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Ein Hamburger im Alentejo –
eine ganz persönliche Geschichte

Von Claus Bunk *

Die Vorgeschichte

Es war das schlechte Wetter und die Neugier, die mich kurz nach der Nelkenrevolution im Jahre 1976 nach Portugal trieb. Die kulturelle Globalisierung hatte noch nicht zugeschlagen. Meine Faszination war so groß, dass ich von nun an fast jedes Jahr in meine neue zweite Heimat fuhr, um die unterschiedlichen Gebiete des Landes kennen zu lernen. Absoluten Vorzug gab ich in diesen Tagen dem Aufenthalt in Tavira, der im Ostalgarve gelegenen ehemaligen Hauptstadt Portugals unter maurischer Herrschaft. Die weißen Häuser mit Dachgarten, das bunte Leben im Markt, die kleinen Fischrestaurants am Hafen und die maurischen Ruinen auf der Anhöhe.

Ohne Sprache kein Verständnis

Im Jahre 1982 beschloss ich auf eigene Kosten für 1 Jahr nach Lissabon zu gehen, um an der Uni – Faculdade de Letras – portugiesische Sprache und Kultur zu studieren. Ich wollte Nägel mit Köpfen machen, um in Zukunft nicht auf das Wichtigste, die Verständigung, verzichten zu müssen. Es war ein echter Volltreffer, dieses Studienjahr. Es zeigte mir Portugal von einer anderen Seite und ich lernte dabei Lissabon kennen und lieben. Die Anzahl meiner portugiesischen Freunde nahm stetig zu. Das Interesse für Portugal erreichte seinen Höhepunkt. Ich nutzte die vorlesungsfreie Zeit, um andere Teile des Landes kennen zu lernen. So besuchte ich auch die entlegeneren Gebiete, wie Madeira, den Minho und die Gebirgsregionen um Gerês und Bragança. Durch mehrjährige Arbeit in Brasilien, Angola und Moçambique wurden die Sprachkenntnisse von nun an permanent ausgebaut.

Erste Kontakte mit dem Alentejo

Der Alentejo war mir bis zu diesem Zeitpunkt nur von der Durchfahrt in den Algarve bekannt. So begann ich damit Orte wie Alcácer do Sal, Melides, Vila Nova de Milfontes, Santiago de Cacém, Sines, Odemira zu erkunden. Später folgten auch andere Orte im Inneren des Alentejo wie Évora, Beja, Mértola, etc. Die Vorliebe für den Alentejo prägte sich weiter aus. Dieser Landstrich mit seinen extremen Wetterbedingungen (Sommer sehr heiß und Winter oftmals kalt und nass) hat eine stark ausgeprägte eigene Kultur und Lebensweise aufzuweisen, welche von Elementen der 800jährigen Besetzung der Mauren geprägt ist. Ob nun die typischen Männerchoräle mit karger oder gar keiner instrumentellen Begleitung oder der ausgeprägte Fatalismus und die Fähigkeit die Langsamkeit zu leben. Alles dies erschien mir eine gute Basis für ein anderes Leben fernab von der Hektik unserer europäischen Metropolen zu sein. Vorerst allerdings eine Basis für ein anderes Leben in der Ferienzeit, was sich in Zukunft aber noch ändern könnte.

Suche nach dem kleinen Paradies

Ende der 80iger Jahre ging ich dann auf die Suche nach dem kleinen Paradies. Es sollte in der Küstenregion des Alentejo zwischen Setúbal und der Grenze zum Algarve liegen und etwas abgelegen sein. Ich suchte nach einem Haus mit einem Stück fruchtbarem Land, welches möglichst autark über eine eigene Wasserversorgung verfügen sollte. Erst 1995 wurde ich über einen Zufall fündig. Ein befreundetes portugiesisches Ehepaar gab den entscheidenden Tipp, einen Makler in Grândola zu kontaktieren, der des öfteren kleinere Grundstücke auf dem Lande anbot. Es war Frühling und ich sah dieses einsame Tal mit Wiesen, die in voller Blüte standen und mittendrin das kleine Haus im alentejanischen Baustil mit blauen Streifen um das Haus, die Fenster und Türen. Der Weg zum Meer war zwar relativ weit mit ca. 30 Minuten Fahrzeit, aber dafür lag das Haus inmitten einer relativ unberührten alentejanischen Landschaft mit Wald und Wiesenflächen auf denen große Schaf- und Ziegenherden weideten. Im Jahre 1995 wurde gerade ein neues Gesetz zur Eingrenzung von Bautätigkeit auf dem offenen Lande verabschiedet, was es in Zukunft fast unmöglich machen würde, dass sich weitere Leute in dieser Gegend ansiedeln könnten. Es sollte also bei den 3 bis 4 ständigen Nachbarn bleiben, die meine Familie und ich heute relativ gut kennen. Eigene Quelle mit água santa, 100 alte Olivenbäume, einige Korkeichen, Orangen- und Fruchtbäume waren der Bestand, den wir hier vorfanden. Olivenöl kommt seither nur noch aus der eigenen Produktion.

In direkter Nachbarschaft befinden sich einige stillgelegte Pyritminen. Die ehemaligen Minenarbeiter wurden arbeitslos und es entstanden kleine Ghettos mit sozialen Konflikten. Ein Lösungsansatz hat die Gemeinde von Lousal gefunden, die mit Fördermitteln einen Minentourismus mit Restaurant, Hotel und Kunsthandwerksbetrieben begann.

Ehemalige Hamburger als Nachbarn

Erst später fanden wir heraus, dass dieses Gebiet traditionell von Hamburgern besiedelt wurde. Halb verlassene Dörfer, wie Santa Margarida da Serra bei Grândola, fanden auf diese Weise Anfang der 80iger Jahre zu neuem Leben. Der Küstenort Melides hat viele Hamburger und Berliner als neue Bürger aufgenommen, die auch im örtlichen „sanften“ Tourismus tätig sind. Viele dieser Bewohner sind Bewohner auf Zeit also Pendler zwischen den Welten, wie wir. Dieses Pendeln hat einen großen Reiz, denn im Alentejo findet man genau das, was man in Hamburg vermisst. Die Ruhe, die Erholung die pure Natur. Stahlblauer Himmel im Sommer. Ein klarer Nachthimmel mit lauer Luft, der dazu einlädt bis spät Abends mit Nachbarn und Freunden draußen auf einer Bank zu sitzen und über das Leben nachzudenken, eine Denkpause, die eigentlich jeder von uns nötig hat. Gemeinsam an einer langen Tafel zu speisen, den köstlichen alentejanischen Wein zu trinken und eventuell gemeinsam zu singen und zu musizieren. An heißen Tagen mit über 35 Grad Außentemperatur an das Meer fahren, um im kühlen Atlantik ein erfrischendes Bad zu nehmen. Das ist Lebens- und Urlaubsqualität, die süchtig macht. Hinzu kommt, dass die Menschen des Alentejo extrem gastfreundlich sind und für den Besucher ihr letztes Hemd geben würden, was leider auch oft ausgenutzt wird.

Schattenseiten

Natürlich hat dieses Paradies auch seine Schattenseiten. Der Winter kann schon weniger gastlich sein, wenn die Eiswinde (as geadas) kommen und rücksichtslos über das Land fegen. Man kennt hier keine Zentralheizung und so kann es vom Gefühl her empfindlich kalt und vor allem feucht werden. Im Gegensatz zu Hamburg ist diese ungastliche Periode allerdings nur sehr kurz (ca. 3-4 Monate des Jahres) und so fällt das Warten auf den nächsten Frühling nicht mehr ganz so schwer. Dann sitzen die Alentejaner um ihre offene Feuerstelle herum und erzählen sich Geschichten oder singen ihre meist traurigen Choräle, die von verlorenen Lieben oder von dem Minenarbeiter handelt, der gerade seinen Freund verloren hat. Die Grundstimmung der Leute des Alentejo kann sehr schwermütig sein, da der Alltag hier kein Zuckerlecken ist. Die großen Metropolen sind weit entfernt und Geld in Form von Löhnen fließt in dieser Gegend nur sehr spärlich. Tageslohn von 40-50 DM sind da keine Seltenheit und das ist weder ein Salär zum Leben noch zum Sterben. Die Menschen aus dem Norden, wie aber auch aus der Metropole Lissabon kommen hier mit gefüllten Taschen auf das Land und rufen nicht selten den Neid der Einheimischen hervor. Wir bemühen von deshalb, sehr behutsam jedes Herumprotzen mit Geld und Möglichkeiten zu vermeiden; dies würde unweigerlich zur Isolation von uns Neuangesiedelten führen, wie wir es heute sehr anschaulich in den Touristenhochburgen des Algarve oder in Spanien sehen können. Integration durch Bescheidenheit ist die Devise. Es muss auch eine Bereitschaft vorliegen von der einheimischen Bevölkerung zu lernen, da man hier über sehr viel praktische Kenntnisse verfügt, die ein Stadtmensch nicht kennt. Mit einer Eigenart muss sich der Mensch aus dem Norden auseinandersetzen. Es ist die Tatsache, dass ein Alentejaner niemals NEIN sagen kann. Dies hat oft Missverständnisse zur Folge. So fragt man z.B. ob man sich für den folgenden Tag verabreden will, was positiv beschieden wird. Es kommt aber zu keinem Zusammentreffen oder nur mit mehreren Stunden Verspätung, da der Gesprächpartner nicht das harte deutsche NEIN verwenden wollte. Er sagte ein „möglicherweise“ oder „vielleicht“, welches wiederum von uns leicht als Zustimmung ausgelegt werden könnte. Wir Hamburger müssen uns an das typische „Jein“ erst einmal gewöhnen und müssen lernen es entsprechend der Betonung auszulegen.

Eine Schattenseite des Landlebens im Alentejo ist die Jagdsaison, die sich auf einige Monate des Jahres beschränkt. In dieser Zeit bekommt man allerdings den Eindruck als würde ein Krieg in den Wäldern ausgebrochen sein. Es ballert an allen Ecken und Kanten. Horden von Hobbyjägern meistens aus den Städten bevölkern plötzlich die Wälder und Wiesen mit Hunden, die oft nach Ablauf der Saison im offenen Feld ausgesetzt werden. Diese Machomania von selbsternannten Naturfreunden (Frauen nehmen an diesen Orgien nicht teil), die oftmals an die Traditionen der Kriege in den afrikanischen Kolonien anknüpft (inklusive der entsprechenden Uniformen) ist kaum noch an Traurigkeit zu übertreffen. Außer ein paar Wildschweinen gibt es im Alentejo schon lange kein Großwild mehr. Also müssen die wenigen Kaninchen, Wachteln, Füchse etc. dran glauben. Das hat nichts mehr mit Regeln des Jagens zu tun sondern ist eine grenzenlose matança, die an Sinnlosigkeit kaum zu übertreffen ist.

Trotz dieser paar Schattenseiten ist das Leben im Alentejo eine große Freude für uns. Täglich werden neue Erfahrungen gemacht und wir hoffen, dass uns der zweite oder auch irgendwann erste Wohnsitz im Alentejo noch lange erhalten bleibt.


* Claus Bunk, 49 Jahre alt, lebt in Hamburg. Er ist verheiratet mit einer Brasilianerin und Vater einer Tochter. Er arbeitet seit 1985 im Bereich der Hafenberatung und kam im Rahmen seiner Arbeit oft in portugiesischsprachige Länder – neben Portugal auch nach Afrika sowie nach Brasilien. Weitere informative Dinge über ihn, seine Familie und seine Interessen kann man der Homepage www.afrobrasil.de entnehmen.




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Portugal-Post Nr. 19 / 2002