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Zeitzeugnisse der Hanse in Deutschland

Von Wolfgang Schnurstein

Die sogenannte „Hansezeit“ erstreckt sich über eine Spanne von ca. 500 Jahren vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Sie hat eine Vielzahl interessanter und einzigartiger Zeitzeugnisse und zudem Spuren hinterlassen, die über die Gegenwart noch hinausführen.

Hiervon können wir durch einen Besuch ehemaliger Hansestädte lohnende und lebendige Eindrücke gewinnen. Zur Besuchsvorbereitung wollen wir vorab offene Fragen zur Hanse klären und uns wesentliche Zusammenhänge vergegenwärtigen. Auf die Einstiegsfrage: „Was war das eigentlich die Hanse?“ antworteten Historiker und Hanseforscher erstaunlich übereinstimmend: „Die Hanse war ein einzigartiges Phänomen in der europäischen Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit.“ Einzigartig, weil sie wie ein souveräner Staat auf der politischen Bühne Europas handelte, ohne dabei auch nur über ein einziges Merkmal eines souveränen Staates zu verfügen. Denn sie hatte kein eigenes Staatsgebiet, kein eigenes Staatsvolk, keine Verfassung, keinen obersten Führer, keine Beamten, kein Heer und keine Kriegsflotte. Mit Ausnahme des Hansetags und regionaler Treffen (Tohopesate) hatte sie auch keine Institutionen, die sie als etablierten Verbund hätten ausweisen können. Trotzdem bestand und agierte dieses Gebilde über 5 Jahrhunderte, von der Gründung der Genossenschaft der Gotlandfahrer 1161 bis zum letzten Hansetag 1669. Die Hanse war nichts anderes als ein Bündnis vieler einzelner Städte (in ihrer Blütezeit mehr als 200 Städte), das einem gemeinsamen Ziel diente: den Warenaustausch und damit auch die Warenherstellung zu fördern und den Handel, insbesondere den Fernhandel zu erweitern. Dieses Ziel wurde nie verändert, man hielt eisern daran fest. Die Hanse verfolgte zu keinem Zeitpunkt territoriale, ideologische oder religiöse Ziele. Verschiedene Autoren halten sie für die erste europäische Wirtschaftsgemeinschaft und damit einen Vorgänger unserer heutigen Europäischen Gemeinschaft. Sie wurde so stark, dass sie den gesamten Handel zwischen Nowgorod und Brügge, d.h. nördlich der Linie Nowgorod, Thorn, Krakau, Breslau, Erfurt, Köln und Brügge beherrschte. (siehe Übersichtskarte).



Derartige geschichtliche Entwicklungen vollziehen sich natürlich nicht isoliert, sondern stehen in Zusammenhängen mit anderem nationalen und internationalen Geschehen. Es waren insbesondere die nachstehend aufgeführten Ereignisse und Gegebenheiten, die zu der Entstehung und zu der überaus erfolgreichen Entwicklung der Hanse beigetragen haben:

  • ab 1100 in Nord- und Osteuropa einsetzende starke Entwicklung von Handel und Gewerbe. Motor waren die Städte: Märkte, Messen, Kaufleute, Handwerker, ehemalige Leibeigene „Stadtluft macht frei“, Selbstverwaltung, Stadtrecht, selbstbewusstes Bürgertum.


  • 1150-1350 Ausdehnung des deutschen Siedlungsraumes nach Nordosten. (800-1250 Verdopplung der dt. Bevölkerung) Siedlerströme aus Sachsen, Thüringen, Hessen, Friesland, Holland. Städtegründungen (insbes. Hafenstädte) zwischen Lübeck und Reval, auch durch den Deutschen Orden: Königsberg, Elbing, Memel, Riga.


  • 1161 Gründung der Genossenschaft der Gotlandfahrer in Lübeck (erster dt. Ostseehafen). Diese Schwurgemeinschaft von Kaufleuten aus 30 Städten war Keimzelle und Ursprung der Hanse. (sogen. Kaufmannshansen)


  • Technische und organisatorische Überlegenheit der Hanse durch Entwicklung hochbordiger Seeschiffe (Kogge, Holk) mit erheblich höherer Ladefähigkeit. Gründung von Kontoren und Niederlassungen im Ausland durch Verträge mit den jeweiligen Landesherren.



  • ab 1230 Formierung der Städtehanse, die genossenschaftliche Organisation der Kaufmannshansen genügte den steigenden Anforderungen nicht mehr. Kriege, Seeraub, Anarchie durch den Verfall der Reichsgewalt und Konflikte mit den Landesherren führen zu Städtebündnissen für Selbstschutz, Rechtssicherheit und Entwicklung von Handel und Gewerbe. Die Hanse betreibt die schwierige Vereinheitlichung von Maßen, Münzen, Preisen und des Stadtrechts. So fand z.B. das lübische Stadtrecht Verbreitung in vielen bedeutenden Städten des Ostseeraumes.


  • 1300-1550 Blütezeit der Hanse; ca. 200 Städte sind Hansemitglieder; hinzu kommen etwa 25 Stützpunkte der Hanse im Ausland, davon 4 Kontore (Brügge, London, Bergen, Nowgorod) und 21 Faktoreien (z.B. Lissabon, Nantes, Yarmouth, Malmö). Sprache und Kultur der deutschen Hansestädte prägen erhebliche Teile des Ostseeraumes. Die Handelsflotte der Hanse umfasst Ende des 16. Jahrhunderts ca. 1000 Schiffe.


  • Nach der erstaunlich langen Blütezeit setzte der Zerfall der hansischen Machtstellung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein. Es war kein plötzlicher Untergang, sondern ein allmählicher Verfall, der dann durch den dreißigjährigen Krieg (1618-48) stark beschleunigt wurde und zur Auflösung der Hanse führte.


  • Wesentliche Gründe für den Niedergang waren:
  • Erhebliche Veränderung der politischen Landkarte Nord- und Mitteleuropas. Ausbildung nationalstaatlicher Wirtschaftssysteme. England wird zur Großmacht, Schweden zur dominierenden Ostseemacht.


  • Die gewaltigen Zerstörungen durch den 30-jährigen Krieg (Deutschland verliert fast die Hälfte seiner Bevölkerung) zerreißen auch das Netz der Hanse.


  • Nach dem Westfälischen Frieden Machtlosigkeit von Kaiser und Reich gegenüber den Landesfürsten. Die zur Hanse gehörenden Städte (oftmals freie Reichsstädte) mussten sich den Landesherren beugen.


  • Infolge der großen Entdeckungen (Amerika 1492, Seeweg nach Indien 1498) und der beginnenden Kolonisation Interessenverlagerung wichtiger bisheriger Handelspartner der Hanse (Portugal, Spanien, England, Niederlande) nach Übersee. Diese Entwicklung wurde von der Hanse mit Ausnahme weniger Städte, wie Hamburg und Bremen nicht genügend begleitet. Auch dadurch fiel die Hanse zurück.


  • Letzter Hansetag 1669 in Lübeck. Wiederbelebungsversuche scheitern. Als Rechtsnachfolger wurde der Städtebund Hamburg, Lübeck und Bremen eingesetzt.


  • Nachdem wir uns hiermit einen groben Überblick über fünf Jahrhunderte Hansezeit verschafft haben, wollen wir jetzt unsere Städtereise antreten. Die in diesen Städten vorhandene historische Bausubstanz aus der Hansezeit wie Rathäuser, Bürgerhäuser, Kirchen, Stadttore und Stadtbefestigungen, Anlagen der Wasserversorgung und Wasserwege (Kanäle) gibt dem interessierten Besucher unmittelbare und faszinierende Eindrücke und Bilder dieser besonderen Zeit.

    Es würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen, auf die kunst- und kulturhistorischen Aspekte dieser Zeitzeugnisse einzugehen. Raum verdient aber die Feststellung, dass vier Hansestädte aufgrund der Einzigartigkeit und außergewöhnlichen Bedeutung ihrer Kulturdenkmäler von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurden. Diese vier Städte sind: Goslar Köln, Lübeck und Quedlinburg.

  • Goslar: das Bergwerk Rammelsberg mit seiner über 1000 Jahre währenden Geschichte des Silber- und Erzabbaus und die Altstadt Goslars mit der Kaiserpfalz und der überwiegend gotischen Bausubstanz.
    Zur Hanse: Goslar war eines der ersten Hansemitglieder (Beitrit 1267) und hatte in der Hanse ein besonderes Gewicht aufgrund seines Silber- und Kupfervorkommen.

  • Köln: der Kölner Dom, das größte Gotteshaus Deutschlands (Bauzeit 1248 - 1880) mit dem Sarkophag der Heiligen Drei Könige und bedeutender gotischer Glasmalerrei.
    Zur Hanse: Köln, "die Mutter der deutschen Städte", die größte deutsche Stadt des Mittelalters (um 1200 40 000 Einwohner) gehörte schon früh zu den bedeutenden Hansestädten (Beitritt 1229 zur Genossenschaft der Gotlandfahrer). Köln gilt als das "Weinhaus der Hanse" und war Hersteller und Händler von Tuchen, Schuhen, Glas- und Töpferwaren, sowie Gold- und Silberschmuck.

  • Lübeck: Die Altstadt als historisches Ganzes mit ihren eindrucksvollen Zeugnissen der Backsteingotik und ihren markanten Giebelhäusern.
    Zur Hanse: Lübeck war mehr als 250 Jahre die führende Hansestadt und wurde respektvoll "Königin der Hanse" genannt. Lübeck hatte den größten Hafen der Hanse, es war führend im Schiffsbau. Lübisches Recht verbreitete sich im gesamten Ostseeraum. Architektur und Lebenstil waren Vorbild für die nachfolgenden Gründungsstädte von Wismar bis Reval.
    Das Heilig-Geist-Hospital (erbaut 1276) war eine Stiftung Lübecker Kaufleute für Bedürftige, Alte und Kranke und damit eine der ältesten Sozialeinrichtungen Europas.

  • Quedlinburg: die Altstadt (eines der größten Flächendenkmale Deutschlands mit 1200 Fachwerkhäusern), der Schlossberg mit der romanischen Stiftskirche und der Münzberg.
    Zur Hanse: Quedlinburg entwickelte sich schon ab 994 (Markt- Münz- und Zollrecht durch Otto III.) zu einem bedeutenden Handesplatz. Gelegen am Schnittpunkt mehrerer Heer- und Handelswege verlief der Handel sowohl in Ost-West (bis Flandern) wie auch in Nord-Süd-Richtung.
    1426 trat Quedlinburg der hanse bei, wie schon vorher die mit ihm verbündeten Sachsenstädte Braunschweig, Goslar und Hanover. Aus dieser florierenden Zeit stammt auch das Hospital St. Annen von 1433, eine Stiftung Quedlinburger Kaufleute zur Versorgung Armer und Kranker.

  • Nach Beendigung der Reise durch 14 Hansestädte, stellt sich die Frage, was ist außer dieser Vielzahl von historischen Zeitzeugnissen noch von der Hanse geblieben? Ganz sicher ein guter Name! Denn viele Institutionen, Verbände, Firmen, Wasser- und Luftverkehrsunternehmen sowie Städte tragen den Namen Hanse oder Hansa. Verbunden werden hiermit Inhalte wie Vertrauen, Sicherheit, Wohlstand, Ordnung, Selbständigkeit und Solidarität. Diese Inhalte wie auch die noch vielfältig vorhandenen historischen Relationen greifen die seit 1980 ins Leben gerufenen, jährlich veranstalteten Hansetage der Neuzeit wieder auf.

    Hieran beteiligen sich inzwischen mehr als 160 ehemalige Hansestädte, Kontore und Niederlassungen, die sich mit diesen Hansetagen der Neuzeit ein Forum für Austausch und Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Kultur und Tourismus geschaffen haben. Einen starken Schub hat diese Bewegung nach der Wiedervereinigung Deutschlands und der politischen Öffnung in Osteuropa erfahren, denn viele der auch heute bedeutenden Städte in Polen, Estland, Lettland, Litauen sowie in den neuen Bundesländern waren blühende und starke Hansestädte. Das gemeinsame Ziel ist: nicht neue bürokratische Strukturen schaffen, sondern pragmatische und effektive Zusammenarbeit praktizieren – wie zur Zeit der historischen Hanse.





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    Portugal-Post Nr. 12 / 2000


    Goslar: Rathaus und Gildehaus




    Köln: Rathaus von 1360




    Köln: Stadtansicht mit Dom




    Lübeck: Rathaus (Mitte) und Marienkirche (links)




    Lübeck: Heiligen-Geist-Hospital




    Quedlinburg: Rathaus mit Roland




    Quedlinburg: Schlossberg mit Stiftskirche