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Al-Andalus
Die muslimische Herrschaft über Teile der Iberischen Halbinsel

Von Renate Petriconi *

 Gleichzeitig gedenken Portugal und Spanien ihrer muslimischen Vergangenheit, Portugal mit einem Briefmarkensatz und einem empfehlenswerten Begleitbuch A Herança Árabe em Portugal der Reihe der CTT Correios de Portugal und Spanien mit einer Ausstellung über die Kunst der Kalifendynastie der Omaijaden in der 7 Kilometer westlich von Córdoba gelegenen ehemaligen Palaststadt Madinat  az-Zahra. 

Im Jahre 711 drangen arabisch-berberische Truppen mit 7.000 Mann an der Meerenge von Gibraltar in den bereits christianisierten, von den Westgoten beherrschten Teil der Iberischen Halbinsel ein. Ihr Anführer Musa ibn Nusair besiegte nach einer siebentägigen Schlacht den Gotenkönig Roderich am Guadalete bei Jerez de la Frontera. Nusair drang bis Toledo vor und hatte 714 den wesentlichen Teil der Halbinsel unterworfen. Der Widerstand der leibeigenen Landbevölkerung und der bereits seit der Christianisierung (589) verfolgten Juden war unter dem umstrittenen, neu ernannten König Roderich sehr schwach, so dass die Vorstöße bis über die Pyrenäen hinaus nach Südfrankreich unternommen wurden und erst 732 mit der Schlacht von Poitiers durch den Franken Karl Martell ein Ende fanden. Die Araber bezeichneten diese jeweils eroberten Gebiete als al-Andalus. Der Name geht vermutlich auf das gotische „landahlauts“ (landlos) als abgeleitete berberische Form des Namens der Vandalen zurück. 

Zu dieser Zeit wechselten die arabischen Gouverneure auf der Halbinsel rasch. Es herrschte eine über Jahre andauernde Hungersnot und gespannte, teils chaotische Verhältnisse zwischen den an den Eroberungen beteiligten Berbern und Neubekehrten. Diese Situation nutzte der Omaijade Abdarrahman I (756-788), der 750 nach Spanien geflohen und so der nahezu völligen Ausrottung seiner Familie in Damaskus entkommen war, geschickt aus und errichtete 756 ein selbständiges Emirat mit der Hauptstadt Córdoba. Dieses Emirat wurde von ihm und seinem Enkel al-Hakam I (796-822) ausgebaut und gefestigt. 

In der Zwischenzeit begann im höchsten Norden der Halbinsel die Rückeroberung durch die Christen, die sogenannte Reconquista. 717/18 wurde unter den Goten Asturien und Kantabrien befreit. Um das 9. Jahrhundert verlief die Grenze bereits am Douro und am Fuß der Pyrenäen. Einerseits machte die Arabisierung und kulturelle Orientalisierung des Landes  unter Emir Abdarrahman II (822-852) gewaltige Fortschritte. Andererseits blieb jedoch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung seinem Glauben und seiner romanischen Sprache treu. Man nannte sie Mozaraber,  steuerzahlende Christen, die sich zwar dem arabischen Einfluss öffneten, jedoch ihre juristischen und religiösen Institutionen beibehielten. Amts- und Bildungssprache war das Arabische. Im 9. und 10. Jahrhundert brachen erneut Aufstände zwischen Muslimen und Mozarabern aus, und nur mit der unbeugsamen Härte Abdallahs (888-912) war es möglich, das brüchige Staatengebilde zu retten. Unter seinem Enkel Abdarrahman III (912-961) und dessen Sohn al-Hakam II (961-976) erlebte das Reich nunmehr seine absolute Blütezeit. Abdarrahman III machte sich 929 von Bagdad unabhängig und proklamierte sich zum Kalifen, mit dem Titel „Beherrscher der Gläubigen“. Als Regierungssitz erbaute er Madinat az-Zahra,  in der Nähe von Córdoba. Unter dem minderjährigen Hisam II (976-1009) ergriff der Palastverwalter al-Mansur die Macht und wurde de facto zum absoluten Herrscher. Er führte gegen die christlichen Reiche 57 verlustreiche Feldzüge bis weit in den Norden und zerstörte 997 Santiago de Compostela. Nach seinem Tode setzte ein rascher Verfall ein, das Omaijadenreich endete 1031, und in al-Andalus machten sich Teilkönige mit Kleinkönigreichen, den Taifas, selbständig. Dieser Periode politischer Ohnmacht stand jedoch eine blühende höfische Kultur gegenüber. 

1042 wurde mit den Bauarbeiten am Alcázar (Festung, Königspalast) von Sevilla und 1062 von Málaga begonnen. Unter Alfons VI von León-Kastilien gelang den Christen 1085 der Fall Toledos. Nach abermaligen Rückschlägen der Reconquista eroberte Ferdinand III weitreichende Gebiete wie 1236 Córdoba und 1248 Sevilla und das Königreich Valencia fiel 1238-41 durch Jakob I von Aragón. Die letzte arabische Bastion Granada wurde 1491/92  nach langjährigen erbitterten Schlachten unter den katholischen Königen Ferdinand und Isabella übergeben. Die nicht ausgewanderten Muslime wurden wenig später zwangsgetauft (Moriscos). Die seit Jahrhunderten laut Verträgen in Kastilien und Aragón lebenden Mudejares (steuerzahlende Muslime unter christlicher Herrschaft) wurden den Moriscos gleichgestellt und zwischen 1609 und 1612 unterschiedslos, sofern sie der Inquisition entgangen waren, nach Nordafrika zwangsausgesiedelt. 

Wie die Karten der Halbinsel verdeutlichen, war Portugal in den heutigen Grenzen zeitweise ganz unter maurischer Herrschaft. Die Provinz Algarve, von den Muslimen al-Gharb genannt, zählte zu ihrem ersten und gleichzeitig letzten Territorium Portugals. Als Hauptstadt dieser Provinz wählten sie Silb, das heutige Silves. Man stelle sich vor, während seiner Blütezeit hatte der Ort etwa 30.000 Einwohner, mehr als 20 Moscheen und einen großen Flusshafen. Silb soll sogar nach Chronisten des 12. Jahrhunderts ein geistiges und kulturelles Zentrum gewesen sein und wurde von Schreibern Córdoba und Granada gleichgestellt. Nach 1250 verblasste der einstige Glanz der Stadt schnell. Dafür sind zwei ganz unterschiedliche Gründe verantwortlich. Der Bischofssitz wurde nach Faro verlegt und, wie nahezu der gesamte Küstenbereich, wurde auch Silves durch das verheerenden Erdbeben von 1755 zerstört. Heute zählt Silves jedoch wieder zu einem der schönsten Orte des Algarve. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Mauren war Tavira. Diese Siedlung wurde des bedeutenden Hafens wegen so stark befestigt, dass die Einnahme erst 1242 gelang. Auch diese Stadt zerstörte das Erdbeben von 1755 ganz und der einstige  Hafen versandete. Die Rückeroberung Portugals in den heutigen Grenzen vom Norden ausgehend war erst unter Mithilfe des Ritterordens von Santiago mit der Eroberung der Provinz Algarve durch König Alfonso III um 1250 abgeschlossen. 

Nacheinander gelang unter den verschiedenen Königen die Rückeroberung des heutigen Portugals:

1040

Fernão I *

Braga

1050

 

Porto

1064

 

Coimbra

1147

Afonso Henrique

Lissabon, Santarém, Sintra

1158

 

Alcácer do Sal erobert

1165

 

Évora

1217

Afonso II

Alcácer do Sal endgültig

1242

Sancho II

Tavira

um 1245

 

Beja

1249

Afonso III

Faro

vor 1250

 

Silves

*König von Kastilien-León

 

Der maurische Einfluss lässt sich heute noch besonders in der Provinz Algarve in der Landwirtschaft, den Bauwerken und den Speisen nachweisen. Zum einen kennen wir die vielen Ortsnamen mit der Silbe „al“, wie Aljezur, Almansil, Albufeira und nicht zuletzt Algarve, zum anderen wurden eine Vielzahl an Lehnwörtern in die portugiesische Sprache aufgenommen, wie zum Beispiel alcachofra, alcatifa, aldeia, alecrim, alfândega, algodão, almofada, armazém, arroz, azeite, açúcar, cabide, camisa, faquir, fatia, guitarra, jarra, laranja, marfim, nafta, quintal, recife, sofá, tambor, taça, xadrez – um nur einige zu nennen. 

Wenn man von islamischer Kunst und Architektur in al-Andalus spricht, sind damit nicht nur jene Ausdrucksformen zu verstehen, die religiösem Kult dienten. Der Begriff islamische Kunst bezieht sich auf eine kreative  Einheitlichkeit einer Zivilisation von enormer Ausbreitung, die sich nicht an einer geographischen Region festmachen lässt. Das heißt, der Islam brachte entsprechend der regionalen und lokalen Ausprägung unterschiedliche, jedoch in ihren Grundstrukturen gleichartige islamische Kunst hervor. Dabei kommt der Ornamentik, die am meisten zur Einheit beigetragen hat, eine bedeutende Rolle zu. Gleiche dekorative Motive finden sich in der Architektur an Moscheen und Palästen, im Kunstgewerbe und dem Ausmalen von Schriften unabhängig vom verwendeten Material. Durch die Wiederholung meist geometrischer Motive, denen eine mathematische Genauigkeit zugrunde liegt,  und einer ausgewogenen Kombination von Materialien wird vielfach die Wirkung einer Dreidimensionalität erreicht. Nicht zuletzt dieses Ausdrucksmittel verleiht den Gebäuden ihren Zauber, dabei sind Licht und Wasser ein Schlüsselelement. Gebäude und Gegenstände werden im Formenspiel über und über durch Arabesken mit eingeflochtenen Kalligraphien und stilisierten Sternen- und Pflanzenmotiven bedeckt. Eine bedeutende Rolle spielten die Azulejos sowie unterschiedliche Torbögen in etwa achtzehn Bogenformen und das Zwillingsfenster arabischer Herkunft. Ein weiteres charakteristisches Dekorationselement innerhalb der Architektur sind die Muqarnas, wabenartige, stalaktitengleiche Innengestaltungen aus Stuck oder Holz, die den oberen Ecken und Gewölben ein überaus filigranes Aussehen verleihen. 

Dass der Islam figürliche Darstellungen verbiete, wird an zahlreichen Haushaltsgegenständen, die mit menschlichen und tierischen Figuren dekoriert sind, widerlegt. Der Islam rät lediglich von ihnen ab, denn die Gottheit verliere durch die figurative Darstellung ihren immateriellen Charakter. Daher sind an sakralen Einrichtungen keine Figuren zu finden. Innerhalb der dekorativen Kunst sind besonders die wundervoll geschnitzten Elfenbeinschatullen, Büchsen und Holzarbeiten mit teilweisen Intarsien, die kunstvoll  gestalteten Mörser, Räucherpfannen und Mauerbeschläge aus Bronze, die Keramiken mit irisierender Glasur, die Becken für rituelle Waschungen, der filigrane Goldschmuck, die schleierartigen  Seidengewebe und -stickereien und die prachtvoll gebundenen, ausgemalten Schriften hervorzuheben. 

Wichtigstes religiöses Gebäude ist die Moschee, deren Ursprung im Hause Mohammed liegt. Das einfache Schema eines überdachten Hauses entwickelte sich über die Jahrhunderte zu drei wesentlichen Typen: der Hof-, Schul- und Kuppelmoschee mit einem nahezu einheitlich nach Mekka ausgerichteten Mihrab, der Gebetsnische. Der überdachte Teil der Moschee besteht meist aus einer weiten Säulenhalle. deren Schiffe quer zur Wand des Mihrab verlaufen. Die äußeren Schiffe sind oft so verlängert, dass sie den Innenhof mit dem Reinigungsbrunnen umgeben. Gemeinsam ist ferner ein überragendes Minarett, von dessen Plattform der Muezzin fünf Mal am Tage zum Gebet ruft. Die größte Moschee der Iberischen Halbinsel ist die von Córdoba. 

In Portugal sind Reste einer Moschee heute noch in Mértola zu finden. Die Pfarrkirche (Igreja Matriz)  wurde auf Teilen einer ursprünglich bedeutenden Moschee aus dem 13. Jahrhundert mit quadratischem Grundriss und vielen Pfeilern errichtet. Maurische Zinnen, Kegel am Dachansatz und der gedrungene Seitenturm geben dem Bau sein markantes Äußeres. Nach der Vertreibung der Mauren wurde der Bau größtenteils im 16. Jahrhundert als christliche Kirche umgewandelt. Auch das Innere weist auf seine ursprüngliche Bestimmung hin. So erkennt man den Mihrab hinter dem Hochaltar und einen Hufeisenbogen über der Tür zur Sakristei. 

Ein weiteres Merkmal hispano-muslimischer Architektur sind die Bäder oder Hamans. Diese Nachfolger der klassischen Thermen bestehen aus mehreren aufeinander folgenden Räumen in denen die Temperatur anstieg. Allein in Córdoba waren zu Zeiten des Kalifats 600 öffentliche Bäder. Der Alcázar war eine Verteidigungsanlage und birgt in seinem Inneren verschwenderisch,  prachtvolle Paläste. 

Obwohl an dieser Stelle Historie, Kunst und Kultur von al-Andalus nur gestreift werden können, wäre dieser Beitrag unvollständig ohne auf die wissenschaftlichen Errungenschaften und das kulturelle Erbe einzugehen. Entsprechend der vom Propheten gesammelten und streng befolgten Traditionen waren Erziehung und Wissenschaft von Beginn an Grundpfeiler der islamischen Weltanschauung: „Strebe nach dem Wissen von der Wiege bis zum Grabe“. Die arabische Sprache war Inbegriff von Verfeinerung und Gelehrsamkeit, ungeachtet dessen, dass Bevölkerungsteile ihre romanische Sprache pflegten. Prosa und Dichtung waren von den kunst- und naturliebenden Bewohnern hochgeschätzt. Emire und Kalifen wie Abdarrahman II, sein Enkel sowie dessen Sohn al-Hakam II waren selbst bedeutende Gelehrte. Sie veranlassten die Übersetzung der griechisch-hellenistischen Philosophie, die auf diesem Umweg nach Europa zurückkam. Obwohl die Epoche der Taifa-Königreiche ein politisches Chaos war, bewirkte es eine Dezentralisierung des Wissens, das bisher ausschließlich in Córdoba konzentriert war. Der untereinander ausgetragene Streit ging auch um den höchsten Grad an Weisheit und gelehrtesten Hofstaat und brachte bedeutende Dichter, Geschichtsschreiber und Philosophen  hervor. 

Innerhalb der Naturwissenschaften waren sie in Mathematik, Astronomie, Medizin, Botanik und Agronomie führend. Mit Hilfe hochentwickelter Astrolabien wurde der Lauf der Sterne und Planeten äußerst genau beschrieben. Erst mit der Einführung der arabischen Zahlen und der 0 – in al-Andalus 976 belegt – konnte in unserem Sinn gerechnet werden. Ihre Erkenntnisse begannen das damalige Weltbild zu verändern. Die Forschungen hatten Einfluss auf Europa und ihre Schriften wurden bis ins 17. Jahrhundert hinein von Gelehrten studiert. In vielfacher Weise hat al-Andalus als Vermittler sowohl der östlichen als auch der Kulturen des westlichen klassischen Altertums gewirkt. 

Al-Andalus war also zeitweise eine Stätte hoher künstlerischer und wissenschaftlicher Errungenschaften, mit einem Alltagsleben in strukturierten städtischen Gesellschaften, einer entwickelten Landwirtschaft, hochkomplexem Justizwesen, großem Wohnkomfort mit geregelter Kanalisation, Wasserversorgung, Bädern und Straßenbeleuchtung, eine Entwicklungsstufe, von der die Christen noch weit entfernt waren.


* PHG-Mitglied, lebt und arbeitet in Praia da Luz. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. in dem Monatsheft „Entdecken Sie Algarve“, dessen September-Ausgabe wir diesen Artikel, mit freundlicher Genehmigung und durch die Autorin in leicht abgewandelter Form für die PHG, übernehmen




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Portugal-Post Nr. 16 / 2001


Diese Elfenbeinpyxis (Deckeldose) aus dem Besitz des Regenten Abd al-Malik ist heute im Bestand des Museums der Kathedrale von Braga (zwischen 1005 und 1008, 20 x 10 cm)






Die Entwicklung des muslimischen Territoriums in al-Andalus