Mit Portugal verbinden die meisten Liebhaber
der Textilkunst die feinen, durchbrochenen Weißstickereien aus
Madeira. Dass aber auch auf dem Festland und gerade in den Provinzen
Beira Baixa und Alentejo alte Zentren der Textilkunst ansässig sind,
ist wenig bekannt. In Castelo Branco wird seit alters her die
Flachstickerei gepflegt, in Arraiolos entstehen die Teppiche mit
abgewandelten orientalischen Mustern und in Portalegre ist die
landesweit bedeutende Papisseriewerkstatt für Bildteppiche seit dem
18. Jh. angesiedelt.
Technik und
Gattung
Bildteppiche
sind, im Unterschied zum gemusterten Teppich, aus farbigen Fäden
hergestellte Wandbehänge mit bildlichen Darstellungen. Die
Bilddarstellungen können durch Wolle und andere Fäden eingewirkt,
appliziert oder aufgestickt sein. Bei den Tapisserien von Portalegre
handelt es sich um Bildwirkereien. Diese werden nach Vorlage eines Künstlers,
die man Karton nennt, hergestellt. In Portalegre arbeitet man auf einem
Hochwebstuhl. Die Weber, vielfach Frauen, sitzen vor den senkrecht
gespannten Kettfäden und tragen den quer verlaufenden Schuss ein. Die
Kettfäden bestehen meist aus stark gedrehter Wolle, der Schuss wiederum
aus Wolle oder anderen Materialien. Der Schuss wird jeweils nur so weit
geführt, wie es die Zeichnung des Kartons verlangt, läuft somit nie,
etwa wie bei der Stoffweberei, über
die ganze Gewebebreite. Im Laufe der Zeit setzte sich neben anderen
Techniken die des liegenden Fadenlaufs, bei dem der Wirker mit beiden Händen
arbeiten konnte, durch. Mit einem Kamm werden die Schussfäden danach fest
angeschlagen und so die Kettfäden ganz abgedeckt. Ein besonderes
Merkmal dieser Wirktechnik ist, dass an den Berührungsstellen der
verschiedenen Farben Schlitze (daher kam es auch zu der Bezeichnung
Schlitzwirkerei) entstehen, die nachträglich auf der Rückseite
zugenäht werden. Wenn für Kette und Schuss unterschiedliche
Materialien, wie Leinen und Wolle, Wolle und Seide verwendet werden,
entsteht das für Wirkereien typische ripsartige Aussehen. Der
Wirkstuhl besitzt keine Vorrichtung für eine mechanische
Wiederholung eines Musters, des sogenannten Rapports. Diese Technik
ist also für die bildliche Darstellung besonders geeignet.
Geschichte
der portugiesischen Bildwirkereien
In Portugal in
der Mitte des 15. bis Ende des 16. Jahrhunderts, der Zeit der hiesigen
Renaissance, erreichte die Entwicklung der bildenden Kunst und Architektur
unter den Königen Manuel I (1495-1521) und João III (1521-1557) mit dem
sogenannten Manuelinischen Stil einen Höhepunkt. Das Land hatte zwar ein
Tapiceiro Real, verfügte aber nur über unbedeutende eigene Bildwirker.
Der Hof war von den flandrischen Arbeiten fasziniert und bestellte ganze
Bildserien, wie zum Beispiel um 1557 in Brüssel das kostspielige
Unterfangen einer Bildfolge bestehend aus 10 Stücken zum Thema 'Die
Eroberungen in Indien durch Dom João de Castro' (heute im
Kunsthistorischen Museum in Wien). Diese besonders feinen, reich mit
Gold-, Silber- und Seidenfäden
gefertigten Stücke waren monumentale Zyklen die die religiöse
Historie, Allegorien oder detailreiche Landschaften zum Thema
hatten. Sie dienten zum Schutz gegen Kälte und wie heute zum
Schmuck. Besonders bei festlichen Anlässen wurden die Innenräume der
Prunksäle von Schlössern, Burgen, Rathäusern und Gerichten, die
Pfeiler der Kirchen und die Balkons der Patrizierhäuser mit
einzelnen oder ganzen Serien von Bildteppichen geschmückt.
Die Lage der
unbedeutenden nationalen Produktion änderte sich erstmals 1771 unter
Mithilfe französischer Textiltechniker. In diesem Jahr gründete der
leitende Minister Marquês de Pombal (1699-1782) die königliche
Seidenfabrikation Real Fábrica das
Sedas in Lissabon.
Dieser Manufaktur war eine Abteilung für Bildteppiche unter der Leitung
von João Gonçalves angegliedert. Fünf Jahre später gründeten die aus
Aubusson, einem berühmten Zentrum französischer Tapisseriekunst,
stammenden Mergoux und Heitor eine Fabrikation in Tavira; sie stellte
jedoch bereits 1783 ihre Tätigkeit wieder ein. Aus dieser Zeit sind
allerdings die einzig erhaltenen Arbeiten, die sich heute im Museu
Nacional de Arte Antiga in Lissabon und im Museu Municipal do Dr. Santos Rocha in Figueira da Foz befinden,
überliefert.
Portalegre,
heute Distrikthauptstadt am Fuße der Serra de Portalegre im Alto Alentejo
nahe der spanischen Grenze gelegen, hatte seit dem Mittelalter neben Holz-
und Korkwirtschaft eine Zentrale Stellung innerhalb der Wollverarbeitung. Pombal
gründete hier 1772 die Wollindustrie Real Fábrica de
Lanifícios de
Portalegr'. Er siedelte die Manufaktur im ehemaligen
Jesuitenkloster São Sebastião an. Diese Anlage war im Jahre 1759 nach
der durch den Marquês veranlassten Vertreibung der Jesuiten in den
Besitz der Krone gelangt. Zum damaligen Zeitpunkt arbeiteten etwa 2 000
Personen im Unternehmen. Das Wohlergehen der Manufaktur war ganz
wesentlich mit dem ihres Gründer und im Geiste des aufgeklärten
Absolutismus bis 1777 wirkenden Ministers verbunden. 1788 wurde die Fabrik
an ein privates Unternehmen verkauft und ging nach der napoleonischen
Invasion im Jahre 1822 an den französischen Manufakturmitarbeiter und Färber
Larcher über. Die Familie Larcher betrieb in Portalegre noch weitere
Firmen, die jedoch, wie der überwiegende Teil der Wollindustrie,
durch die Wirtschaftskrise 1866 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
zum Erliegen kamen, und auch der Versuch die Tapisseriewerkstätten
durch eine Kooperation mit einer Bankgesellschaft aus Porto zu
retten scheiterte. 1897 wurden die Gebäude an den englischen
Korkproduzenten Robinson verkauft, der die Gebäude als Lagerraum
nutzte.
Welche Bedeutung die königliche Manufaktur
einstmals für Portalegre hatte, kommt auch in den vier Zeilen eines
Liedes zum Ausdruck:
Oh
cidade de Portalegre,
Duas
coisas tens em ti:
A
fábrica Real
E o
Senhor de Bonfim.
wobei es sich bei besungenem Senhor Conde de
Bonfim um einen aktiven liberalen Militärpolitiker handelte, den man
Mitte des 19. Jahrhunderts nach Angola verbannte.
Die
daniederliegende Textil-, Woll- und Tapisserieindustrie kam erst in den
Jahren um 1920 durch Manuel do Carmo Peixeiro und Francisco Fino und seine
Familie wieder in Gang. Carmo Peixeiro war ein in Frankreich ausgebildeter
Textilingenieur, der 1914 in der Wollindustrie in Portalegre arbeitete und
1918 nach Porto ging. Hier gründete er 1921 die Manufactura Portuguesa de Tapeçaria Lda.
und stellte bereits im gleichen Jahr und 1924 in Lissabon seine
Tapisserien im Stile der französischen Gobelins- und
Aubusson-Technik aus. 1923 eröffnete er in Portalegre Webereien für
Samt, Baumwolle und Seiden, gründete 1926 eine Teppichfirma und
erprobte Verfahren zur Qualitätsverbesserung.
Francisco Fino
und weitere Familienmitglieder gründeten ebenfalls mit sehr wechselhaftem
Erfolg Fabrikationen innerhalb der Textilveredelung. Sie stellten unter
anderem Knüpfteppiche im Stile von Smyrna-Arbeiten her. Erst 1946 wurde
unter Guy Roseta Fino die noch heute erfolgreich bestehende Firma Tapetes de Portalegre Lda. gegründet. Carmo Peixeiro machte den
Firmengründer mit seinen Experimenten unterschiedlicher Schussführung im
Gegensatz zur französischen Technik vertraut. Erste Arbeiten in dieser
neuen Technik entstanden 1947 nach Kartons der portugiesischen Künstler
Guilherme Camarinha und João Tavares. Der Bildaufbau der Entwürfe war
jedoch noch recht konventionell, man arbeitete mit einem umlaufenden Rand-
und einem zentralen Hauptfeld mit der eigentlich erzählenden Darstellung.
Bald jedoch lieferten bedeutende portugiesische Künstler, wie Maria Keil,
Júlio Pomar, Mário Dionísio und Almada Negreiros Kartons, um nur einige der Künstler der ersten Stunde zu nennen. Käufer
der erlesenen und teuren Stücke war damals überwiegend die öffentliche
Hand. 1952 vollzog sich durch eine französische Ausstellung in Lissabon
mit dem Thema: Tapisserien vom Mittelalter bis zur Neuzeit, der die Werkstätten
aus Portalegre eine kleine Schau angliederten, ein internationaler
Durchbruch. Die französischen Aussteller waren überwältigt von der
portugiesischen Qualität der Bildteppiche.
Premierminister Oliveira Salazar war ebenfalls Ausstellungsbesucher
und bestellte für verschiedene Ministerien Werke. Diese ersten Erfolge
ermutigten Guy Fino im gleichen Jahr zu einem Besuch bei Jean Lurçat
(1892-1966) in Frankreich. Erläuternd muss erwähnt werden, dass Lurçat
der Erneuerer der
modernen
französischen Bildwirkerei war und seine Bedeutung der von Le Corbusier für
die Architektur durchaus vergleichbar ist. Lurçats Arbeiten mit
naturalistischen und vielfach surrealistischen, lyrisch-phantasievollen
Elementen sind sowohl vom Material und der Farbe her dekorativ geschaffen.
Anlässlich eines Kongresses in Lissabon besuchte Lurçat die Manufaktur
in Portalegre und war von der meisterhaften Ausführung überzeugt. Bis zu
seinem Tode ließ er mehr als 80 seiner Entwürfe in Portalegre herstellen
und in der französischen Zeitschrift Nouvelles Régionales de Nice wurden die Arbeiten von Portalegre als die derzeit besten der
Welt eingeschätzt. Bei internationalen Ausstellungen blieben die
Anerkennungen nun nicht aus. So wurde unter anderem Marcelo de Morais
Entwurf 'Energia' 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel prämiert.
Bedeutende Galerien in Österreich, Kalifornien, Texas, der Schweiz und
Schweden stellten die Tapisserien aus. Unter den Käufern war auch die
Peter Stuyvesant Foundation. Ausländische Künstler wurden auf die hohe
Qualität aus Portalegre aufmerksam und bestellten ihrerseits ganze Serien
an Bildteppichen, wie der Ungar Mathieu Matégot, die Amerikanerin Martha
Mood und die beiden Australier Arthur Boyd und Sidney Nolan. 1964 begann
Le Corbusier mit Portalegre zusammenzuarbeiten. Er plante etwa einhundert
verschiedene Stücke zu deren Ausführung es jedoch durch seinen Tod im
Jahre 1966 nicht mehr kam. Gewirkt wurde lediglich Les Deux Musiciens.
Nahezu alle
bedeutenden portugiesischen Künstler lieferten Kartons für die Werkstätte.
Abnehmer dieser wunderschönen Stücke waren öffentliche Auftraggeber,
in- und ausländische Banken, die Industrie, Hotels und viele, die einen
Repräsentationsbedarf hatten. Die Nelkenrevolution im Jahre 1974 löste für
die Manufaktur eine ernsthafte Krise aus. In den ersten Jahren fiel das
sogenannte Rückgrat der Produktion, die öffentlichen Aufträge, völlig
weg, und gleichzeitig blieben die ausländischen Bestellungen aus. Die
Manufaktur stand vor ihrer Schließung. Mário Soares, selbst ein
leidenschaftlicher Sammler moderner Kunst, sah in der Manufaktur jedoch
ein zu erhaltendes nationales Erbe und veranlasste einige Aufträge. Von
1975 an arbeitete die Manufaktur gemeinsam mit Teresa Amado, die auch die Galeria Tapeçarias de Portalegre in der Rua da Academia das
Ciências, 2J ab 1987 in Lissabon leitet. Eine weitere wertvolle
Zusammenarbeit war die von 1976-1982 mit dem Schweizer Werner
Burckardt, der Verkaufsverbindungen und Kontakte zu Künstlern
herstellte. Ausstellungen 1978 in Brasilien und 1981 in Paris
brachten mit viel Erfolg immer wieder die qualitätvollen Wirkereien
aus Portalegre für den Betrachter ins Bewusstsein. 1996 feierte das
heute bereits in der 2. Generation geleitete Unternehmen sein 50.
Bestehen.
Die Arbeiten
aus Portalegre sind heute fester Bestandteil der Sammlung der Fundação
Gulbenkian, der Banken wie: Banco de Portugal, Espírito Santo, Caixa Geral de Depósitos, der TAP, der Hotels Barcelona
in Lissabon, Tivoli, Marinotel in Vilamoura, von Ministerien und öffentlichen
Bauten. Eine Vielzahl privater Liebhaber sind im Besitz von Bildteppichen.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Besitz einer Tapisserie aus
Portalegre heute für den gut bemittelten, anspruchsvollen Portugiesen zum
Muss geworden ist. Es wäre schön, wenn die kunstvollen und überaus
dekorativen Arbeiten mehr Aufmerksamkeit in
Deutschland finden würden.
Die Werkstätten unterhalten, wie schon erwähnt,
in Lissabon eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen (Tel. 21
3468202). Darüber hinaus kann bei ernsthaftem Kaufinteresse die
Manufaktur in Portalegre besucht werden. Eine touristische
Besichtigung, wie sie in den Reiseführern noch steht, ist nicht mehr
möglich.
Ganzjährig geöffnet
ist hingegen das Museu de Tapeçaria de Portalegre Guy Fino
im Palácio Castelo Branco in Portalegre.