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Portugal - 20 Jahre herpetologische Erinnerungen an ein sich wandelndes Land

Von Rudolf Malkmus

Der süddeutsche Biologe Rudolf Malkmus ist Experte für die portugiesische Herpetologie, d. h. die Wissenschaft von den Amphibien und Reptilien. Sein Buch "Die Amphibien und Reptilien Portugals, Madeiras und der Azoren" (Die Neue Brehm-Bücherei Bd. 621) gilt als Standardwerk zu diesem Thema. Im letzten Jahr erschien in der Zeitschrift "elaphe 5" (1997, Heft 4) der vorliegende Artikel über die ökologischen Veränderungen im Portugal der letzten 20 Jahre.
Er bestätigt für die Amphibien und Reptilien, was unser Redaktionsmitglied Peter Koj in einem Artikel unseres letzten Rundschreibens auch für andere Tierarten beobachtet hat, nämlich die Bedrohung der portugiesischen Tierwelt seit dem Eintritt Portugals in die EU. Mit Genehmigung des Autors haben wir die wissenschaftliche Terminologie des vorliegenden Artikel ein wenig "entschärft".


Als ich 1976 für fünf Jahre nach Portugal aufbrach, hatte das Land gerade mehr als vier Jahrzehnte Salazardiktatur abgeschüttelt, seine Kolonien verloren und schöpfte Hoffnung aus den Parolen der Nelkenrevolution. Es besaß knapp 30 km (!) Autobahn, einige Schnellstraßen und ansonsten Fragmente von Verkehrswegen mit höherer Schlagloch- als Teerdeckenfläche. In den Bergen lebte eine Bevölkerung in den Wertvorstellungen des vorigen Jahrhunderts, die mit archaischen Nutzungsformen eine hoch differenzierte, naturnahe Landschaftsgestaltung vornahm, Wohnraum einer artenreichen Herpetozönose (d.h. Gemeinschaft von Amphibien und Reptilien). Zahlreiche Strände kannten weder Trittsiegel noch sonstige Hinterlassenschaften von Touristen.

Im Frühling leuchteten die Flüsse im strahlenden Weiß der Blütenteppiche des Wasserhahnenfußes und die Augen des Herpetologen ob der Populationsdichte seiner Lieblingsobjekte. Nicht selten beobachtete ich zum lärmenden Wasserfrosch-Chor bis zu zehn Vipernattern (Natrix maura) gleichzeitig; in den Bachtümpeln Wasserschildkröten-Kolonien und das Gewimmel von Rippen- und Marmormolchlarven, Messerfuß-, Geburtshelferkröten- und Laubfroschquappen. Wohin auch man fuhr - zwei Drittel des Landes erschienen einem wie ein großes Naturschutzgebiet. In den folgenden zehn Jahren streckte Portugal seine Fühler nach Europa aus und tat schließlich jenen Schritt, der einen sozio-ökonomischen Umbruch von historischer Dimension mit enormen ökologischen Folgen auslöste: es trat am 1. Januar 1986, zusammen mit Spanien, in die EU ein. Durch die Milliarden, die ein EU-Marshallplan für das "Armenhaus Europas" bereitstellte, wurde ein wirtschaftlicher Aufschwung angekurbelt, der zu einer Aufholjagd ohnegleichen führte: die Masse der Bevölkerung hat sich dem Ziel verschrieben, den Lebensstandard der Menschen in den wohlhabenden Industrienationen zu erreichen.

Die Form der Kulturlandschaft ist ein Spiegel der Mentalität seiner Gestalter. Die radikale, oft geradezu rabiat wirkende Art, in der heute in Portugal die Produkte neuer Gestaltungskonzepte in die Landschaft geklotzt werden, ist symptomatisch: die Landschaft als bloßer Funktionsträger zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse - Ausbeuteobjekt oder Erholungsraum und deren Schnellverbindung mit urbanisierten Zentren. Wer heute Portugal mit der Erinnerung an das Land vor zwei Jahrzehnten bereist, wird viele Regionen nicht wiedererkennen.

Die Gelder aus Brüssel ermöglichen die Verwirklichung von Projekten, die tiefgreifende Auswirkungen auf die ökologische Situation des jeweils betroffenen Gebietes haben. Besonderer Förderung erfreuen sich:

- die Landwirtschaft, sofern sie produktionsintensiv (Monokulturen; Mechanisierung; Einsatz von Mineraldünger; Schädlingsbekämpfungsmittel) nach EU-Richtlinien betrieben wird. Folgen: Reduktion der alten strukturreichen Agrarlandschaft, wachsender Nährstoff- und Gifteintrag in die Fließgewässer.

- die Wasserwirtschaft durch Staudammbau (zur Gewinnung von elektrischer Energie und Trinkwasser, zur Bewässerung von Agrarflächen); bis zur Jahrtausendwende sind über 70 (!) Dämme unterschiedlichster Größenordnung geplant. Der größte mit über 100 m Dammhöhe bei Alqueva/Guadiana, gefolgt von einem weiteren am Rio Sabor als Alternative für den während des Baus gestoppten Damm am Rio Côa, nachdem entlang dieses Flusses zahlreiche prähistorische Felseinritzungen entdeckt worden waren. Folgen: im Rückstau ertrinken die sich durch besondere Biodiversität auszeichnenden Talhänge und zahlreiche Seitenbäche. Das Abflussregime ist unterhalb des Dammes extrem gestört.

- der Straßenbau (besonders Autobahnen und Schnellstraßen). Folgen: zunehmende Fragmentierung und Verinselung der Lebensräume, wachsende Verkehrsdichte erhöht die Zahl der Straßenopfer.

- touristische Einrichtungen (Schwerpunkt Küstenzonen). Folgen: Gefährdung der Dünen durch Befahren, Bebauung, Müllablagerung, Bau von Staudämmen in den Algarvischen Gebirgen zur Trinkwasserversorgung der Touristenmassen.

Zwei weitere Probleme besonderer Art ergeben sich aus der

- Abfallwirtschaft: die Altlasten der Zukunft werden vielerorts immer noch auf öffentlichen Müllkippen deponiert. Die wenigen Kläranlagen nehmen nur einen Bruchteil der industriellen und kommunalen Abwässer auf, die in der Regel ungeklärt die Flüsse erreichen. Folgen: Überdüngung (Eutrophierung), Veralgung, Absterben höherer Wasserpflanzen.

- Waldwirtschaft: die Aufforstungsprogramme liegen weitgehend in der Hand der Zellstoffindustrie und erfolgen großflächig mit schnellwüchsigen, standortfremden Arten (Eukalypten und Pinien). Bevorzugt werden mit Macchia (Unterholz) und Heide bewachsene Flächen. Sie werden gerodet, radikal umgepflügt und die Setzlinge in hangparallelen Furchen eingebracht. Folgen: totale Vernichtung des ursprünglichen Habitats.
Quantative Untersuchungen an Herpetozönosen, die durch solche Eingriffe betroffen sind, liegen nicht vor. Natürlich kann es hier nicht anders sein als überall auf unserer Erde: die Verringerung des Bestandes von Biotopen und ihrer Vernetzung zieht eine Verringerung des Artenbestandes und der Vernetzung der Populationen nach sich. Einzelbeobachtungen bestätigen dies sehr deutlich:
- zahlreiche Bäche, in denen ich vor 15 bis 20 Jahren eine arten- und individuenreiche Gemeinschaft an Amphibienlarven registriert hatte, weisen infolge Abwassereinleitung bei unveränderter Gewässermorphologie heute stark dezimierte Bestände auf oder sind als Laichplätze völlig untauglich geworden; viele Fließgewässer sind zudem in Stauseen ertrunken;
- zu einem erheblichen Laichplatzverlust führte der Zerfall alter Zisternen oder deren "Sanierung" in Form eines Zementbeckenersatzes (besonders betroffen: Spanischer Wassermolch und Marmormolch);
- durch zunehmende Verkehrsdichte sind zur Zeit der Laichwanderung besonders Messerfuß, Rippenmolch und Geburtshelferkröte als massenhafte Verkehrsopfer zu beklagen, unter den Reptilien vor allem Chamäleon, Perleidechse, Treppen- und Eidechsennatter;
- in strukturreichen Heiden mit bis zu zehn Reptilienarten fand ich nach Aufforstung mit Eukalyptus nur noch eine (Algerischer Sandläufer). Die eingangs geschilderte Herpeto-Idylle kommt zwar noch vor, doch zerfällt ihre Verbreitungsdichte zusehends. Die Zeit ist abzusehen, in der sie nur noch als Relikt in Gebieten anzutreffen sein wird, die für eine wirtschaftliche "Inwertsetzung" untauglich sind. Regen sich im Land keine gegensteuernden Kräfte? Natürlich hat Naturschutz in Portugal einen gesetzlichen Rahmen, wie es sich für ein EU-Mitglied gehört. Sämtliche 63 Amphibien- und Reptilienarten genießen formellen Schutz (CITES; Berner Convention); natürlich wurden gemäß der FFH-Richtlinie (1992) vorschriftsgemäß die Verbreitungsverhältnisse der als besonders gefährdet geltenden Arten (Europäische Sumpfschildkröte, Iberische Gebirgseidechse, Iberische Smaragdeidechse, Goldstreifensalamander) kartiert und schützenswerte Lebensräume vorgeschlagen; auch wurden zahlreiche Schutzgebiete (allerdings mit unklarem Schutzstatus) ausgewiesen. Die Mitglieder der erst 1993 ins Leben gerufenen Vereinigung portugiesischer Herpetologen (SPH) wären kompetent, das Basiswissen für die Erstellung von Schutzkonzepten zu liefern.

Doch alle Gesetze, Richtlinien und Erkenntnisse sind entschieden fortschrittlicher als die Verhältnisse. Die Verhältnisse - das ist die Allgegenwart eines auf Wohlstand und wirtschaftlich-technischen Fortschritt bauenden, alle Kräfte des Landes mobilisierenden politischen Willens, der einschränkende Richtlinien wohlwollend zur Kenntnis nimmt, deutlicher werdenden ökologischen Bedenkenträgern aber auch sehr Konkretes zu sagen weiß, wie etwa durch den Mund C. Westendorps, spanischer Staatssekretär bei der EU: "Wenn es darum geht, einen grünen Frosch mit gelben Tupfen zu bewahren oder eine Straße in Andalusien zu bauen, neigen wir zu letzterem." Bei allen sonst bestehenden Meinungsverschiedenheiten: darin ist er sich mit seinen italienischen, griechischen und lusitanischen Kollegen einig. Noch Fragen?





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Portugal-Post Nr. 1 / 1998






















A Câmara de Condeixa diz que não sabe como impedir a morte de peixes nos dois rios. A mesma água é utilizada pelos moradores de Sebal para regar as hortas.