aufgenommene Musik-CD von Octavian Iepan ist zur Aktions- und Ausstellungswoche im Herbst 2002 aus Workshops mit jungen Menschen in Hamburger Schulen, darunter auch der Rudolf-Ross-Gesamtschule, entstanden: "Ansichtssache!?...". Sie kann gegen eine Schutzgebühr von 2 Euro im Museumladen erworben oder bestellt werden beim "Museum der Arbeit. Geschäftszimmer. Poppenhusenstraße 12, 22305 Hamburg" (zuzüglich Porto).

In europäischer Kooperation entsteht mit uns die ab Anfang 2003 wandernde Ausstellung "Crossing Borders" mit Blick auf das Oberthema "Migration, Work and Identity". Sie wird ab November 2003 auf einige Wochen die Hamburger Ausstellung ergänzen.

Das Projekt des Museums der Arbeit, das mit einem "Archiv für Migrationsgeschichten" über die Ausstellung hinausführen soll, wird bislang finanziell gefördert vom EU-Programm "Kultur 2000", der Kulturbehörde der FHH, der Norddeutschen Stiftung für Umwelt und Entwicklung, von Volksfürsorge, Hamburger Feuerkasse, Flughafen Hamburg GmbH und dem Verein "Freunde des Museums der Arbeit" - und mit Ideen von einem ehrenamtlichen Beirat (darin auch Luís Carvalho) und Vielen mehr.


* Dr. Jürgen Ellermeyer arbeitet am Museum für Arbeit, Poppenhusenstr.12 (Barmbek)




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Portugal-Post Nr. 21 / 2003


1965: Portugiesische "Gastarbeiter" kommen am Bahnhof in
Hamburg-Harburg an




Der portugiesische Festzug in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs
(8. Juni 2002)




Der portugiesische Festzug am
Hamburger Gänsemarkt