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BENIDORM 1975

Von Jürgen Vieth *

Frühling 1971: zum ersten Mal in unserer Wohnung in dem ehemaligen Bauernhaus, das wir zusammen  mit unseren Familienangehörigen  unter dem originellen Namen Casa branca nahe der Ortschaft  Vale de Rabelho/Parra gekauft hatten.. Schon der Weg dorthin war abenteuerlich: der Anflug mit einer Caravelle der LTU  auf den mitten in den Salinen  der Ria Formosa gelegenen Flughafen von Faro  war ein unvergessliches Erlebnis: nichts als Natur und mittendrin eine Landebahn nebst einem kleinen Flughafengebäude, an dessen Mauer  ein patriotischer Spruch angebracht war: „Pela pátria...“

Immerhin: ein Taxifahrer war zur Stelle, dem wir anhand von genauer Land- und Flurkarte die Lage des Hauses ca. 7 km westlich von Albufeira zeigen mussten, denn den Namen der Ortschaft hatte er noch nie gehört. Auf der alten Nationalstraße Faro-Portimão dann ein ungewohntes Bild: überall schwarz gekleidete Bewohner, die sich auf ohrenbetäubenden Mopeds, in einigen rasenden Autos und auf vielen gemächlich dahin zottelnden Eselskarren fortbewegten.

Dann bogen wir ab nach Albufeira, quälten uns durch die verstopfte Innenstadt mit ihren winkligen Gassen in Richtung Friedhof. Dort dann weiter auf einer kleinen Landstraße Richtung Westen, aber aufgepaßt: links am Ausgang von Vale de Parra (gleich hinter der Dorfschule) sollte dann ein kleiner Feldweg Richtung Casa Branca abgehen: immer einer kleinen weiß gestrichenen Mauer entlang. So hatte es unsere Cousine Gerda, die in Lissabon lebte und mit uns das Haus gekauft hatte, auf einem Begleitzettel zur Flurkarte aufgeschrieben. Leider nur auf deutsch!

Die Fahrt ging dann auf einem holprigen Weg an einem kleinen Flugfeld vorbei (heute Teil des Golfgebiets Salgados). Kurz danach: große Begeisterung und Erleichterung : einen halben Kilometer weiter befand sich doch tatsächlich eine große, allein stehende Pinie, auf deren Stamm meine Cousine mit dicker schwarzer Farbe C.B. aufgemalt hatte!

Wir waren also richtig und der Taxifahrer sichtlich beruhigt, denn seine uns unverständlichen Kommentare ließen uns ein abruptes Ende der Fahrt befürchten, denn nicht nur er, sondern vor allem sein Mercedes litt offensichtlich unter der beschwerlichen Fahrt. Endlich lief die Sandpiste auf die auf dem Plan eingezeichneten zwei Bauernhäuser zu, aus denen uns mehrere kläffende Köter entgegengerannt waren, deren Besitzer unserer Ankunft ob der willkommenen Abwechslung erwartungsvoll entgegensahen. Aber es gab noch zwei weitere Bauernhäuser einige Hundert Meter weiter. Eines davon, in einer Talsenke gar nicht zu sehen: die Casa Branca.

Als der Taxifahrer die letzten 30 m die Steigung auf einem von Eselskarrenrädern zerfurchten Weg hinunterfahren sollte, streikte er, laut um seinen guten alten Mercedes klagend.(Das einzige Wort , das wir verstanden). Nun gut, wir also unser Gepäck genommen und zu Fuß zum Haus, aus dessen hinterem separaten Teil Inácia und Joaquim laut gestikulierend und rufend zu unserer Begrüßung kamen. Erfreulicherweise lud die Bäuerin uns gleich zum Abendessen ein, denn das nächste Restaurant war in Albufeira oder im 5 km entfernten Armação de Pera, der nächste Gemischtwarenladen im ca. 2 km entfernten Vale de Parra, zu dem ein schmaler Feldweg führte, den wir im Laufe der Jahre so manches Mal schwer bepackt mit unseren Einkäufen in brütender Hitze gegangen sind.

In den nächsten Tagen erkundeten wir dann auch die wunderbare Umgebung des Hauses, das nur ca. 350 m von einem atemberaubend schönen 5 km langen Sandstrand, der Praia da Galé, liegt, die im Westen in Armação de Pera endet. Das war damals noch ein verschlafenes Nest, das aber immerhin schon 2 oder 3 Restaurants besaß und ein „Kurhaus“ mit Promenade direkt am Meer, dessen Einweihungstafel aus dem Jahr 1968 dem Ort eine große touristische Zukunft voraussagte. Darüber konnte der Besucher der frühen 70er Jahre nur lächeln...

Gen Osten nach Albufeira erstreckte sich von der Praia da Galé die herrliche Klippenlandschaft mit den vielen kleinen Badebuchten und keiner Menschenseele weit und breit... Auf dem Weg zum Strand ein kleiner Feldweg von Feigenbäumen gesäumt, vorbei an einem großen mit Weinstöcken bepflanzten Grundstück , auf das sich ein deutsches Ehepaar eine Gartenlaube gesetzt hatte. Ein paar Hundert Meter weiter, auf der anderen Seite des Rabelho, der dort bei Regenzeit ins Meer floss: die Villa Dusica des gleichnamigen österreichischen Radrennfahrers, die später von Dagmar Koller und ihrem Ehemann, dem ehemaligen Wiener Bürgermeister, Dr.Zilk, gekauft wurde. Ansonsten kein Haus weit und breit...

In dieser herrlichen Idylle verbrachten wir viele Sommer ohne elektrisch Licht oder fließend Wasser. Letzteres holten wir aus der riesigen Zisterne der Casa Branca, die auch heute noch ihre Dienste leistet. Eines Tages beschlossen wir dann aber, unseren Urlaub in der „Zivilisation“ mit Bedienung und Komfort zu verbringen und buchten, na, ja, der Titel verrät es schon, ein Hotel in Benidorm, Spanien. Das Hotel stand neben vielen anderen, umgeben von Ferienwohnungsanlagen. Aber mitten zwischen ihnen lag, halb durch eine riesige Pinie verdeckt, ein kleines, weiß getünchtes, flaches, ehemaliges Bauernhaus, das unserer Casa Branca verblüffend ähnlich sah und auf das wir von unserem Hotelfenster hinuntersahen.

Aus Spaß haben wir damals gesagt, dass wir später als Rentner in unserer Casa Branca sicherlich auch in der Nähe von einer Tourismusanlage leben würden, was 1975 völlig absurd schien. Heute sehen wir auf ein großes Hotel, das sich glücklicherweise mehr als 100 m von uns befindet und von unserem schattigen Pinienplatz aus erfreulicherweise nicht einsehbar ist. Ferienhäuser und -wohnanlagen befinden sich jetzt ebenfalls in großer Anzahl in dem neu entstandenen Ort Praia da Galé.

1989 hatte das Parlament in Lissabon dem ungezügelten Bauboom im Algarve einen Riegel vorgeschoben, aber heute befinden sich wieder Flächen im Bebauungsplan, die damals herausgenommen wurden. Die schlimmste Fehlentwicklung wurde in der Lagunen- und Dünenlandschaft Salgados zwischen Praia da Galé und Armação de Pera eingeleitet, die noch bis in die 80er Jahre unter Naturschutz stand, wegen ihrer Bedeutung als Vogelschutzgebiet, das im Frühjahr und Herbst von den Zugvögeln auf dem Weg von oder nach Afrika frequentiert wurde. Dort wird eine Edelbebauung neben dem gleichnamigen Golfplatz projektiert...

In den letzten 30 Jahren haben wir eine atemberaubende Entwicklung im Algarve gesehen.

Die Einheimischen, die wir kennen, sind von dieser im allgemeinen sehr angetan und haben von ihr praktisch alle profitiert, indem sie als Restaurantbesitzer, Autoverleiher, Boutiquenbetreiber oder Landverkäufer heute ein Leben führen, von dem Inácia und Joaquim nur den Anfang mitbekommen hatten. Häufig hatten diese uns vor unserem Abflug am Ende der Urlaubszeit gesagt, wie schön wir es doch hätten, in eine Stadt zurückzukehren, in der wir jeglichen Komfort und eine Infrastruktur mit Einkaufs- und Versorgungsmöglichkeiten (Ärzte, Schulen usw.) hätten nebst guten Verdienstmöglichkeiten, während sie auf kleinstem Landbesitz nur ein äußerst bescheidenes Leben führten.

Diese Sicht der Dinge erleichterte uns, den Massentourismus mit seinen Begleiterscheinungen trotz aller – vor allem ökologischer Bedenken – gelassener hinzunehmen. Um unsere Casa Branca herum hat sich erfreulicherweise nicht so viel verändert. Wie es damals 1975 in Benidorm das idyllisch gelegene Haus gab, das allen Veränderungen trotzte, so haben wir noch heute unser Refugium mit seiner großen Terrasse, dem schattigen Pinienplatz und der großen Zisterne, in der zwar keine Tote liegt, wie in dem Kriminalroman, deren Wasser aber genügt, um die Pflanzen auf dem Grundstück zu begießen.


* Hamburger Lehrer




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Portugal-Post Nr. 16 / 2001