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Hans Staden – Der erste Deutsche in Brasilien

„Ich, Hans Staden von Homberg in Hessen, nahm mir vor, so es Gott gefällig sei, Indien zu bereisen, und zog darum von Bremen nach Holland.“ So beginnt die abenteuerliche Geschichte des Mannes, der als erster Deutscher brasilianischen Boden betreten sollte.

Im Jahre 1547 heuerte er als Büchsenschütze auf einem portugiesischen Schiff an, das Deportierte nach Brasilien bringen sollte, aber auch die staatliche Erlaubnis zur Piraterie hatte – insbesondere gegenüber Schiffen des damaligen Erzfeindes Frankreich. Nach 84 Tagen auf See ging man im Hafen von Pernambuco an Land. Kaum angekommen, eilten die Seeleute den Bewohnern einer Siedlung in der Nähe von Olinda zu Hilfe, denn „ganz gegen ihre Gewohnheit waren die Wilden von Pernambuco durch die Schuld der Portugiesen aufrührerisch geworden“ und belagerten diese nun. Hans Staden und seine Gefährten durchbrachen heldenhaft die Reihen der Indianer, um dringend benötigte Lebensmittel zu besorgen.

Nach etlichen anderen Abenteuern war Hans Staden bereits 1549 wieder zurück in Lissabon. Sei es, dass es ihm in Brasilien so gut gefallen hatte, oder dass es das Piratenleben war, das ihn reizte, auf jeden Fall heuerte er flugs auf dem nächsten Schiff Richtung Rio de la Plata an. Im November 1550 kam man nach 6 Monaten Fahrt und „großen Gefahren“ endlich in Südamerika an, jedoch – entgegen dem ursprünglichen Ziel – wieder einmal in Brasilien. Leider ging das ziemlich marode Schiff im Hafen von Santa Catarina unter. „Zwei Jahre lang saßen wir unter großen Gefahren in der Wildnis fest. Wir mussten großen Hunger leiden, aßen Eidechsen und anderes seltsames Getier, alles was wir bekommen konnten, sogar Schalentiere, die im Wasser an den Steinen hingen und andere ungewöhnliche Nahrung.“ Kaum dieser Gefahr und der Austernschlemmerei entronnen, erlitten die tapferen Männer vor dem nächsten Ziel, dem Hafen von São Vicente, wiederum Schiffbruch. Glück im Unglück, in der Nähe war eine portugiesische Siedlung, deren Bewohner den Gestrandeten hilfreich unter die Arme griffen, so dass sie schließlich doch noch nach São Vicente kamen.

Einige Meilen entfernt befand sich die Insel Santo Amaro, wo gegen die häufigen Überfälle der Tupinambá eine Befestigungsanlage gebaut werden sollte, die „aber nie fertig wurde“. Hans Staden berichtet: „Soviel ich erfahren konnte, war der Grund dafür, dass sich kein portugiesischer Büchsenschütze hineinwagen wollte.“ Unser wagemutiger Held ließ sich dadurch jedoch nicht abschrecken und nahm den Job an – gegen einen guten Sold und die Aussicht auf Belohnung durch den König von Portugal, versteht sich.

Er berichtet, „wie und warum wir zu bestimmten Zeiten des Jahres mehr als sonst mit den Feinden rechnen mussten“: Im November hatten die Indianer die Sitte, aus dem dort wachsenden Mais ein Getränk zu machen und dabei wohl eine Art Erntedankfest zu feiern. „Sobald sie mit dem reifen Abatí (Mais) von ihrem Beutezug heimkommen, machen sie daraus ihr Getränk und verzehren dabei ihre Feinde, wenn sie welche gefangen haben. Sie freuen sich schon das ganze Jahr auf die Abatí-Zeit.“

Das folgende Kapitel stimmt den Leser traurig (und die Anthropologen glücklich, denn sie verdanken Hans Staden einen Großteil ihrer Kenntnis über die Lebensweise der Ureinwohner Brasiliens), lautet seine Überschrift doch schlicht, aber ergreifend: „Wie ich von den Wilden gefangen wurde.“ Die Beschreibung der Gefangennahme lohnt, im O-Ton berichtet zu werden: „... Ich konnte nur noch ausrufen: Gott sei meiner Seele gnädig. Kaum hatte ich das ausgesprochen, wurde ich schon niedergeschlagen ... Sie rissen mir die Kleider vom Leib, der eine den Mantelkragen, der andere den Hut, der dritte das Hemd usw. Bald darauf stritten sie um mich: der eine sagte, er sei als erster bei mir gewesen, der andere meinte, er hätte mich gefangen. Währenddessen schlugen mich die anderen.“ Dieser Zank rettete unseren Helden davor, auf der Stelle getötet zu werden. Er wurde zum Gemeinschaftsschmaus erklärt.

Nach einem vergeblichen Befreiungsversuch der Portugiesen begann der ziemlich an- und niedergeschlagene Hans Staden „... über Dinge nachzudenken, die mir nie zuvor in den Sinn gekommen waren, z.B. welch trauriges Jammertal unser irdisches Leben doch sein kann.“ Am nächsten Tag „gegen die Vesperzeit“ erreichte man schließlich das Dorf. Er musste den auf dem Feld arbeitenden Frauen „Aju ne xe pee remiurama“ zurufen, was soviel heißt wie: „Ich, euer Essen, komme.“ Er bekam jedoch noch eine Galgenfrist und sollte zunächst erst einmal aufgepäppelt werden.

Die Portugiesen waren bei den Tupinambá aufgrund ihres Verhaltens sehr verhasst. Den Franzosen hingegen waren sie durchaus freundlich gesinnt, da sie mit ihnen Tauschhandel betrieben. Staden, gewitzt wie er war, gab sich nun als Freund der Franzosen aus in der Hoffnung, dadurch dem Bratrost entgehen zu können. Sein Pech, dass in der Nähe unter den Indianern ein Franzose lebte – Hans Staden sprach nämlich kein Französisch. (Später erfuhr er, dass er nicht der erste gewesen war, der auf diese Idee gekommen war. Bereits fünf vor ihm gefangene Portugiesen hatten sich zu Franzosen erklärt.)

„Und als ich mich in solchem Elend befand, bekam ich getreu dem Sprichwort ‘Ein Unglück kommt selten allein’ starke Schmerzen in einem Zahn. Die Schmerzen brachten mich ganz herunter, so dass mein Herr mich fragte, warum ich so wenig äße. Ich nannte ihm den Grund, da brachte er ein hölzernes Gerät, mit dem er mir den Zahn ausreißen wollte. Da sagte ich, dass ich keine Schmerzen mehr hatte.“ Ach, armer Hans Staden, wer kann dir das nicht nachfühlen?

Bald darauf brach in dem Dorf unter den Indianern eine Seuche aus, und Staden stellte sie als von Gott gesandte Strafe dar. Der Häuptling bat ihn, zu seinem Gott um Gnade zu beten und die Menschen zu verschonen. Staden stand nun vor einem Dilemma: sollte er Gott um eine Heilung bitten oder ihnen allen den Tod wünschen? Gott nahm ihm die Entscheidung ab, indem er acht Indianer sterben, den Häuptling und seine Frau jedoch genesen ließ. Flugs stieg Staden im Ansehen der Indianer (zumindest des verschonten Häuptlings) und nutzte weiterhin sämtliche Krankheiten und Unwetter, um ihnen Respekt vor ihm und seinem Gott einzuflößen. Bald hatte er den Status eines Zauberers erlangt. Und wirklich – wie Gustav Faber in seinem Vorwort zur aktuellen Auflage schreibt – steht Staden anscheinend mit Gott quasi auf du und du, wobei Gott in besonders kniffligen Lagen eingreift wie seinerzeit die Götter des Olymp in das irdische Geschehen (Faber: „Ein ‘Don Camillo’ der Entdecker“).

Bald danach musste er die Tupinambá auf einem Feldzug gegen die befeindeten Tupiniquin und Portugiesen begleiten, auf dem auch etliche Bekannte Stadens gefangengenommen wurden. Ein Teil davon wurde sofort gebraten und gegessen, andere – unverletzte – kamen zunächst noch mit heiler Haut davon. Es gereicht Staden zur Ehre, dass er eine mögliche Fluchtchance ausließ, um die Gefangenen nicht zu gefährden. Dennoch, das nächste Kapitel lautet: „Wie sie den ersten gebratenen Christen aßen, nämlich Jorge Ferreira, den Sohn des portugiesischen Hauptmanns.“ Die anderen folgten bald darauf demselben Schicksal.

Hans im Glück: endlich fand man sich auf einem französischen Schiff bereit, ihn auszulösen. Mit allerhand Tricks (er hatte den Indianern immer von einem französischen Bruder erzählt, der kommen würde, ihn zu holen. An Bord fanden sich daraufhin gleich zehn ihm ähnlich sehende „Brüder“ ein.) kam er nach fast einem Jahr der Gefangenschaft endlich frei. Mit seiner Heimkehr endet der erste Teil seiner Geschichte.

In Teil II berichtet Hans Staden über die Sitten und Gebräuche der Ureinwohner, über die Tiere, die Vegetation und vieles mehr. So erzählt er in Kapitel 34 „von einer Art Fledermäuse jenes Landes, die den Leuten nachts im Schlaf in die Zehen beißen.“ Insbesondere dieser zweite Teil ist für die Anthropologen von unschätzbarem Wert und auch heute noch aktuell.

Durch seine Reisen, zum Teil unfreiwillig, recht viel in Brasilien herumgekommen, lernte er verschiedene Stämme kennen, die er alle auch detailliert beschreibt. Er übermittelt erstmals etliche Begriffe der Indianersprache, auch wenn er seine Eingeborenen manchmal im Eifer des Gefechts hessisch sprechen lässt. Bei all dem Leid, das er bei den Indianern erfuhr, bleiben seine Beschreibungen doch objektiv und werden nicht durch Hass verzerrt. Im Gegenteil, er scheint den Indianern im Grunde recht wohl gesonnen und beschreibt sie als lebensfrohe, lustige Menschen.

Hans Staden schließt sein Büchlein mit der Aufzählung einer Reihe von Zeugen, um seiner Geschichte von vornherein jeden Anstrich von Unglaubwürdigkeit zu nehmen und schließt: „Sollte es irgendeinen jungen Mann geben, dem meine Beschreibung und die Zeugen nicht genügen, so mache er, damit er vom Zweifel befreit wird, mit Gottes Hilfe diese Reise selbst ...“ Ich glaube nicht, dass irgend jemand nach den ausführlich beschriebenen und bebilderten Szenen, die die Indianer beim Zubereiten und Verspeisen ihrer Gefangenen zeigen, noch Zweifel oder Lust verspürte, diesem Rat zu folgen.

Ein kurzes Nachwort sei erlaubt: das Buch erschien erstmals im Jahre 1557 in Marburg und ist damals wie heute sehr lesenswert (Hans Staden: Brasilien – Die wahrhaftige Historie der wilden, nackten, grimmigen Menschfresser-Leute, erschienen 1964 in Marburg von Reinhard Maak und Karl Fouquet und 1982 im Erdmann Verlag). Die Erzählweise erinnert an Simplicissimus, und gerade auch in ernsten Situationen entbehrt die Geschichte nicht der (unfreiwilligen?) Komik, so dass sich der Leser hier und dort ein Lachen wohl kaum verbeißen kann.

Wir haben diesen Text mit freundlicher Genehmigung der Brasilieninitiative Freiburg e.V. aus ihrem „Handbuch brasilianischer Wirklichkeit“ entnommen („A Esperança é a Última que Morre – Die Hoffnung stirbt als letzte“, Freiburg 1994, S. 5-8)





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Portugal-Post Nr. 10 / 2000