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Bei den Gemeindewahlen am 16. Dezember hat sich mit den überraschend hohen Gewinnen der PSD in Portugal ein wahrer politischer Erdrutsch vollzogen. 
Premierminister António Guterres trat daraufhin mit seiner Regierung zurück und Staatspräsident Jorge Sampaio blieb nichts anderes übrig, als das Parlament 
aufzulösen und Neuwahlen für den 17. März anzusetzen. 

Dazu ein Kommentar unseres Mitarbeiters, Prof. José d'Encarnação von der Universität Coimbra :

Volkes Wille

Von José d’Encarnação *

 Es wird allgemein gesagt, dass in den westlichen Demokratien der Wille des Volkes sich in freien Wahlen manifestiert. Im Fall der Kommunalwahlen, die am 16. Dezember in Portugal stattfanden, drängen sich beim Betrachten der Wahlergebnisse zwei Schlüsse auf:

 1. Die starke Stimmenthaltung – sie betrug durchschnittlich 50% – zeigt, dass die Hälfte der portugiesischen Bevölkerung sich wenig für Politik interessiert, inklusive für die Politik, die mit ihren täglichen Bedürfnissen zu tun hat, denn es ging ja um die Wahl der Stadt- und Bezirksparlamente, d.h. Organe, von denen in erster Linie das tägliche Wohlergehen der Leute abhängt.

 2. Diejenigen, die zu den Urnen schritten, wählten gewissenhaft – es gab wenig ungültige oder leere Stimmzettel – und mit der klaren Absicht, der Regierung, in der Sprache des Fußballs ausgedrückt, die „rote Karte“ zu zeigen. So entschied sich die gemäßigtere Wählerschaft für die Sozialdemokratische Partei (PSD), anzusiedeln im „linken Zentrum“ der üblichen politischen Landschaft; die „Linke“ wählte klar PS (Sozialistische Partei), um der „Rechten“ auszuweichen. So kam es, dass die von der Kommunistischen Partei geführte Koalition (CDU) deutlich abgenommen hat und die Partei des Sozialdemokratischen Zentrums/Volkspartei (CDS/PP) keine größere Anhängerschaft um sich scharen konnte außer an Orten, wo sie als Koalitionspartner der PSD auftrat.

 Ein dermaßen für die PSD günstiges Ergebnis war nicht zu erwarten und es war auch nicht beabsichtigt, dass aufgrund dieses Ergebnisses der Premierminister seinen Rücktritt beim Präsidenten der Republik einreichte, dem sich unter diesen Umständen keine andere Alternative bot, als das Gesuch anzunehmen. Man hatte die „rote Karte“ gezeigt; aber die Idee war, dass die PS in diesem Spiel auf Regionalebene nicht weiterspielen sollte, mehr nicht. Für die PSD war die Gelegenheit noch nicht günstig genug, um sich Parlamentswahlen zu stellen; die Bevölkerung war noch nicht hinreichend von der Bedeutung eines Wechsels überzeugt, zumal der augenblickliche Führer der PSD, Durão Barroso, noch keine Zeit fand, sich mit dem Charisma zu präsentieren, das nun einmal – ob wir es wollen oder nicht – für die Aufgaben eines Staatchefs stets vonnöten ist.

 Wahr ist, dass ein wahres politisches „Erdbeben“, wie es genannt wurde, zu verzeichnen ist, so überraschend kamen die Siege:

 in Lissabon, das sehr umkämpft war und wo die PS hoch reizte, einschließlich der Beschwörung des „Gespenstes der Rechten“, falls Santana Lopes, der PSD-Kandidat gewinnen würde; übrigens ein Ergebnis, das erst spät in der Nacht feststand und das ganze Land in großer Spannung hielt;

in Porto, wo Herrschaft der PS als sicher galt;

in Sintra, wo Edite Estrela, eine den Fernsehkreisen sehr verbundene Figur, verkündete, dass sie nur Angst habe vor der Stimmenthaltung – und diese wandte sich in der Tat gegen sie;

in Coimbra der Universitätsstadt par excellence, wo trotz allem die zum Schluss herrschende Unentschlossenheit den Ausschlag nach links hätte geben können;

in Setúbal, Hafenstadt und drittgrößter Stadt des Landes, mit einer großen Tradition des Kampfes der Arbeiterschaft, wo die CDU ein sozialistisches Rathaus zurückgewann;

in Faro, Hauptstadt des Algarve, wo sich die Alternative PSD nicht als besonders glaubwürdig präsentierte...

 Der Fall Cascais, kosmopolitische Gemeinde nahe Lissabon, ist unter diesem Aspekt bezeichnend. Der frühere Bürgermeister, schlecht beraten von seiner Umgebung, hatte die Region im Chaos versinken lassen. Das betrifft die Zufahrtswege und die Bauwut, wobei er immer deutlich die Interessen der großen Städtebau-Unternehmer vertreten hat. Und er hatte sich sowohl von der Bevölkerung entfernt als auch von der Parteibasis, die ihn gewählt hatte. Er ließ sich nicht wieder aufstellen, und dem von der Lissabonner Parteihierarchie vorgeschlagene Spitzenkandidat gelang es nicht, die Begeisterung der Wähler zu wecken, denn trotz seiner engen Bindungen zur Regierung besaß er keinerlei „Wurzeln“ zu Cascais, das er übrigens erst jetzt kennen lernte. Es war also normal, dass der Kandidat der Rechten, António Capucho, „Sohn der Stadt“ die Wahl gewann. Es war jedoch niemals zu erwarten, dass er mit solch großem Vorsprung gewinnen würde (von den 11 Sitzen im Stadtrat erzielte er 7, die PS nur 3, die CDU 1), vor allen Dingen wenn man bedenkt, dass sowohl der Kandidat der CDU, Dinis de Almeida, ein capitão de Abril1, als auch der Kandidat des Linksblockes (BE) starke Sympathien genossen. Hier spielte die Frage der„Nützlichkeitswahl“ eine wichtige Rolle.

 Die Wahlen zum Parlament sind für den 17. März anberaumt. Bis dahin verfügt Portugal über eine „geschäftsführende“ Regierung, und was alle erwarten ist, dass die Vernunft walten möge und ein gewisser Patriotismus (unabhängig von dem negativen Beigeschmack, den man diesem Begriff zuzuweisen pflegt), damit der neuen Regierung sich nicht – so wie es in vielen Regierungsbezirken jetzt geschehen ist – das traurige Schauspiel darbietet, dass man eine radikale „Politik der verbrannten Erde“ betrieben hatte.


* José d’Encarnação ist Historiker und Journalist. Er lebt in Cascais und lehrt an der Universität Coimbra. Den vorstehenden Artikel hat er exklusiv für die Portugal-Post geschrieben
1 Die capitães de Abril waren die Hauptleute, welche die sog. Nelkenrevolution vom 25. April 1974 inszenierten




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Portugal-Post Nr. 17 / 2002