António Lobo Antunes‘ neuer Roman ist ein Buch über das
Schreiben eines Romans
Von Ferdinand Blume-Werry
Schreibend
auf seinem Weg hin zur Erneuerung dessen, was wir unter einem Roman verstehen,
ging Lobo Antunes zuletzt so weit, dass er sein jüngstes, im vergangenen Jahr
in Portugal erschienenes Werk Não Entres
Tão Depressa Nessa Noite Escura wohlüberlegt als Poema bezeichnete. Zur Frankfurter Buchmesse ist nun die deutsche Übersetzung
erschienen, und wie zu erwarten war, wird das neue Buch „Geh nicht so schnell
in diese dunkle Nacht“ nicht als Gedicht, sondern als Roman bezeichnet. Es ist
auch ein Roman und kein Gedicht, doch muss man sich fragen, welches Ziel ein so
bedeutender Autor damit verfolgt, an dieser Stelle ein Verwirrspiel anzuzetteln.
Es dürfte mehr sein, als nur die Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen.
Der
Titel variiert ein Gedicht von Dylan Thomas: „Do not go gentle into that good
night“. Dieser Hinweis auf den walisischen Schrifsteller, bekannt für seine
gewagten Satzkonstruktionen, paradoxen Bilder und oftmals schwierigen Metaphern
in seiner Dichtung, ist mehr als nur eine Laune von Lobo Antunes. Titel und
Gattungsbezeichnung im Original sind ganz bewusst gesetzt. In mehreren seiner
Romane verweist der Autor nämlich durch seine Titel auf ganz bestimmte
Textformen: Explicação, Tratado, Manual,
Exortação (Erklärung, Traktat, Handbuch, lithurgische Mahnrede) und nun
erstmals auf eine Textform, die nicht unter der Bezeichnung Prosa läuft, Poema,
Gedicht. Dass die für die deutschen Titel gewählten Übersetzungen diese vom
Autor gewollten Hinweise z. T. vermissen lassen, ist freilich kein Versäumnis
der kongenialen Übersetzerin Maralde Meyer-Minnemann, die es auch diesmal
wieder meisterhaft verstanden hat, aus dem Sprachlabyrinth des portugiesischen
Originals die deutsche Fassung wahrlich hervorzuzaubern. Ich stelle mir besser
erst gar nicht vor, welche übersetzerischen Anstrengungen über sechshundert
Seiten hinweg notwendig gewesen sein mussten, um eine derart poetische und damit
dem Original dienende deutsche Fassung zu schreiben. – Den Kritikern
hierzulande, die selten einen Blick auf das portugiesische Original werfen,
entgeht damit ein wesentlicher Hinweis des Autors, wie er die vom ihm selbst
geforderte Aufgabe der Erneuerung des Romans vollzieht, nämlich auch, indem er
ständig unterschiedliche Textformen in seiner Prosa metasprachlich mit
einbezieht.
Diese
im Bewußtsein des Schreibenden verankerten Textformen scheinen das Schreiben
selbst zumindest mit zu beeinflussen. Das Ergebnis ist allerdings nicht die
Adaption einer ganz bestimmten Form, sondern vielmehr die Überwindung jeglicher
vorgegebener Formen, kurzum die intendierte sprachliche Erneuerung. So geht es
Lobo Antunes auch im Wesentlichen um die Sprache und die Art und Weise wie sie
wirkt und damit um Bewusstseinsprozesse. Nur so sind beispielsweise seine
Wiederholungen, Brechungen, Spiegelungen und Dopplungen zu verstehen, die dem
Leser von herkömlich erzählten Romanen oftmals Schwierigkeiten bereiten. Da
Sprache aber immer linear ist, Bewusstseinsprozesse jedoch nicht, ist es auch
folgerichtig, dass der Text Schnitte, Risse, Abbrüche und scheinbar
unvermittelte Fortführungen des Geschehens enthält, ebenso wie eng miteinander
verwobene Splitter aus unterschiedlichen Strukturen wie denen des Erinnerten,
Geträumten, Imaginierten oder tatsächlich Geschehenen: Bewusstseinsfacetten
also, die oftmals parallel und zeitgleich auftreten, bedingt durch die Linearität
von Sprache aber, notwendigerweise hintereinander stehen müssen, was zu
Irritationen führen kann. Lobo Antunes hält ein ganzes Repertoire solcher
Stilmittel bereit, setzt sie bewusst ein, um den Leser regelrecht um seinen
Verstand zu bringen bzw. um ihm zu verstehen zu geben, dass sich unser Leben
nicht eindimensional vollzieht, sondern eine vielschichtige Dimension des
Erfahrenen ist, inklusive jeglicher Möglichkeiten des Vorstellbaren.
Während
in früheren Romanen, etwa in Exortação
aos Crocodilos, mit verwirrend vielen Charakteren diese Ebenen durchgespielt
werden, reicht dem Autor in seinem neuen Buch nur eine einzige, das Geschehen
erzählende Person, Maria Clara; und
alles Geschehen in seiner sich überlagernden Vielstimmigkeit entspringt
zugleich Maria Claras Phantasie. Konsequent verfolgt der Autor hier seinen
poetologischen Ansatz weiter und es gelingt ihm eine meisterhafte Darstellung
dessen, zu was unser denkendes Bewusstsein fähig ist, zudem in einer Sprache,
die wirklich an gute Gedichte denken läßt.
„Geh
nicht so schnell in diese dunkle Nacht“ ist ein Imperativ, der uns gemahnen
soll, auch im Dunkeln zu verweilen, um das Licht der Sprache zu entdecken. Es
ist nicht auszudenken, was den Lesern bevorsteht, wenn uns Lobo Antunes
vielleicht eines Tages wirkliche Gedichte schenkt. Gelänge ihm die Kunst der
Reduktion und wollte er diese auch, so würde seine Poetologie jedenfalls der
Gedichtform nicht zuwiderlaufen, im Gegenteil, Gedichte wären die zwingendere
Form. Denn verfolgt man die Entwicklung des Autors kritisch, so kommt man nicht
umhin, inzwischen einen gewissen Manierismus festzustellen. – Es bleibt die
Frage, ob es Lobo Antunes gelingt, die von ihm geforderte Erneuerung des Romans
voranzutreiben. Ich meine ja, denn dieser Roman scheint mir in seiner erzählerischen
Struktur, unabhängig aller Inhalte, ein Buch zu sein, das uns mit künstlerischen
Mitteln darüber berichtet, wie ein Roman entsteht. Es ist, ohne es zu
thematisieren, ein Buch über das Schreiben, über die Welt der Fiktionen, deren
Verästelungen im Bewusstsein des Schreibenden, dessen Erfahrungen sich anhand
ganz konkreter Beobachtungen in einer an Bildern reichen Sprache niederschlagen.
Bibl.:
António
Lobo Antunes,
Geh nicht so schnell in diese dunkle Nacht, Roman
Aus
dem Portugiesischen übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann,
München
2001 (Luchterhand), ISBN 3-63087091-0,
590
Seiten, DM 49,80
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Portugal-Post Nr. 17 / 2002
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