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DIE KLEINE GESCHICHTE

Von Bertel Kehlet Bruun *

Als Landschaftsarchitekt wurde ich neulich – im privatem Kreise – nach herausragenden Beispielen portugiesischer Landschaftsarchitektur gefragt. Doch ohne meine Antwort abzuwarten, kam mir der Fragende zuvor, indem er mich aufforderte einen kleinen Aufsatz zu dem Thema zu verfassen. Ich habe mehrmals Portugal bereist, und wunderschöne alte und neue Gärten des Landes besucht. In erster Linie galt mein Interesse jedoch den "banalen" Kulturlandschaften: die Weinberge, die Korkeichenwälder, die Orangen-Plantagen – Formen der Landschaftskultur, wie sie möglicherweise die Römer nach Portugal gebracht hatten. Vielleicht ist die Faszination mit dem letzteren verbunden: die Vergangenheit als unzertrennbarer Bestandteil der Gegenwart. In Portugal kann man Landschaften erleben, die sich über Jahrtausende kaum verändert haben und jetzt auf einmal drohen sich aufzulösen, wie es sich sonstwo in Europa längst vollzogen hat.

Man könnte dahinter eine nostalgische Sehnsucht vermuten. Meine Affinität gilt aber vielmehr dem Phänomen "Zeit". Im eigenen Leben unmittelbar als Wert begreiflich, ist für viele Menschen die "Zeit" als Qualität nur schwierig mit der Landschaft in Verbindung zu bringen. Mit folgender kleiner Geschichte hoffe ich ein wenig begreiflich zu machen, was die Gärten und Landschaften Portugals für mich besonders macht.

Vor nahezu zwei Jahren war ich kurz nach Neujahr in Vila Nova de Gaia unterwegs. In einem kleinen Garten vis-à-vis Porto, hatte ich erfahren, gäbe es zwei Kamelien, die schon um 1550 nach Gaia gebracht worden waren. Unweit einer der berühmten Portwein-Häuser fand ich den unscheinbaren Eingang des Gartens. Kurz danach wurde ich dem Besitzer vorstellig, der sofort einwilligte, uns durch den Garten zu führen. Er entschuldigte dabei den Zustand des Gartens: man hatte keinen Besuch erwartet. An gepflegten Kamelienhecken entlang führte mich der Conde durch den Garten. Von einem kleinen Buxbaum-Parterre eröffnete sich ein atemberaubender Blick auf den Fluss unter uns und die Stadt am anderen Ufer. Erst am Ende des Gartens erhoben sich zwei riesige Kamelien über einem kleinen Brunnen, der in den anbrechenden Abend hineinplätscherte. Aus der Dunkelheit unter den Baumkronen leuchtete uns ein Teppich gefallener roter Kamelienblüten entgegen. Ja, er hatte schon gehört, man würde seine Kamelien für die ältesten in Europa halten. Dazu konnte er aber nichts sagen, meinte der Conde mit wohlerzogener Untertreibung. Vor uns standen – wie eine "Brücke in die Zeit" – zwei noch lebende Zeugen der ersten Handelsbeziehungen zwischen Portugal und dem bis dahin für die Außenwelt abgeschlossenen Japan. Ein portugiesischer Kaufmann hatte womöglich gehofft, einige Teepflanzen zu erwerben, um später – in Portugal zurück – selber Tee herstellen zu können. Statt der begehrten Tee-Pflanzen, hat er die nah verwandten Blütenpflanzen bekommen. Der längst verstorbene Kaufmann hat seinen Frust mit ins Grab genommen. Im Garten steigen zwei uralte Bäume empor, die als Reisende in Zeit und Raum Erfurcht hervorrufen.

Der weißhaarige Gastgeber berührt vorsichtig meinen Arm. Die eine Kamelie ist krank und wird bald sterben, meint er. Darum hatte er schon eine neue Kamelie gepflanzt, die den Baumgreis ersetzen soll. Mein Blick sucht unwillkürlich die erwähnte Pflanze. Vor meinem inneren Auge sehe ich die größte Kamelie, die aus der Baumschule zu kriegen ist, doch der Conde zeigt auf eine knapp 20 Zentimeter hohe Pflanze im Gras: Das ist der Ersatz. Ich gucke den Grafen staunend an und sehe Gelassenheit. Selber wird er nicht erleben, dass diese Pflanze seine Reife erreicht, aber sein Enkel oder Urenkel wird im Garten unter den Kamelien nachdenklich verweilen. Ich verdamme meine eigene Ungeduld. Neben mir steht der Conde, selber wie ein prächtiger, alter Kamelienbaum, ein Lebewesen in dem "Fluss der Zeit".


* Bertel Kehlet Bruun ist dänischer Architekt. Er lebt und arbeitet in Hamburg




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Portugal-Post Nr. 13 / 2001


Foto: Christel Lauritzen