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Viva a Reforma Agrária
Die Agerarreform aus Hamburger Sicht

Von Annette Spiering *

Es war ein kurzer Entschluss. Eine Woche drauf entstieg dem schwarz-grünen Taxi aus Faro in  die flirrende Hitze auf dem Monte der Herdade de Porches ein solidarisches Quartett, u.a. Harald1, der schon lange Portugal kannte und alles mit ins Rollen gebracht hatte, und ich ausgestattet mit der Qualifikation einer welterfahrenen Rucksacktouristin, relativ unbelastet von genaueren Kenntnissen über portugiesische Verhältnisse vor und nach dem 25. April 1974, aber mit einem Herzen, das kräftig links schlug.

Wir gehörten zur ersten von drei Gruppen, die im Sommer 78 zur Erntehilfe auf der Kooperative Soldado Luis bei Alcácer do Sal anrückten. War unser Antrieb Revolutionsromantik? Zum Teil gewiss schon. Aber es waren nicht so sehr die großartigen politischen Heldentaten und Diskussionen, die mich damals so sehr beeindruckten, es waren die vielen kleinen Gesten eines achtsamen und achtungsvollen alltäglichen Umgangs mit den Dingen und vor allem miteinander, die mich andere unbereiste Ferienziele vergessen ließen und mich immer wieder zu den Menschen in den Dörfern der Agrarreform lockten. Ich fing an, die Sprache zu lernen und beschloss, 1980 ein ganzes Jahr dort zu verbringen. 

Morgens arbeitete ich mit den Frauen auf dem Land, 6 Monate des Jahres in den Reisfeldern. Mit einer Engelsgeduld setzten sich viele über meine noch spärlichen Sprachkenntnisse hinweg und erklärten mir alles, wie einem kleinen Kind, nicht nur der mit der enxada unerfahrenen neuen camarada den gezielten Einsatz der Hacke. Mit der Zeit erfuhr ich viel von ihren alltäglichen Sorgen und Nöten, die das Leben in Armut mit sich brachte. Die Tatsache, dass ihnen dieses Schicksal gemeinsam auferlegt war, nahm zwar die Schmach des persönlichen Versagens und machte die vielen Entbehrungen erträglicher. Um so größer dafür auch das Glück und der Stolz über neue Errungenschaften. Und rumalbern konnten die Frauen auch ganz gut. Und dann gab es wieder ernste solidarische Diskussionen darüber, wie eine Frau mit dem Problem des Alkoholismus ihres Mannes umgehen könne, dass  ein posto médico  im Dorf dringend nötig sei  und dass die Kinder schon fast 2 Monate lang auf einen Lehrer im Dorf warteten und hinterher das Jahrespensum nicht schaffen könnten. Immer wieder beeindruckte es mich, wenn die älteren Landarbeiterinnen von früher erzählten, mit welcher Widerstandskraft und Leidensfähigkeit sie Härten ertragen hatten. Doch kaum eine wirkte verbittert.

In den 80er Jahren habe ich regelmäßig in den Ferien die Freunde im Dorf besucht. Mal konnte die eine, mal die andere Familie einen neuen Anbau oder ein neues Haus präsentieren. Die Straßen waren inzwischen asphaltiert worden, alle Häuser an das Stromnetz angeschlossen und elektrische Haushaltsgeräte hielten breiten Einzug. Mit tausend Fragen nach diesem oder jenem Besucher aus Deutschland, mit dem man damals bei der Arbeit so viel gelacht hatte, wurde ich gelöchert. Einige konnte ich glücklicherweise beantworten und so das Gefühl von Verbundenheit verlängern.

Unsere mehrfachen Aufenthalte auf der Kooperative haben nicht nur die Reiseerwartungen und unseren Reisestil danach beeinflusst, sondern u.a. in unserem Leben viel bewegt. In den 90er Jahren rückte dann bei meinen Portugalreisen der persönliche Komfort mehr in den Blickwinkel und dafür entstand in der Serra de Grândola ein gemütliches Haus. Beim Bau und bei langen Aufenthalten dort bekam auch ich die Unzulänglichkeiten und Härten des portugiesischen Alltags zu spüren. Könnte ich nicht auf den Fundus von langer Kenntnis des Landes und menschlicher Geborgenheit zurückgreifen,  wäre ich wohl so manches Mal verzweifelt statt um viele Kleinigkeiten zu kämpfen. Minimale Fortschritte werden so zu Errungenschaften, schon nicht mehr Erwartetes löst große Freude aus.

Trotzdem tut es jedesmal ein wenig weh mitzuerleben, wie das alte Bild vom solidarischen Portugal aus den 70ern und 80ern schwindet, das bei den Reisen in die Agrarreform immer wieder bestätigt wurde und heute noch auf ganz wenigen Kooperativen überlebt.


* Es handelt sich bei diesem Artikel um Auszüge aus einem Beitrag unseres Mitgliedes Annette Spiering, wohnhaft in Hamburg und Melides, zu dem soeben veröffentlichten Band „Jenseits der Pyrenäen... Frauen unterwegs in Spanien und Portugal“ (edition tranvia, Berlin). Er ist herausgegeben von Brunhilde Wehinger und bietet ein spannendes und anregendes Panorama von unterschiedlichen Glückserwartungen an den Süden und steckt an mit der Reiselust, die allen Texten eingeschrieben ist

1 Bruder von PHG-Mitglied Jürgen Vieth, Autor verschiedener Bücher zur Hamburger Stadtkunde




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Portugal-Post Nr. 20 / 2002