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José Saramago im Thalia-Theater:
"Katz und Maus"

Von Ferdinand Blume-Werry

Im Rahmen des 50jährigen Jubiläums des Rowohlt-Taschenbuchverlages las José Saramago am 24. Juni im Hamburger Thalia-Theater aus seinem Roman »Alle Namen«. Das fast gefüllte Haus – darunter die Kultursenatorin, der Intendant, der Verlagsleiter sowie der portugiesische Botschafter aus Berlin und der Generalkonsul Portugals in Hamburg – begrüßte den bald 78jährigen Literaturnobelpreisträger und seine Übersetzerin Ray-Güde Mertin durchaus stürmisch. Nach den obligatorischen Begrüßungsreden las Saramago den Anfang seines Romans auf portugiesisch, seine Übersetzerin gab eine Einführung in sein Werk und ein Schauspieler des Thalia-Theaters las u. a. Passagen aus der deutschen Fassung. Anschließend diskutierte der portugiesische Botschafter mit dem Literaten über seinen Roman, wobei Ray-Güde Mertin dolmetschte. Die zweistündige Veranstaltung klang mit einer Signierstunde im Foyer aus.


Den 1997 in Portugal unter dem Titel Todos os Nomes erschienenen Roman kann man mögen oder nicht mögen. Es ist ein einfach erzähltes Buch über eine kleinkarierte Beamtenseele, die in dem Roman den Allerweltsnamen „Senhor José“ trägt. Erzählt wird die akribische Neugierde des Senhor José, mit der er berühmten Persönlichkeiten nachspürt, um möglichst vollständige Daten über sie zu archivieren. Getrieben von seiner Leidenschaft, alle fehlenden Informationen zu erhalten, ist er sogar bereit, bestehende Gesetze zu missachten. Mit der für Saramago typischen Phantasie und Ironie wird der Leser wie schon in früheren Romanen in eine fiktive Welt entführt, die in ihrer übertriebenen Darstellung durchaus auf Realitäten verweist. Doch erfährt der Leser mit dem Roman eigentlich nichts neues. Andere, der linken Szene nahestehende Rowohlt-Autoren wie z. B. Kurt Tucholsky haben schon vor achtzig Jahren die Jämmerlichkeit verbeamteter Kleinkrämerei viel nachhaltiger, wenn auch vielleicht nicht so witzig, beschrieben. Doch einem Nobelpreisträger schenkt man Gehör und Aufmerksamkeit, vor allem wenn er so nett und sympathisch gefeiert wird. Das hat ja Tradition in der hanseatischen Gesellschaft am Alstertor.

Wenn schon der eigentlich unterhaltsame Roman über die Machenschaften des „Zentralen Personenstandsregisters“ nur das auf die Schippe nimmt, was uns allen aus Bürokratie und Verwaltung jeglicher Länder längst bekannt ist, so war man doch gespannt auf die Zwischentöne oder versteckten Botschaften, die José Saramago ins Publikum streuen würde, zumal doch ein Salonkommunist sich hier in eine Hochburg des Kapitalismus vorwagte, oder anders gesagt, vor sie geladen wurde. Nach eineinhalb Stunden kam des Nobelpreisträgers Botschaft auch zum Vorschein; sie lautete: Die Katze der Globalisierung werde die Maus der Menschenrechte fressen ( o gato ... o rato ...). Solche Sätze haben schon immer das Hamburger Samstagabendpublikum zu Beifällen hingerissen, nicht zuletzt um die Spannungen weihevoller Bühnenauftritte zu entkrampfen. Doch was ist das für eine eigenartige These Saramagos, die ein weiteres Indiz seines abgrundtiefen Kulturpessimismus‘ darstellt und der namentlich vom portugiesischen Botschafter sogleich widersprochen wurde? Gewiss, da mag es eine entfernte kausale Beziehung zwischen der zunehmenden Globalisierung und der Abnahme der Verwirklichung von Menschenrechten in unserer Welt geben, doch ist sie weder bewiesen, noch lieferte Saramago selbst Fakten, um seine Aussage zu untermauern. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wandelte sich der sympathische Herr aus Lanzarote vor seinem Hamburger Publikum zum Entertainer, statt seine Position dafür zu nutzen, ernsthaft auf die möglichen Gefahren der Globalisierung aufmerksam zu machen. Wer zulässt, dass seine Bücher in über 35 Sprachen übersetzt werden, partizipiert auch an den Vorteilen der Globalisierung. Da beißt nicht die Katze die Maus, sondern die Katze sich selbst in den Schwanz. Wer solche phrasenhaften Generalisierungen ausposaunt, disqualifiziert sich, weshalb so manchem der Vergleich zu „Tom and Jerry“ in den Sinn kam, wo bekanntlich die freche Maus den armen Kater traktiert!

Nein, die Intelligenz sollte längst verinnerlicht haben, dass monokausale Erklärungen nicht mehr dazu dienlich sind, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Saramago aber ist ein Autor des vergangenen Jahrhunderts; künstlerisch und inhaltlich nimmt er Bezug auf Tradiertes und Bekanntes, mischt Geschichte mit fiktiven Gegenwartssequenzen. Gerade deshalb sollte ihm vertraut sein, dass es u. a. auch Portugiesen waren, die mit ihren weltweiten Handelsbeziehungen den Grundstein zur heutigen Globalisierung legten. Wie dem auch sei, es war schon immer die Stärke der wachen, älteren Herren, ihr Publikum zum Nachdenken zu bewegen, notfalls durch streitbare Äußerungen, die in eingängliche Bilder verpackt nachdenklich stimmen. Die scheinbare Eingänglichkeit seiner Prosa, das durch alle Reihen raunende und zustimmende Kopfnicken beim Hören seiner Texte ist zugleich Ausdruck von Saramagos Stärke wie Schwäche. Viele seiner Romane leben von einer einfachen Grundidee; es ist dieser simple Überbau seiner Prosa, der ihn zum Weltautor machte, nicht seine Sprache, die Ray-Güde Mertin, seine deutsche Übersetzerin, bei allen versteckten Unwegbarkeiten des portugiesischen Originals in ein lesbares Deutsch brachte.







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Portugal-Post Nr. 11 / 2000


José Saramago