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Die brasilianische Musikszene in Hamburg
Geschichte und Gegenwart

Von Joachim Bernstorff *

Die aktiv gelebte Begeisterung für brasilianische Musik kann in Hamburg mittlerweile auf eine annähernd 20jährige Tradition zurückblicken. Sie begann wohl im Jahr 1983, als der spätere Mitgründer der ersten Gruppe Hamburgs, „SAMBURGO“, Joachim Schattschneider, voll mit Eindrücken und jeder Menge Inspiration von einem Brasilienaufenthalt zurückkehrte und sich fragte, ob man diese Musik nicht auch hier machen könnte.

Da es damals noch keine Musikläden gab, die ein ausreichendes Sortiment an brasilianischen Instrumenten führten, fanden die Anfänge auf einigen mitgebrachten Tambourins und selbst gebauten Instrumenten statt. Die Nachbildungen waren äußerst einfallsreich: Der Kessel einer Cuica (Instrument bestehend aus einem Metallkessel und einem Trommelfell mit einem in der Mitte des Fells befestigten Holzstab) wurde z.B. aus einer 5l Blechdose hergestellt. Der allmählich anlaufende „Import“ von Instrumenten aus Brasilien fand zunächst statt über bestehende Kontakte nach Brasilien, die ihren deutschen Sambistas gerne behilflich waren. Heute gehören brasilianische Instrumente aller Art aufgrund der stetigen Nachfrage zum selbstverständlichen Repertoire vieler Musikhändler in Hamburg und können heutzutage meistens ohne längere Wartezeiten erworben werden.

Die Gründung von „SAMBURGO“, der ersten Sambaschule Hamburgs, erfolgte schon bald durch Joachim und Wolfgang Schattschneider, Klaus Westphalen, Hans-Jörg Regenspurg und noch einigen anderen. Die Zusammensetzung der Truppe war gemischt, denn ein nicht unerheblicher Teil der Mitglieder stammte aus Brasilien. Erste Auftritte folgten im „Tropical“ auf der Reeperbahn, bereits 1984 nahm „SAMBURGO“ am Karneval in Kopenhagen teil. „SAMBURGO“ steigerte im Laufe der Jahre seinen Bekanntheitsgrad in Hamburg und inspirierte die noch junge Hamburger Samba-Szene zur Nachahmung. Selbst einige Prominente entdeckten den Reiz dieser Musik für ihre Festivitäten und engagierten die Gruppe.

Der Zulauf in den folgenden Jahren war so enorm, dass fast zwangsläufig eine weitere Band her musste, was zur Gründung von „VIRADA“ durch Rüdiger Grewer und Hans-Jörg Regenspurg im Jahre 1987 führte. Bei „VIRADA“ und „SAMBURGO“ begannen bald erste Differenzierungen: Blechblasinstrumente kamen bald bei „VIRADA“ hinzu, bei „SAMBURGO“ wurden erste Gesangsstücke eingespielt und dargeboten. Insbesondere die in ganz Deutschland durch den brasilianischen Profi-Percussionisten Dudu Tucci veranstalteten Work-Shops förderten das „Samba-Know How“ vieler ambitionierter Sambistas beträchtlich. Einige Dudu Tucci Schüler drängte es schnell, ihr Wissen an andere weiterzugeben.

Da es für Anfänger inzwischen mitunter schwierig war, bei bestehenden und zum Teil schon sehr fortgeschrittenen Gruppen ohne weiteres einzusteigen, war die Marktlücke schnell gefunden: Das Programm des Uni-Breitensport wurde um eine „Sportart“ reicher, als Mitte 1987 Gunnar Wenck und Martin Schneider die Idee hatten, offizielle Kurse für „Samba-Batucada“ den Studenten der Hamburger Universitäten anzubieten. Die fortgeschrittenen Kursteilnehmer bildeten bald die Formation „BATUCADA MADRUGADA“, die auf zahlreichen Veranstaltungen spielte. Darunter Straßen- und Stadtteilfeste, als Überraschungsgäste auf Hochzeiten und Geburtstagen und auch als nachmittägliches Unterhaltungsprogramm in Altersheimen, was bei deren Bewohnern eine mindestens ebenso große Begeisterung hervorrief. Dem Ausdruck der Lebensfreude, der die brasilianische Musik so einzigartig macht, konnte sich anscheinend so leicht niemand entziehen. Mit Torsten Becker, der Gunnar Wenck als Leiter neben Martin Schneider ab Ende 1990 ablöste, wurden die Auftrittsaktivitäten, auch in anderen Städten und zum Teil sogar im Ausland, noch verstärkt.

Die Entwicklung setzte sich schnell fort: Andere Stilrichtungen wurden gesucht und gefunden: Die Entdeckung des „Samba-Reggae“ oder „Afro-Samba“ der Afro-Blocos aus der Tradition Bahias war eine der wichtigsten davon. Wieder waren es „SAMBURGO“, die 1992 den Anfang machten und ihre mittlerweile nur noch aus 10 – 12 Spielern bestehende Truppe zu einem kleinen „Afro-Bloco“ umbauten und bald unter der Leitung des gerade aus Bahia zurückgekehrten Robert Kache damit begannen, Stücke von so berühmten Blocos wie „OLODUM“ , „ILÊ AYE“ oder „ARA KETU“ nachzuspielen. Andere Hamburger Bands konnten sich bald dieser fast mystischen und unglaublich kraftvollen Musik Bahias nicht entziehen und fingen ebenfalls an, sie nachzuspielen. Sie gehört heute zum festen Bestandteil vieler bestehender Gruppen. „SAMBURGO“ dagegen löste sich nach sechzehn Jahren Mitte 1999 leider auf.

Da das Interesse an brasilianischer Musik nicht nachließ sondern sich eher noch steigerte, waren inzwischen auch noch weitere Gruppen gegründet worden. Gruppen wie „ONDA DE SAMBA“, die Frauengruppe „STICKS UND STÖCKEL“ und „LARANJA LOUCA“ und die nur aus in Hamburg lebenden Brasilianern bestehende „BANDA SOL DA BAHIA“, um nur einige zu nennen. 1995 war durch Paul Lazare, der bei Martin Schneider, Torsten Becker und nicht zuletzt Dudu Tucci gelernt hatte, eine weitere Samba-Schule, die seit 1995 den Namen „QUINTA-FEIRA“ trägt, gegründet worden. Aufgrund des zielstrebigen Engagements ihres Gründers ist sie mittlerweile vermutlich die bekannteste Truppe in Hamburg. Vorläufiger Höhepunkt der zahlreichen Aktivitäten im In- und Ausland und den stets gutbesuchten Konzerten dieser Gruppe war ein Auftritt auf dem „Westport Jazz Festival 1999“ als Vorgruppe der in Brasilien und international sehr bekannten bahianischen Sängerin Daniela Mercury.

Die Geschichte der brasilianischen Musik in Hamburg geht weiter: Zahlreiche musikalische Projekte für Kinder an Hamburger Schulen und anderen Einrichtungen durch Lehrer und Erzieher, die langjährige Erfahrung in Bezug auf brasilianische Musik mitbringen, sind dort zur Dauereinrichtung geworden. Es bleibt abzuwarten, wie die nächste Generation Hamburger Sambistas aussehen wird. Das Interesse an Brasilien und seiner Musik scheint hier und anderswo ungebrochen, eine Entwicklung die angesichts der Bedeutung dieses großen Landes sehr zu begrüßen ist. Denn durch die Musik wächst das Interesse an der Kultur und der Sprache und schärft vielleicht auch etwas das Bewußtsein für die leider genauso großen Probleme Brasiliens. Es bleibt zu hoffen, dass die weltweite Begeisterung für diese Musik und dieses Land ein bisschen dazu beiträgt, sie irgendwann zumindest teilweise zu lösen.


* Der 36-jährige Autor lebt in Hamburg und ist beruflich als Rechtsanwalt für eine hier ansässige Kreditversicherung tätig. Er hat über viele Jahre aktiv in Hamburger Samba-Formationen mitgewirkt, u.a. bei „SAMBURGO“ und „BATUCADA MADRUGADA“.






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Portugal-Post Nr. 10 / 2000


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