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Sprachspuren, die Gama & Co in Indien hinterließen

Von Ferdinand Blume-Werry

Nachfolgend einige Auszüge eines Essays von Ferdinand Blume-Werry über die portugiesischen Spuren in indischen Sprachen. Der vollständige Text erscheint unter dem Titel "Bomba, Pipa e Botäo" in der nächsten Ausgabe (Ende Juni) von Tranvia.

[...} Als das damalige Königreich Portugal im 16. Jahrhundert vornehmlich an der indischen Westküste Fuß faßte und eine Bresche in den bis dahin arabisch dominierten Indienhandel schlug, war die kulturelle Beeinflussung Indiens durch die arabische Welt bereits einige Jahrhunderte alt. Schon zu Zeiten des Sultanats von Delhi, aber auch im Moghul-Reich, das sich im 16. Jahrhundert im Aufbau befand, wurde die hinduistische Kultur deutlich von der islamischen beeinflußt. Durch das Auftauchen der Portugiesen, später durch das der Niederländer, Franzosen und Engländer, war man aus indischer Sicht nun gezwungen, sich auch mit der Welt des christlichen Abendlandes auseinanderzusetzen. Zur Bezeichnung anderer Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände wurden gewissermaßen auch Wörter nach Indien "exportiert". Aber auch mit den anderen Sitten des europäischen Menschenschlags wurden Inder konfrontiert, was ihnen keineswegs die Sprache verschlug, schon gar nicht die eigene, obwohl es portugiesische Proklamationen gab, so die von 1684, die ganz konkret den Gebrauch der in Goa gesprochenen Konkani unter den Indern verbot.

[...] Spuren des kulturellen "Dialogs", vor allem Spuren der "Aufnahme des Fremden" sind mehr oder minder in allen indischen Sprachen zu finden, vor allem durch die Übernahme von Wörtern, die meist Gegenstände bezeichnen, die von den Europäern - oder zuvor aus der islamischen Welt - mitgebracht wurden und welche die indische Kultur in dieser Form zumeist (noch) nicht kannte.

Geht man nun auf die Suche nach Spuren der Língua Portuguesa in indischen Sprachen, so muß man sich grundsätzlich vor Augen halten, daß durch die maurischen Eroberungen auf der iberischen Halbinsel bereits vor der "indischen Zeit" der Portugiesen arabische Wörter im Portugiesischen nachweisbar sind und, was nicht weniger wichtig ist, auch arabische Wörter in indischen Sprachen zu finden sind. Mit anderen Worten: ein möglicherweise im "Indischen" aus dem Portugiesischen entlehntes Wort arabischen Ursprungs könnte in der entsprechenden indischen Sprache auch schon vorher direkt dem islamischen Wortschatz entlehnt sein. In Wirklichkeit ist es sogar noch komplizierter, da es viele indische Sprachen gibt und es durchaus denkbar ist, daß in der einen ein Wort arabischen Ursprungs auf dem Umweg über das Portugiesische, in der anderen aber direkt aus dem Arabischen oder aus einer der Sprachen mit starkem arabischen Wortschatz wie den iranischen oder dardischen Sprachen entlehnt wurde.

Ein Beispiel dafür ist das Wort für "Seife", port. sabão, das für die romanischen Sprachen zwar auf das lateinische sapo zurückgeführt wird, vermutlich aber sogar germanischen Ursprungs ist. In der mit dem Marathi verwandten und im Distrikt Goa gesprochenen Sprache Konkani gibt es das Wort sabu für "Seife", wo es als direktes Lehnwort aus dem portugiesischen sabão gilt. [...]

Wichtig bleibt an dieser Stelle festzuhalten, daß die gesamte Gruppe der Wörter, die ungeachtet ihrer Herkunft sowohl im Portugiesischen als auch im Arabischen nachweisbar sind, mit Vorsicht zu behandeln ist, wenn man entscheiden will, ob sie in den indischen Sprachen unmittelbar aus dem Portugiesischen oder aus dem Arabischen entlehnt wurden. Dazu ein weiteres Beispiel eines Hindi-Wortes, bei dem sich auf den ersten Blick das entsprechende portugiesische Wort aufdrängt: kamiz für "Hemd". Sofort denkt man an das portugiesische Allerweltswort camisa. Um nicht die ganze Geschichte aufzurollen, die sich gerade bei alten Kulturwörtern stets als sehr verworren darstellt, kürze ich ab: Das stimmhafte auslautende s (z) im Hindi-Wort ist nicht rein indisch, kamiz ist also im Hindi ein Lehnwort. Die Entlehnung aus port. camisa ist damit aber noch nicht sicher, obgleich einiges dafür spricht, daß kamiz in Indien portugiesischen Ursprungs ist, da damit das europäische Hemd bezeichnet wird und nicht das arabische qamis. Jedoch läßt sich aus der reinen Beobachtung über unterschiedliche Formen eines in zwei versch. Sprachen mit einem Wort bezeichneten Kleidungsstücks noch gar nichts ableiten. Mit dem mittellateinischen Wort camisia, das zu port. camisa führte, wurde ursprünglich ein sowohl in der römischen als auch in der arabischen Welt dem heutigen Hemd nur ähnliches Kleidungsstück bezeichnet. Vermutlich übernahmen die Araber ihr Wort qamis aus dem späten Latein oder aus einer der romanischen Sprachen, die sich daraus entwickelt haben. Der vielleicht entscheidende Hinweis, daß das ind. kamiz auf port. camisa zurückgeht (und nicht auf arab. qamis) ist der stimmhafte S-Auslaut im Hindi-Wort kamiz, denn im Arabischen lautet das Wort mit einem stimmlosen säd aus.

Im übrigen gibt es für den portugiesischen Handel mit camisas zahlreiche Belege; glaubt man dem Autor des 1838 erschienenen Buches "Roteiro da Viagem de Vasco da Gama em MCCCCXCVII", so soll schon Gama mit Hemden in Indien gehandelt haben. Interessanterweise findet sich in dem 1868 in Nova-Goa herausgekommenen "Dicciona-rio Portuguez-Concani, composto por um missio-nario italiano" unter dem Stichwort "camisa" der Eintrag: "Esta vestidura näo he propria da India, por isso näo tem nome...." (Dieses Kleidungsstück ist nicht typisch für Indien, weshalb es keinen Namen hat.) Auch diese Aussage mag ein indirekter Hinweis dafür sein, daß das Hemd aus Portugal nach Indien kam, denn hätten es die Araber, die ja vor den Portugiesen in Indien Handel trieben, mitgebracht, so wäre vermutlich das arabische qamis zum Zuge gekommen. [...]

Verweilen wir noch ein wenig beim Konkani, der Sprache Goas. Aufgrund der portugiesischen Präsenz in Goa ist Konkani von allen indischen Sprachen diejenige, welche am meisten portugiesische Wörter aufweist. Man nimmt an, daß bis zu 10% des Wortschatzes portugiesischen Ursprungs ist. [...]

[...] Die Língua Canarina ist also eigentlich der Konkani-Dialekt der zum Christentum missionierten Goa-Inder. In der Tat wurde in Goa stark missioniert, was bald dazu führte, daß Christen und Hindus allein in Goa deutlich unterscheidbare Dialekte des Konkani ausbildeten. Nicht nur im Hinblick auf den Wortschatz und die Phonetik traten Änderungen ein, die Missionare bemühten sich natürlich, Konkani zu erlernen, was sie mit portugiesischem Satzbau sprachen und schließlich sogar statt in der indischen Devanagari-Schrift mit der lateinischen Schrift schrieben, so daß Christen mit Konkani als Muttersprache im Verlauf der letzten 500 Jahre durch die willkürlich-unwillkürliche Sprachpolitik der Portugiesen gerade eben noch den von Hindus gesprochenen Konkani-Dialekt verstehen können.

Deshalb finden sich im Konkani (zum geringen Teil auch im Marathi und im südlich von Goa gesprochenen dravidischen Kannada oder Kanaresischen) zahlreiche portugiesische Wörter, die in andere indische Sprachen nicht entlehnt wurden oder heute nur sekundäre Bedeutung haben. So wird z.B. im Hindi das Wort batata zwar verstanden, für "Kartoffel" aber nahezu ausschließlich das Wort alu verwendet, während man im Marathi die Kartoffel eigentlich immer mit batata bezeichnet, also mit dem aus dem Portugiesischen batata übernommenen Wort.

Im Konkani hingegen finden sich Wörter wie baldi (balde = Eimer), buc (bucha = Kork, Pfropfen), kantrata (contrato = Kontrakt), ghamela ( gamela = Futtertrog), parata (prato = Mahl), ja sogar pava (päo = Brot), bis hin zu pistula (pistola = Pistole), kartusa (cartucho = Patrone) und natala (Natal = Weihnachten), um nur wenige von mehreren hundert Wörtern zu nennen.

Unabhängig davon, ob diese portugiesischen Wörter über das Konkani in andere indische Sprachen gelangt sind oder direkt aus dem Portugiesischen in die entsprechende Sprache entlehnt wurden, ist es zumindest interessant, ob und, wenn ja, welchen semantischen Wandel sie dort erfahren haben. Das port. gamela, was in dem Hindi-Wort gamla weiterlebt, heißt dort nicht "Futtertrog" wie noch im Konkani, sondern wird (zumindest heute) ausschließlich für "Blumentopf" gebraucht. Andere Wörter wie z. B. das portugiesische balde (= Eimer) leben mit gleicher Bedeutung aber unterschiedlicher Schreibweise in einzelnen Sprachen fort; Beispiele sind balti (Hindi) und balti (Bengali).

[...] Den vielleicht größten "Siegeszug" der von Portugal nach Indien getragenen Wörter haben die Bezeichnungen für einige Früchte gemacht, die heute aus Indien nicht mehr wegzudenken sind; und diese Wörter haben zugleich die längste Reise hinter sich, da sie ursprünglich nicht portugiesische waren, sondern indianische Wörter sind. Die mittel- und südamerikanischen Eroberungen der Spanier und Portugiesen führten zum Import so abenteuerlicher Früchte wie der Ananas, der Papaya und anderer Exoten; die Portugiesen zumindest verwendeten die indianischen Namen zur Bezeichnung dieser Früchte in ihrer Lingua, nämlich ananas (indianisch (a)nana) bzw. papaia. Die unterschiedliche Schreibweise in den einzelnen indischen Sprachen für "Ananas" und "Papaya" ist ein Beleg, daß phonetisch transkribiert wurde. Hier einige Beispiele für "Ananas" in verschiedenen indischen Sprachen: anannas (Hindi), anaras (Oriya), anenas (Gujarati), ananas (Marathi), ananas (Panjabi), annaäs (Kaschmiri), anasu oder annasu (Sindhi), anas (Telugu) und ananas (Kannada = Kanaresisch).

[...] Zum Abschluß dieses Exkurses über das Eßbare gibt es noch etwas über die schon immer in Indien beheimatete Mango zu berichten (Hindi: am). Vermutlich um ein portugiesisches Wort für "Mango" durchzusetzen, bezeichneten Missionare bestimmte Mangosorten mit portugiesischen Namen, so beispielsweise die an der Malabarküste wachsende Art mit Affonsa (Alfonso). Das Unternehmen war jedoch nicht sehr erfolgreich. Die wichtigste aller "indischen" Früchte blieb indisch und die Portugiesen übernahmen ihr manga aus dem tamilischen mangay, was seinerseits ein Kompositum aus man für "Mango" und kay für "unreife Frucht" ist, und somit eigentlich die unreife Mangofrucht bezeichnet.

Andere, heute im Hindi nicht wegzudenkenden Wörter sind geblieben und werden nahezu überall verstanden, wo man die zur verbindenden Staatssprache erklärte Hindi spricht oder gewillt ist zu sprechen. Beispiele hierfür sind cabi (chave = Schlüssel), fita (fita = Band) und pipa (pipa = Faß), Wörter, die sich in dieser oder ähnlicher Form nicht nur im Hindi, sondern auch in anderen indischen Sprachen finden.

Auch das im Hindi, Urdu und Panjabi für "Zimmer" verwendete Wort kamra haben Portugiesen nach Indien gebracht; es leitet sich von dem heute in Portugal nur noch in bestimmten Zusammenhängen verwendeten camara her, das auf das lat. camera zurückgeht, was seinerseits aus gr. ... (kamara) entlehnt ist, wo es ursprünglich "Gewölbe, gewölbte Kammer" bedeutete und dort auch schon zur Bezeichnung für ein Gemach verwendet wurde, in das man sich zum Schlafen zurückzog; noch heute ist eine der Bedeutungen des port. camera "Schlafzimmer", während das ind. kamra ebenso allgemein Verwendung findet wie unser Wort "Zimmer". [...]

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Portugal-Post Nr. 2 / 1998