Frühling
1971: zum ersten Mal in unserer Wohnung in dem ehemaligen Bauernhaus, das wir
zusammen mit unseren Familienangehörigen unter dem originellen
Namen Casa branca nahe der Ortschaft Vale de Rabelho/Parra gekauft
hatten.. Schon der Weg dorthin war abenteuerlich: der Anflug mit einer Caravelle
der LTU auf den mitten in den Salinen der Ria Formosa gelegenen
Flughafen von Faro war ein unvergessliches Erlebnis: nichts als Natur und
mittendrin eine Landebahn nebst einem kleinen Flughafengebäude, an dessen Mauer
ein patriotischer Spruch angebracht war: „Pela pátria...“
Immerhin:
ein Taxifahrer war zur Stelle, dem wir anhand von genauer Land- und Flurkarte die Lage des Hauses ca. 7 km
westlich von Albufeira zeigen
mussten, denn den Namen der Ortschaft hatte er noch nie gehört. Auf der alten
Nationalstraße Faro-Portimão dann ein ungewohntes Bild: überall schwarz
gekleidete Bewohner, die sich auf ohrenbetäubenden Mopeds, in einigen rasenden
Autos und auf vielen gemächlich
dahin zottelnden Eselskarren fortbewegten.
Dann
bogen wir ab nach Albufeira, quälten uns durch die verstopfte Innenstadt mit ihren winkligen Gassen in Richtung
Friedhof. Dort dann weiter auf einer kleinen Landstraße Richtung Westen, aber
aufgepaßt: links am Ausgang von Vale de Parra (gleich hinter der Dorfschule)
sollte dann ein kleiner Feldweg Richtung Casa Branca abgehen: immer einer
kleinen weiß gestrichenen Mauer entlang. So hatte es unsere Cousine Gerda, die in Lissabon lebte und mit uns das
Haus gekauft hatte, auf einem Begleitzettel zur Flurkarte aufgeschrieben. Leider
nur auf deutsch!
Die
Fahrt ging dann auf einem holprigen Weg an einem kleinen Flugfeld vorbei (heute
Teil des Golfgebiets Salgados). Kurz danach: große Begeisterung und
Erleichterung : einen halben Kilometer
weiter befand sich doch tatsächlich eine große, allein stehende Pinie, auf
deren Stamm meine Cousine mit dicker schwarzer Farbe C.B. aufgemalt hatte!
Wir
waren also richtig und der Taxifahrer sichtlich beruhigt, denn seine uns unverständlichen
Kommentare ließen uns ein abruptes
Ende der Fahrt befürchten, denn nicht nur er, sondern vor allem sein Mercedes
litt offensichtlich unter der beschwerlichen Fahrt. Endlich lief die Sandpiste
auf die auf dem Plan eingezeichneten zwei Bauernhäuser zu, aus denen uns mehrere kläffende Köter
entgegengerannt waren, deren
Besitzer unserer Ankunft ob der willkommenen Abwechslung erwartungsvoll
entgegensahen. Aber es gab noch
zwei weitere Bauernhäuser einige
Hundert Meter weiter. Eines davon, in einer Talsenke gar nicht zu sehen: die
Casa Branca.
Als
der Taxifahrer die letzten 30 m die Steigung auf einem von Eselskarrenrädern
zerfurchten Weg hinunterfahren sollte, streikte er, laut um seinen guten alten Mercedes klagend.(Das einzige Wort , das wir
verstanden). Nun gut, wir also unser Gepäck genommen und zu Fuß zum Haus, aus
dessen hinterem separaten Teil Inácia und Joaquim laut gestikulierend und rufend zu unserer Begrüßung
kamen. Erfreulicherweise lud die Bäuerin uns gleich zum Abendessen ein, denn das nächste Restaurant war in Albufeira oder im 5 km entfernten Armação
de Pera, der nächste Gemischtwarenladen im ca. 2 km entfernten Vale de Parra,
zu dem ein schmaler Feldweg führte, den wir im Laufe der Jahre so manches Mal schwer bepackt mit unseren Einkäufen in brütender Hitze gegangen sind.
In
den nächsten Tagen erkundeten wir dann auch die wunderbare Umgebung des Hauses,
das nur ca. 350 m von einem atemberaubend schönen 5 km langen Sandstrand, der Praia
da Galé, liegt, die im Westen in Armação de Pera endet. Das war damals
noch ein verschlafenes Nest, das aber immerhin schon 2 oder 3 Restaurants besaß
und ein „Kurhaus“ mit Promenade direkt am Meer, dessen Einweihungstafel aus
dem Jahr 1968 dem Ort eine große touristische Zukunft voraussagte. Darüber
konnte der Besucher der frühen 70er Jahre nur lächeln...
Gen
Osten nach Albufeira erstreckte sich von der Praia da Galé die herrliche
Klippenlandschaft mit den vielen kleinen Badebuchten und keiner Menschenseele
weit und breit... Auf dem Weg zum Strand ein kleiner Feldweg von Feigenbäumen
gesäumt, vorbei an einem großen mit
Weinstöcken bepflanzten Grundstück , auf das sich ein deutsches Ehepaar eine
Gartenlaube gesetzt hatte. Ein paar Hundert Meter weiter, auf der anderen Seite
des Rabelho, der dort bei Regenzeit ins Meer floss: die Villa Dusica des
gleichnamigen österreichischen Radrennfahrers, die später von Dagmar Koller
und ihrem Ehemann, dem ehemaligen Wiener Bürgermeister, Dr.Zilk, gekauft wurde.
Ansonsten kein Haus weit und breit...
In
dieser herrlichen Idylle verbrachten wir viele Sommer ohne elektrisch Licht oder
fließend Wasser. Letzteres holten wir aus der riesigen Zisterne der Casa Branca, die auch heute noch
ihre Dienste leistet. Eines Tages beschlossen wir dann aber, unseren Urlaub in der „Zivilisation“ mit Bedienung und Komfort zu verbringen und
buchten, na, ja, der Titel verrät es schon, ein Hotel in Benidorm, Spanien. Das
Hotel stand neben vielen anderen, umgeben von Ferienwohnungsanlagen. Aber mitten
zwischen ihnen lag, halb durch eine riesige Pinie verdeckt, ein kleines, weiß
getünchtes, flaches, ehemaliges Bauernhaus, das unserer Casa Branca
verblüffend ähnlich sah und auf das wir von unserem Hotelfenster
hinuntersahen.
Aus
Spaß haben wir damals gesagt, dass wir später als Rentner in unserer Casa
Branca sicherlich auch in der Nähe von einer Tourismusanlage leben würden, was 1975 völlig absurd schien. Heute sehen wir auf ein großes
Hotel, das sich glücklicherweise mehr als 100 m von uns befindet und von
unserem schattigen Pinienplatz aus erfreulicherweise
nicht einsehbar ist. Ferienhäuser und -wohnanlagen befinden sich jetzt
ebenfalls in großer Anzahl in dem
neu entstandenen Ort Praia da Galé.
1989
hatte das Parlament in Lissabon dem ungezügelten Bauboom im Algarve einen
Riegel vorgeschoben, aber heute
befinden sich wieder Flächen im Bebauungsplan, die damals herausgenommen
wurden. Die schlimmste Fehlentwicklung wurde in der Lagunen- und Dünenlandschaft
Salgados zwischen Praia da Galé und Armação de Pera eingeleitet,
die noch bis in die 80er Jahre unter Naturschutz stand, wegen ihrer Bedeutung
als Vogelschutzgebiet, das im Frühjahr und Herbst von den Zugvögeln auf dem
Weg von oder nach Afrika frequentiert wurde. Dort wird eine Edelbebauung neben
dem gleichnamigen Golfplatz projektiert...
In
den letzten 30 Jahren haben wir eine atemberaubende Entwicklung im Algarve gesehen.
Die
Einheimischen, die wir kennen, sind von dieser im allgemeinen sehr angetan und
haben von ihr praktisch alle profitiert, indem sie als Restaurantbesitzer,
Autoverleiher, Boutiquenbetreiber oder Landverkäufer heute ein Leben führen, von dem Inácia und Joaquim nur den
Anfang mitbekommen hatten. Häufig hatten diese uns vor unserem Abflug am Ende
der Urlaubszeit gesagt, wie schön wir es doch hätten, in eine Stadt zurückzukehren,
in der wir jeglichen Komfort und eine Infrastruktur mit Einkaufs- und
Versorgungsmöglichkeiten (Ärzte, Schulen usw.) hätten nebst guten Verdienstmöglichkeiten,
während sie auf kleinstem Landbesitz nur ein äußerst bescheidenes Leben führten.
Diese
Sicht der Dinge erleichterte uns,
den Massentourismus mit seinen
Begleiterscheinungen trotz aller – vor allem ökologischer Bedenken – gelassener hinzunehmen. Um unsere Casa Branca herum hat sich
erfreulicherweise nicht so viel verändert. Wie es damals 1975 in Benidorm das
idyllisch gelegene Haus gab, das allen Veränderungen trotzte, so haben wir noch heute unser Refugium mit seiner großen Terrasse, dem schattigen
Pinienplatz und der großen
Zisterne, in der zwar keine Tote liegt, wie in dem Kriminalroman, deren Wasser
aber genügt, um die Pflanzen auf dem Grundstück zu begießen.